Friedrich Nietzsche: Historischer & Philosophischer Kontext
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Das 19. Jahrhundert: Historisch-kultureller Kontext
Das 19. Jahrhundert markiert den Beginn der Zivilisation, wie wir sie heute verstehen. Es war eine Zeit großer politischer und sozialer Revolutionen, deren Ursprung in Frankreich lag. Es war das Jahrhundert großer konkurrierender Ideologien: Liberalismus, Sozialismus, Marxismus, Nationalismus und Anarchismus, deren Konflikte bis ins 20. Jahrhundert reichten. Nietzsche hatte prophezeit, dass das 20. Jahrhundert von globalen Kriegen beherrscht werden würde.
Industrielle Revolution & Gesellschaftswandel
Es war auch das Jahrhundert der Zweiten Industriellen Revolution, des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts sowie bedeutender kultureller Ereignisse. Entdeckungen wie Elektrizität, das Automobil und der Telegraph prägten diese Ära. Der Kapitalismus breitete sich in weiten Teilen Europas aus. Die Überreste der Ständegesellschaft begannen zu verschwinden. Die Gesellschaft spaltete sich in zwei differenzierte Klassen: die Bourgeoisie und das Proletariat. Es gab ein starkes Wachstum der Großstädte. Das Proletariat begann sich in der Arbeiterbewegung zu organisieren, getragen von anarchistischen, sozialistischen und kommunistischen Ideologien. Der Liberalismus wurde zur Ideologie der Bourgeoisie.
Imperialismus & Deutsch-Französischer Krieg
Am Ende des Jahrhunderts entstand die moderne Massengesellschaft mit ihrer Forderung nach politischer Partizipation und der daraus resultierenden Demokratisierung des Staates. Nach 1880 kam es zudem zu einer großen imperialen Expansion europäischer Länder weltweit – dem Zeitalter des Kolonialismus. Im Jahr 1870 ereignete sich ein Ereignis, das großen Einfluss auf Nietzsches Denken hatte: der Krieg zwischen Frankreich und Deutschland, aus dem Letzteres siegreich hervorging. Im Anschluss daran entstand das Deutsche Reich unter der Führung von Reichskanzler Bismarck. Sein wirtschaftliches Wachstum, kombiniert mit starker Macht, machte Deutschland zu einer Weltmacht.
Neue Theorien & Denkbewegungen
Nietzsche jedoch hielt Frankreich stets für kulturell überlegen gegenüber Deutschland und bezeichnete sein eigenes Land als eine Nation von Bier und Unterhaltung, hegte einen dauerhaften Hass gegen Bismarcks Politik. Im 19. Jahrhundert entstanden zudem neue Theorien, die das Denken revolutionierten: Darwins Evolutionstheorie, der philosophische Positivismus (der die Grundlagen der abendländischen Metaphysik zerstören sollte) und der wissenschaftliche Materialismus (der versuchte, alle Fakten objektiv und wissenschaftlich zu erklären, ohne auf philosophische Erklärungen zurückzugreifen).
Nietzsches philosophischer Kontext & Einflüsse
Nietzsche teilte die Kritik an der griechischen Metaphysik und dem Christentum. Obwohl er sich mit Wissenschaft, Evolutionismus und Positivismus auseinandersetzte, war er von diesen Strömungen unabhängig und empfand eine tiefe Verachtung für sie. Die wichtigsten Merkmale von Nietzsches Werk waren seine originellen Ideen und seine intellektuelle Unabhängigkeit. Sein Einfluss begann sich erst nach seinem Tod voll zu entfalten. Die Kunst und Philosophie des 20. Jahrhunderts waren stark von Nietzsche geprägt.
Einflüsse: Vorsokratiker & Griechische Tragödie
Nietzsches Einflüsse stammten unter anderem aus folgenden Quellen:
- Seine Bewunderung für die Vorsokratiker, insbesondere Heraklit, dessen Idee der Natur als konstanter Strom des Werdens die Vorstellung eines statischen „Seins“ als Fiktion entlarvte.
- Seine Bewunderung für die griechische Tragödie (Aischylos und Sophokles), die Kunst und Leben als tragische Phänomene definierte.
Schopenhauer & Kritik an deutscher Philosophie
Ein weiterer wichtiger Einfluss war der Philosoph Arthur Schopenhauer, zumindest in Nietzsches erstem großen Werk, und die Ablehnung der deutschen Philosophie. Die Lektüre Schopenhauers versöhnte Nietzsche mit der Philosophie, und das Konzept des Willens entstammt Schopenhauers Werk. Die deutsche Philosophie des 19. Jahrhunderts wurde von drei Hauptströmungen dominiert: Kants Kritizismus, der Romantik mit ihrem Egozentrismus und Hegels Pessimismus, dessen Vorstellung von Negativität die Dialektik beherrschte. In all diesen sah Nietzsche das Christentum in verdeckter Form. Später übte er jedoch auch heftige Kritik an Schopenhauer wegen dessen Pessimismus und Lebensverneinung.
Wagner & das Gesamtkunstwerk
Schließlich wurden auch die Musik und das Verständnis von Richard Wagners Konzept des „Gesamtkunstwerks“ grundlegend für Nietzsches frühe Werke. Nietzsche verwarf Wagner jedoch später, als dieser begann, sich dem Christentum und einem gewissen Pessimismus zuzuwenden.