Entwicklungspsychologie: Theorien, Phasen und Einflussfaktoren
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Einführung in die Entwicklungspsychologie
Die Entwicklungspsychologie untersucht die Veränderungen, die ein Individuum im Laufe seines Lebens in körperlicher, sozialer, kultureller, emotionaler, kognitiver und weiterer Hinsicht erfährt.
Was ist Entwicklung?
Entwicklung bezeichnet die Veränderungen im Verhalten, Denken, Handeln, Fühlen und Erleben, die ein Mensch während seines gesamten Lebens durchläuft. Dazu gehören:
- Wachstum: Quantitative Veränderungen, wie zum Beispiel eine erhöhte Körpermasse.
- Reifung: Morphologische Veränderungen, die biologisch bedingt und nicht durch Lernen beeinflusst sind.
- Lernen: Veränderungen, die durch Lebenserfahrungen bestimmt werden. Je nach Lebensphase und ihren Merkmalen ist ein Individuum möglicherweise eher geneigt, bestimmte Lerninhalte zu erwerben.
Allgemeine Merkmale der Entwicklung
- Geordnete Abfolge von Veränderungen.
- Steigerung in Qualität und Quantität.
- Integrativer Prozess (neue Verhaltensweisen bauen auf früheren auf).
- Unterliegt internen und externen Veränderungen.
- Mit fortschreitender Entwicklung werden die Funktionen zunehmend komplexer.
Faktoren, die die Entwicklung beeinflussen
Externe Faktoren
- Lebensmittel und Ernährung
- Gesundheit und Hygiene
- Umweltvariablen (Lebensqualität, kulturelle und soziale Bedingungen, etc.)
Interne Faktoren: Vererbung
Die Vererbung umfasst:
- Geschlossener Inhalt: Kann nicht durch individuelle Erfahrung verändert werden.
- Offener Inhalt: Ermöglicht Erwerb und Weiterentwicklung.
Theorien zur Erklärung des Verhältnisses von Vererbung und Umwelt
- Nativistische Konzeption: Fähigkeiten oder Verhaltensweisen werden primär durch Vererbung bestimmt.
- Environmentalistische Konzeption: Verhalten wird primär durch die Merkmale der Umgebung bestimmt.
Wichtige Entwicklungstheorien
Behavioristische oder Mechanistische Theorien
Diese Theorien basieren auf der Erfahrung, und ein Großteil der Entwicklung wird von äußeren Faktoren bestimmt. Sie erkennen keine qualitativen Veränderungen an, wobei der Fokus auf den zur Verfügung gestellten Mitteln liegt. Wichtige Vertreter sind:
- Pawlow: Wenn ein bedingter Reiz wiederholt mit einem unbedingten Reiz gekoppelt wird, wird der bedingte Reflex verstärkt. Erfolgt keine Kopplung, schwächt sich der bedingte Reflex ab und verschwindet schließlich.
- Watson: Er postulierte drei angeborene elementare Emotionen: Angst, Wut und Liebe. Das gesamte Spektrum der Emotionen bei Erwachsenen entsteht seiner Ansicht nach durch Lernen. Die Entwicklung umfasst demnach Veränderungen im erlernten Verhalten. Emotionale Reaktionen sind eine Folge von Lernprozessen und Konditionierung, die das Auftreten von Reizen und deren Folgen steuern und somit das Verhalten regulieren.
- Skinner: Ähnlich wie Watson, unterschied er sich jedoch darin, dass innere Phänomene von der wissenschaftlichen Untersuchung ausgeschlossen werden sollten.
Operante Konditionierung (nach Skinner)
Bei der operanten Konditionierung wird eine Handlung, auf die eine Belohnung folgt (positive Verstärkung), vom Individuum wiederholt. Folgt jedoch eine unangenehme Konsequenz (Bestrafung), wird die Handlung seltener oder gar nicht mehr ausgeführt.
