Aristoteles: Kritik der Ideenlehre, Ethik & Erkenntnis
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Kritik an Platons Ideenlehre
Aristoteles lehnte Platons Ideenlehre ab. Die Annahme von Ideen als eigenständige, transzendente Entitäten führt seiner Meinung nach zu mehreren Problemen:
- Es gelingt nicht, das Verhältnis zwischen den Ideen und den sinnlichen Dingen zu klären. Die Aussage Platons, dass die Dinge an den Ideen "teilhaben", ist für Aristoteles nur eine poetische Lizenz und erklärt nichts über die Welt der sinnlichen Wahrnehmung.
- Wenn es Ideen von Dingen gibt, müsste es auch Ideen von Beziehungen geben (z. B. Idee des Vaters, Idee des Sohnes). Dies widerspricht dem grundlegenden Charakter der Ideen, ihrer Einfachheit und Einzigartigkeit.
- Wenn es Ideen des Positiven gibt (z. B. Schönheit), müsste es konsequenterweise auch Ideen des Negativen geben (z. B. Hässlichkeit).
- Mit der Ideenlehre verdoppelt man lediglich die zu lösenden Probleme, ohne sie tatsächlich zu lösen.
Im Gegensatz zu Platon argumentiert Aristoteles, dass das Wesen der Dinge nicht in transzendenten Ideen liegt, sondern in den Dingen selbst, in dieser physischen, sinnlichen Welt.
Erkenntnislehre (Intellektive Ebene)
Aristoteles unterscheidet zwei grundlegende Fähigkeiten oder Kräfte der Seele im Erkenntnisprozess:
Kognitive Fähigkeit (Verstand)
Die Erkenntnis beginnt mit den Empfindungen, die durch die Sinne aufgenommen werden. Diese Empfindungen und die daraus gebildeten Vorstellungen sind jedoch immer partikulär (auf Einzelfälle bezogen). Die Wissenschaft strebt aber nach dem Allgemeinen und Notwendigen. Das Wissen um das Allgemeine wird durch den Nous (Verstand) erreicht, eine spezifisch menschliche Fähigkeit. Laut Aristoteles hat der Verstand zwei Aspekte:
- Passives Verständnis (nous pathetikos): Die Fähigkeit, eine allgemeine Form aufzunehmen oder zu empfangen.
- Aktives Verständnis (nous poietikos): Die Fähigkeit, vom Besonderen zu abstrahieren, die gemeinsamen Merkmale zu erfassen und so das allgemeine Wesen zu erkennen.
Begehrensvermögen (Strebevermögen)
Dies ist die Fähigkeit, nach dem zu streben, was zuvor durch den Verstand als gut oder wünschenswert erkannt wurde.
Ethik
Menschliche Handlungen sind auf ein Ziel ausgerichtet. Aristoteles identifiziert das höchste Ziel, das Endziel allen Handelns, als die Eudaimonia (Glückseligkeit). Glückseligkeit bedeutet für Aristoteles, dass ein Wesen seine Funktion gut erfüllt und seine volle Potenzialität erreicht.
Der Mensch besitzt jedoch nicht nur eine vernünftige Seele, sondern auch Begierden und Leidenschaften, die ihn vom rechten Weg abbringen können. Die Vernunft muss diese leiten und mäßigen.
Tugendlehre
Für Aristoteles liegt die Tugend in jenen Fähigkeiten oder Haltungen, die den Menschen befähigen, ein erfülltes und glückseliges Leben zu führen. Tugenden sind erworbene Haltungen oder Gewohnheiten (hexis). Er unterscheidet hauptsächlich:
- Ethische Tugenden (Charaktertugenden): Betreffen das Handeln und die Affekte. Sie bestehen darin, die Mitte zwischen zwei Extremen (Übermaß und Mangel) zu finden, die jeweils Laster darstellen (z. B. Tapferkeit als Mitte zwischen Tollkühnheit und Feigheit).
- Dianoetische Tugenden (Verstandestugenden): Betreffen das Denken (z. B. Weisheit, Klugheit).
Der Prozess des Verstehens
Der Erkenntnisprozess vom Sinnlichen zum Intelligiblen (Verständlichen) durchläuft folgende Schritte:
- Die äußeren Dinge reizen unsere Sinnesorgane.
- Diese einzelnen Sinnesempfindungen werden durch den Gemeinsinn (sensus communis) vereinheitlicht und koordiniert.
- Die vereinheitlichte Empfindung wird im Vorstellungsvermögen (Phantasie) oder Gedächtnis als sinnliches Bild (Phantasma) gespeichert.
- Der aktive Verstand (nous poietikos) abstrahiert durch Abstraktion das Wesen (die Form) aus diesem Bild und präsentiert es dem passiven Verstand.
- Der passive Verstand (nous pathetikos) nimmt diese allgemeine Form auf und bildet daraus den Begriff.
- Der Verstand wendet die gewonnenen Begriffe auf sinnliche Bilder an, um Urteile zu fällen und Wissen zu entwickeln.