Aristoteles' Philosophie: Metaphysik, Ethik & Erkenntnis

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Aristotelische Philosophie: Eine Einführung

1. Unterschiede zu Platon

Aristoteles unterscheidet sich von Platon in mehreren zentralen Punkten:

  • Er trennt nicht strikt zwischen Wissenschaft und Tugend; die Tugend (Arete) ist eng mit der Ethik verbunden.
  • Er lehnt Platons Lehre von den zwei Welten (Sinnenwelt und Ideenwelt) ab und betont die Einheit der Welt.

2. Metaphysik

Die Metaphysik untersucht die Substanz (Ousia) als das Wesen der Dinge. Sie besteht aus:

  • Stoff (Hyle): Das Material, das das Wesen bildet.
  • Form (Morphē): Das Wesen der Sache selbst, das die Materie bestimmt.

Aristoteles unterscheidet verschiedene Arten von Substanzen:

  • Sublunare Substanzen: Bestehen aus Materie und Form (z.B. Lebewesen, unbelebte Objekte auf der Erde).
  • Himmlische Substanzen: Reine Formen, unvergänglich (z.B. Sterne, Planeten).
  • Gott (der unbewegte Beweger): Reine Form, reine Aktualität, die erste Ursache aller Bewegung.

3. Physik

Die aristotelische Physik basiert auf dem Hylemorphismus, der die Dinge als eine untrennbare Einheit von Stoff und Form begreift.

  • Stoff (Hyle): Das materielle Element eines Wesens, das unbestimmt, verständlich, passiv und potenziell zerstörbar ist.
  • Form (Morphē): Das Prinzip, nach dem eine Sache bestimmt und verständlich wird; ein wesentliches, aktives, universelles und verständliches Prinzip, das dem Material Gestalt verleiht.

Die Prinzipien von Akt und Potenz (Energeia und Dynamis) erklären Veränderung und Bewegung. Bewegung ist grundlegend und kann quantitativ, qualitativ oder lokal sein.

Die vier Ursachen der Dinge sind:

  1. Materielle Ursache: Woraus etwas gemacht ist.
  2. Formale Ursache: Was etwas ist (seine Form).
  3. Wirkursache (Effizienzursache): Wodurch etwas entsteht.
  4. Zweckursache (Finalursache): Wozu etwas da ist (sein Ziel).

Die Physik ist teleologisch, d.h., sie ist auf Zwecke und Ziele ausgerichtet.

4. Kosmologie

Aristoteles' Kosmologie beschreibt ein endliches Universum.

  • Theorie der natürlichen Orte: Die vier Elemente (Erde, Wasser, Luft, Feuer) bewegen sich zu ihren natürlichen Orten.
  • Bewegung existiert nur in der sublunaren Welt; im Vakuum gibt es keine Bewegung.
  • Die Welt ist ewig; Materie und Form sind es ebenfalls.
  • Bewegung wird durch ihre Ursachen und natürlichen Orte erklärt, aber es gibt auch Raum für Zufall.
  • Physikalische Theologie: Der unbewegte Beweger als erste Ursache der Bewegung im Kosmos.

5. Anthropologie: Die Konzeption des Menschen

Der Mensch wird als eine Einheit von Körper (Materie) und Seele (Form) verstanden. Die Seele ist das bestimmende Prinzip des Körpers.

  • Die Seele kann nicht körperlos existieren, da sie die Form des Körpers ist (im Gegensatz zu Platon).
  • Körper und Seele sind für das Leben untrennbar notwendig.

6. Die Seelenfähigkeiten

Aristoteles unterscheidet drei Arten von Seelenfähigkeiten, die hierarchisch aufgebaut sind:

  1. Vegetative Seele: Zuständig für Ernährung und Fortpflanzung (bei Pflanzen, Tieren und Menschen).
  2. Sensorische Seele: Zuständig für Empfindungen, Begehren, Fortbewegung und Vorstellungskraft (bei Tieren und Menschen).
  3. Rationale Seele (Geist/Nous): Die höchste Fähigkeit, die nur dem Menschen eigen ist.

Der Rationale Geist (Nous)

Der rationale Geist wird weiter unterteilt:

  • Passiver Verstand (Nous Pathetikos): Die Fähigkeit, Wissen aufzunehmen und Bilder zu speichern.
  • Aktiver Verstand (Nous Poietikos): Der Verstand, der Wissen und Wissenschaft ermöglicht; er aktualisiert alle Formen und macht sie verständlich.

7. Erkenntnistheorie

Der Prozess der Erkenntnis ist ein Prozess der Abstraktion:

  • Wahrnehmung (Empfindung)

    Die Empfindung ist die Aktualisierung des Sinnlichen. Sie ist die Potenz (das Objekt) im Akt (das Bild/die Empfindung).

  • Verstand (Nous)

    Der Verstand aktualisiert sich mit dem Verständlichen.

    • Passiver Verstand: Die Fähigkeit zu erkennen, die Potenz des Bildes.
    • Aktiver Verstand: Ermöglicht Wissen und Wissenschaft; der Akt aller Formen.

    Wahrheit: Ist die Übereinstimmung dessen, was ist, mit dem, was erkannt wird.

Arten der Wissenschaften

Aristoteles unterscheidet Wissenschaften nach ihrem Gegenstand und Zweck:

  • Theoretische Wissenschaften: Befassen sich mit dem Notwendigen und Unveränderlichen.
    • Intuitive Erfassung bekannter Prinzipien.
    • Demonstratives Wissen (z.B. Metaphysik, Physik, Mathematik).
  • Praktische Wissenschaften: Befassen sich mit dem Kontingenten und dem menschlichen Handeln.
    • Klugheit (Phronesis): Praktisches Wissen, wie man leben soll.
    • Umfasst Ethik (individuelles Handeln), Ökonomie (Haushaltsführung) und Politik (Staatswesen).
  • Poietische Wissenschaften (Produktion): Befassen sich mit der Herstellung von Dingen.
    • Handwerk, Kunst, nützliches Wissen.

8. Ethik

Das höchste Gut, das von allen Menschen angestrebt wird, ist das Glück (Eudaimonia). Es wird durch ein tugendhaftes Leben erreicht.

Tugend (Arete/Exzellenz):

  • Dianoetische Tugenden (Intellektuelle Tugenden)

    Basieren auf Wissen und Vernunft:

    • Wissen (Episteme)
    • Kontemplative Weisheit (Sophia)
    • Klugheit (Phronesis)
  • Ethische Tugenden (Charaktertugenden)

    Basieren auf Gewohnheit und dem Goldenen Mittelweg (Mesotes-Lehre).

    Die Tugend liegt in der Mitte zwischen zwei Extremen (Übermaß und Mangel).

    Beispiele:

    • Mäßigung: Zwischen Abstinenz (Mangel) und Zügellosigkeit (Übermaß).
    • Mut: Zwischen Feigheit (Mangel) und Tollkühnheit (Übermaß).

    Einige Handlungen sind jedoch von Natur aus schlecht und haben keinen Mittelweg (z.B. Ehebruch). Freundschaft hingegen ist von Natur aus gut.

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