Strukturalistische oder Organismische Theorien
Diese Theorien gehen davon aus, dass Entwicklung eine Abfolge von Stufen ist, wobei jede Stufe qualitativ anders ist als die vorhergehende. Sie beschreiben eine geordnete und berechenbare Reihe von Veränderungen, die typischerweise mit dem Ende der Adoleszenz abgeschlossen sind. Vertreter dieser Theorien glauben, dass Kinder durch die Entwicklung ihrer Fähigkeiten zu denken, zu erforschen, zu vergleichen und zu organisieren zu Wissen gelangen. Wichtige Vertreter sind:
- Freud: Er sah die psychische Entwicklung als eine Abfolge von Stufen, die zur Entwicklung einer generalisierten Libido und schließlich zur genitalen Sexualität im Erwachsenenalter führen. Seine Erkenntnisse stammen nicht primär aus der Arbeit mit Kindern, sondern aus der Psychoanalyse von Erwachsenen.
- Piaget: Sein Fokus lag auf der intellektuellen Entwicklung. Ziel war es, zu beschreiben und zu erklären, wie der Übergang von einem biologisch geprägten Neugeborenen zu einem Erwachsenen mit hoch organisiertem, abstraktem Wissen stattfindet.
Lebenszyklus-Theorie
Für diese Theorie ist Entwicklung ein lebenslanger Prozess von der Geburt bis zum Tod. Sie kann viele Ursachen haben, sich in unterschiedliche Richtungen entwickeln und ist das Ergebnis der Interaktion biologischer und kultureller Faktoren.
Nach dieser Theorie sollten die Existenz von normativen Einflüssen (z.B. Kultur und Geschichte) sowie von nicht-normativen Einflüssen (individuelle Ereignisse, die die Entwicklung einer bestimmten Person beeinflussen) nicht vergessen werden.
Psychometrische Bewegung
Die psychometrische Bewegung konzentriert sich auf die Messung des Entwicklungsstandes und den Vergleich mit dem Durchschnitt für ein bestimmtes Alter. Arnold Gesell teilte die Entwicklung in verschiedene Phasen ein. In diesen Phasen ist die Entwicklung progressiv und wird maßgeblich durch die Reifung des Nervensystems bestimmt. Für jedes Alter charakterisierte er typische Verhaltensmuster, die sich in folgenden Bereichen unterscheiden:
- Motorisches Verhalten: Gesamtkoordination (Balance, Kontrolle, Haltung, etc.).
- Adaptives Verhalten: Problemlösung (z.B. Rätsel).
- Soziales Verhalten: Erlernt und abhängig von der kulturellen Umgebung (Gewohnheiten, etc.).
- Sprachverhalten: Alle Formen der verbalen und nonverbalen Kommunikation.
Kognitive Perspektive
Diese Perspektive konzentriert sich auf die Untersuchung der Intelligenz und kognitiver Prozesse.
David Ausubel
Ausubel basierte seine Arbeit auf Beobachtungen, Interviews und Tests und unterschied drei Kategorien des bedeutsamen Lernens, die hierarchisch miteinander verbunden sind:
- Repräsentatives Lernen: Erlernen der Bedeutung von Symbolen oder Wörtern als symbolische Repräsentation.
- Konzeptlernen: Erkennen der Eigenschaften oder Attribute eines bestimmten Konzepts sowie der Konstanten in Objekten oder Ereignissen.
- Propositionales Lernen: Erlernen der Bedeutung, die über die Summe der Bedeutungen einzelner Wörter oder Konzepte einer Aussage hinausgeht.
Bedingungen für sinnvolles Lernen (nach Ausubel)
- Logische Bedeutung: Der Inhalt des Lernens muss sinnvoll strukturiert sein.
- Psychologische Bedeutung: Das neue Wissen muss mit dem Vorwissen des Lernenden in Beziehung gesetzt werden können.
- Einstellung des Lernenden: Damit sinnvolles Lernen stattfindet, muss das Kind lernen wollen.
Jean Piaget
Sein Anliegen war es, herauszufinden, wie Wissen aufgebaut ist. Für ihn ist der Geist ein Instrument für die Menschen zur Anpassung an die Umwelt. Er konzentrierte sich auf die geistige Entwicklung und zielte darauf ab, die Entwicklung vom menschlichen Säugling bis zum Erwachsenen mit hoch organisiertem, abstraktem Wissen zu verstehen. In seiner Theorie ist das Ziel stets die Anpassung, um jedes Mal, wenn das Individuum auf Probleme stößt, eine angemessene Antwort zu finden.
Phasen der Entwicklung nach wichtigen Theorien und Autoren
Sigmund Freud: Psychosexuelle Entwicklungsphasen
Freud bezog sich auf die Entwicklung der Persönlichkeit. Die Entwicklung ist in 5 Phasen unterteilt, die sich nach den erogenen Zonen des Körpers richten:
- Orale Phase (0-1 Jahr): Fokus auf den Mund.
