Erzähltheorie: Genres, Erzähler und Fokalisierung

A) Das Erzählgenre und seine Formen

Die Erzählung ist die Darstellung einer Reihe von Ereignissen durch eine fiktive Person, den Erzähler. Die Erzählung manifestiert sich im Wesentlichen in zwei Hauptformen:

• Die Kurzgeschichte: Eine kurze Erzählung mit wenigen Figuren und knapper Beschreibung, die ihre Wirkung auf den Ausgang der Geschichte konzentriert.
• Der Roman: Eine längere, komplexe Erzählform.

Im Kommunikationsprozess der Erzählung gibt es einen realen Sender (den Autor) und einen fiktiven Sender (den Erzähler), der eine fiktive Welt für den Empfänger erschafft.

Unterformen und Genres der Erzählung

• Epische Dichtung: Mündliche Lieder, die von den Heldentaten von Kriegern oder Göttern erzählen.
• Epos: Erzählende Gedichte, die menschliche Handlungen und Charaktere schildern, die es wert sind, erinnert zu werden (z. B. „La Araucana“, „Die Odyssee“).
• Heldenlied (Chanson de geste): Mittelalterliche literarische Werke, die Heldensagen eines Volkes erzählen (z. B. „Das Lied von My Cid“).
• Legende: Erzählung von Tatsachen, die auf mündlicher Überlieferung beruht, wobei einige Teile auf tatsächlichen historischen Fakten basieren können.
• Romanze: Episch-lyrischer Ausdruck anonymen Ursprungs, oft mit Themen aus Epen und Legenden.
• Fabel: Kurzgeschichte in Prosa mit didaktischem Ziel, in der personifizierte Tierfiguren auftreten. Sie enthält am Ende der Geschichte eine Moral.
• Parabel: Lehrt ebenfalls eine Moral, aber die Figuren sind menschlich.

Der Erzähler und die Fokalisierung

Erzähler (Narrator): Fiktive Person, die vom Autor geschaffen wurde und die Geschichte vermittelt. Die Geschichte wird durch die Perspektive oder die Art der Fokalisierung des Erzählers präsentiert, um die Fakten darzustellen.

Arten der Fokalisierung (Sichtweise des Erzählers)

1. Null-Fokalisierung (Zero Focalization): Der Erzähler ist objektiv und allwissend. Er kennt nicht nur das Innere der Figuren, sondern kann sogar Werturteile abgeben. (Allwissender Erzähler).
2. Interne Fokalisierung (Internal Focalization): Der Erzähler erzählt aus der Perspektive einer der Figuren, was subjektiv ist. Der Grad der Kenntnis ist beschränkt, da er nur das weiß, was die Figur weiß. (Erzähler als Hauptfigur, Nebenfigur oder Zeuge).
3. Externe Fokalisierung (External Focalization): Der Erzähler berichtet nur, was er von außen sieht und hört. Er hat keinen Zugang zum Bewusstsein der Figuren. (Objektiver Erzähler oder Erzähler mit relativem Wissen).

Arten des Erzählers (Erzählpositionen)

1. Homodiegetischer Erzähler (Erzähler als Figur): Der Erzähler ist Teil der Handlung. Sein Grad der Kenntnis der Sachlage ist subjektiv verzerrt. Innerhalb dieser Art unterscheidet man:
   • Erzähler-Protagonist: Spielt die Hauptrolle in der Geschichte.
   • Erzähler-Zeuge: Erzählt die Geschichte eines anderen und äußert sich nicht selbst zur Handlung.