Descartes: Rationalismus & moderne europäische Philosophie
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1. Soziohistorischer Hintergrund
René Descartes, der Begründer des Rationalismus, lebte im 17. Jahrhundert, der Zeit des Barock. Diese Epoche war geprägt von Ereignissen großer Bedeutung, aber auch von einer tiefgreifenden ideologischen, sozialen, wirtschaftlichen, politischen und religiösen Krise.
2. Merkmale des Rationalismus
- Autarkie der Vernunft: Die Vernunft wird als autark angesehen. Sie ist die Quelle, die Wissen hervorbringt, und die einzig gültige Methode, um die Realität zu verstehen und zu erklären.
- Existenz angeborener Ideen: Es gibt Ideen, die uns angeboren sind (ideae innatae) und auf denen unser gesamtes Wissen aufbaut.
- Deduktion als Methode: Descartes, als rationalistischer Philosoph, schlug die deduktive Methode vor, die der Mathematik entlehnt ist, um von sicheren Prinzipien zu weiteren Wahrheiten zu gelangen.
3. Einflüsse der Mathematik auf Descartes
Descartes' Philosophie strebte danach, die Objektivität und Genauigkeit der Mathematik zu erreichen, um eine Wissenschaft zu werden, die universelle, notwendige und unzweifelhafte Wahrheiten liefert. Daher schlug er vor, die deduktive Methode, ähnlich der Geometrie, anzuwenden, um ein festes Fundament für alles Wissen zu schaffen.
4. Notwendigkeit einer zuverlässigen Methode
Descartes war der Ansicht, dass man bei Untersuchungen versehentlich von Emotionen, Vorurteilen oder anderen Interessen beeinflusst werden kann. Um dies zu vermeiden, entwickelte er die kartesische Methode, eine Reihe von Regeln für den angemessenen Gebrauch unserer natürlichen Fähigkeiten – Verstand, Intuition und Deduktion:
- Intuition: Die direkte, rein rationale und unmittelbare Erfassung einer Wahrheit, die dem Geist als selbstevident und absolut gewiss erscheint.
- Deduktion: Die indirekte Erfassung von Wahrheiten durch logische Schlussfolgerungen, bei der ein spezifischer Satz aus allgemeineren, bereits als wahr erkannten Sätzen abgeleitet wird. Sie ist eine Kette von Intuitionen.
Die Regeln der kartesischen Methode sind:
- Regel der Evidenz (kartesisches Kriterium der Gewissheit): Nichts für wahr halten, was nicht so klar und deutlich (clare et distincte) erkannt wird, dass es nicht mehr bezweifelt werden kann.
- Regel der Analyse (Zerlegung): Jedes untersuchte Problem in so viele kleine Teile wie möglich und für seine bessere Lösung erforderlich zerlegen.
- Regel der Synthese (geordnete Gedankenführung): Die Gedanken in geordneter Weise führen, beginnend mit den einfachsten und am leichtesten zu erkennenden Objekten, um schrittweise zur Kenntnis der komplexeren aufzusteigen.
- Regel der Enumeration (vollständige Aufzählung und Überprüfung): Stets so vollständige Aufzählungen und allgemeine Übersichten machen, dass man sicher ist, nichts ausgelassen zu haben und keine Fehler in den vorherigen Schritten gemacht wurden.
5. Die Suche nach einer ersten Wahrheit durch den Zweifel
Descartes erklärte, dass die menschliche Vernunft eine erste, absolute und unbestreitbare Wahrheit finden müsse, auf der das gesamte Gebäude des Wissens errichtet werden kann. Er nutzte den methodischen Zweifel, um versuchsweise an allem zu zweifeln, was nicht absolut sicher ist. Er nannte drei Hauptgründe, unser bisheriges Wissen anzuzweifeln:
- Täuschung der Sinne: Die Sinne täuschen uns manchmal, daher ist das Wissen, das sie vermitteln, nicht absolut zuverlässig.