- Anale Phase (1-3 Jahre): Fokus auf den Anus (Retention und Ausscheidung von Fäkalien).
- Phallische Phase (3-5 oder 6 Jahre): Fokus auf die Genitalien.
- Latenzphase (6 Jahre bis zur Pubertät): Geringeres Interesse an den Genitalien, stärkeres Interesse an intellektueller und sozialer Entwicklung.
- Genitale Phase (Pubertät): Sorge um die Genitalien durch physiologische Veränderungen. Freude an Beziehungen zum anderen Geschlecht.
Jean Piaget: Stadien der kognitiven Entwicklung
Piaget sah die Entwicklung der Intelligenz als einen Prozess der Anpassung an die Umwelt. Die Stadien der kognitiven Entwicklung nach ihm sind:
- Sensomotorisches Stadium (Geburt bis 2 Jahre):
- Unterstadium 1 (0-1 Monat)
- Unterstadium 2 (1-4 Monate)
- Unterstadium 3 (4-8 Monate)
- Unterstadium 4 (8-12 Monate)
- Unterstadium 5 (12-18 Monate)
- Unterstadium 6 (18-24 Monate)
- Präoperatives Stadium (2-7 Jahre)
- Konkret-operatives Stadium (7-11 Jahre)
- Formal-operatives Stadium (11-16 Jahre)
Lebenszyklus-Theorie
Im Gegensatz zu anderen Theorien glaubt die Lebenszyklus-Theorie, dass die Entwicklung das gesamte Leben umfasst und nicht nur bis zur Pubertät reicht. Sie betont den Einfluss biokultureller Veränderungen und Lebenserfahrungen. Der Entwicklungsprozess erstreckt sich über das gesamte Leben des Individuums bis zum Tod. Die Etappen sind:
- Intrauterine Phase: Bis zur Geburt
- Säuglingsalter: Bis zum ersten Lebensjahr
- Frühe Kindheit: 1 bis 3 Jahre
- Kindergartenalter: 3 bis 6 Jahre
- Schulkindalter: 6 bis 12 Jahre
- Adoleszenz: 12 bis 18 Jahre
- Junges Erwachsenenalter: 18 bis 30 Jahre
- Mittleres Erwachsenenalter: 30 bis 60 Jahre
- Spätes Erwachsenenalter: Ab 60 Jahre
Prinzipien des Lernens
- Bedeutsamkeit: Neue Inhalte sollten mit bereits Gelerntem verknüpft werden.
- Funktionalität: Gelerntes sollte für etwas verwendet werden können.
- Aktive geistige Beteiligung: Lernen erfordert eine aktive geistige Aktivität der Kinder.
- Soziale Interaktion: Lernen wird durch soziale Interaktion und Beziehungen zu anderen verbessert.
- Positive Einstellung und Vertrauen: Eine positive Einstellung der Kinder sowie Vertrauen in Eltern oder Erzieher sind entscheidend für den Lernerfolg.
Rolle der Erwachsenen in der kindlichen Entwicklung
Erwachsene spielen eine entscheidende Rolle in der Entwicklung von Kindern, indem sie:
- Eine ruhige, gemütliche und sichere Umgebung bereitstellen, die es dem Kind ermöglicht, alters- und fähigkeitsgerecht selbstständig zu handeln.
- Die tägliche Routine als etwas Besonderes gestalten und motivieren.
- Immer in einfacher und klarer Sprache mit dem Kind sprechen, nicht kindisch.
- Die Anregung der Sinnesorgane fördern.
- Tägliche Aktivitäten spielerisch gestalten, um dem Kind zu zeigen, dass es geliebt wird und seine Entwicklung durch die Stärkung seiner Fähigkeiten gefördert wird. Dies umfasst die Förderung folgender Bereiche:
- Persönlichkeitsentwicklung: Selbsterkenntnis, Intimität.
- Sensorische Entwicklung: Wahrnehmung durch die Sinne.
- Soziale Entwicklung: Erlernen unterschiedlicher Werte und Einstellungen.
- Sprachentwicklung: Entwicklung von sprachlicher Form, Inhalt und Anwendung.
- Kognitive Entwicklung: Schaffung motivierender Umgebungen.