- Ununterscheidbarkeit von Traum und Wachzustand: Die Schwierigkeit, Wachzustand und Traum sicher zu unterscheiden, da in beiden ähnliche Wahrnehmungen auftreten können.
- Hypothese des bösen Geistes: Die theoretische Möglichkeit der Existenz eines bösen Geistes (genius malignus), einer Art allmächtigem Betrüger, der uns selbst bei scheinbar unzweifelhaften Ideen, wie mathematischen Wahrheiten, täuschen könnte.
Dieser radikale Zweifel scheint zunächst zur Skepsis, zu einer Aporie (Ausweglosigkeit) zu führen, bis Descartes schließlich die erste unerschütterliche Wahrheit fand: Er konnte an allem zweifeln, außer daran, dass er zweifelte. Zweifeln ist eine Form des Denkens, und um zu denken, ist es notwendig zu existieren. Daraus leitete er den berühmten Satz ab: „Ich denke, also bin ich“ (lateinisch: Cogito, ergo sum). Diese Erkenntnis war ihm klar, deutlich und intuitiv gewiss, sodass er sie als erste absolute Wahrheit und als Fundament seiner Philosophie akzeptierte. Hieraus ergibt sich auch die Gültigkeit der Regel der Evidenz.
6. Ideen als Gegenstand des Denkens
Nach Descartes denkt das Denken Ideen. Man denkt nicht direkt die äußere Welt, sondern die Repräsentationen (Ideen), die man von dieser Welt im Geist hat. Er unterscheidet drei Arten von Ideen nach ihrem Ursprung:
- Erworbene Ideen (ideae adventitiae): Jene, die von äußeren Objekten zu stammen scheinen und aus der Sinneserfahrung kommen (z.B. die Idee eines Baumes, die Wärme der Sonne).
- Selbstgemachte Ideen (ideae factitiae): Jene, die der Geist selbst aus anderen Ideen konstruiert oder zusammensetzt (z.B. die Idee eines geflügelten Pferdes, einer Sirene).
- Angeborene Ideen (ideae innatae): Die ursprünglichen Vorstellungen, die weder aus der Erfahrung stammen noch vom Geist willkürlich konstruiert werden, sondern mit der Vernunft selbst gegeben sind und deren Struktur wesentlich sind (z.B. die Idee Gottes, mathematische Axiome, die Idee des Ichs/Denkens, die Idee der Substanz). Auf ihnen baut das übrige Wissen auf.
7. Die Existenz Gottes und der Welt
Eine der zentralen angeborenen Ideen ist für Descartes die Idee der Unendlichkeit, die er mit der Vorstellung eines vollkommenen Wesens, also Gott, identifiziert. Diese Idee dient ihm als Grundlage, um die Existenz Gottes zu beweisen. Ein wichtiger Beweis ist der ontologische Gottesbeweis (in Anlehnung an Anselm von Canterbury): Da wir die Idee eines absolut vollkommenen Wesens (Gott) in uns tragen, und reale Existenz eine notwendige Vollkommenheit ist, muss Gott real existieren. Gott kann nicht ohne die Vollkommenheit seiner Existenz gedacht werden, ebenso wenig wie ein Berg ohne Tal.
Nachdem die Existenz Gottes als eines vollkommenen und daher wahrhaftigen Wesens bewiesen ist, kann Descartes auch die Existenz der äußeren, materiellen Welt begründen. Da Gott existiert und aufgrund seiner Vollkommenheit nicht täuschend ist, kann er nicht zulassen, dass wir uns systematisch und unaufhebbar täuschen, wenn wir einen starken natürlichen Hang haben, an die Existenz einer materiellen Welt zu glauben, die unsere klaren und deutlichen Sinneswahrnehmungen verursacht. Also muss die Außenwelt existieren, zumindest insofern sie den Gesetzen der Geometrie und Bewegung unterliegt, auch wenn ihre sinnlichen Qualitäten nicht unbedingt so sind, wie sie uns erscheinen.