Friedrich Nietzsches Philosophie: Kritik und Transformation

Eingeordnet in Philosophie und Ethik

Geschrieben am in Deutsch mit einer Größe von 8,88 KB

Friedrich Nietzsche: Ein Denker der Transformation

Kritik der Gewissheiten des 19. Jahrhunderts

Nietzsche hat weltweit die Gewissheiten des neunzehnten Jahrhunderts tiefgreifend abgebaut. Das Ziel seiner Angriffe sind: die Idee, dass die Realität durchaus rational ist; marxistische und positivistische Philosophien, die ein Vertrauen in den Fortschritt teilen; und eine erbitterte Kritik des Szientismus, der die scheinbar stabilsten Punkte der westlichen Zivilisation in Frage stellt.

Philologie als Weg zur Zivilisationsanalyse

Nietzsche begann als Professor der klassischen Philologie und nutzte diese, um in die intimeren Bedeutungen der westlichen Zivilisation einzudringen und ihre dunkleren und lauteren Aspekte ans Licht zu bringen. Er wollte nicht nur die Antike studieren, um sie zu verstehen, sondern Wissen erlangen, um ein Prophet einer Transformation der westlichen Zivilisation zu werden. Diese Transformation liegt außerhalb seiner Zeit – weder zu weit zurück noch zu weit voraus – und umfasst die Grundlagen des abendländischen Denkens sowie das, was sie anstreben und wofür er den Weg ebnet.

Vitalismus und die Neubewertung der Wahrheit

Nietzsche ist ein Vitalist, der den Finger auf die Steigerung der Lebensqualität und des Irrationalismus legt. Er suchte jedoch nach einer Möglichkeit, die Lebensbejahung zu erweitern. Dies soll nicht geleugnet, sondern die Vitalität (die Vitalität der Vernunft) gesteigert werden. Alle Forschungen vor Nietzsche hatten ihre Aufmerksamkeit auf die Suche nach der Wahrheit konzentriert, ohne jemals das Konzept des Begriffs der Wahrheit zu hinterfragen. Der Begriff der Wahrheit ist eines der wichtigsten Konzepte, die die westliche Zivilisation geprägt haben.

Wahrheit versus Nützlichkeit

Nietzsche schlug vor, den Begriff der Wahrheit durch den der Nützlichkeit zu ersetzen: Die wahre Philosophie sollte nicht fragen, was wahr ist, sondern was für das Leben sinnvoller ist. Daher ist das Kriterium zur Beurteilung einer Wissensgesellschaft nicht mehr die Frage, ob es wahr ist, sondern ob es dem Leben dient, das heißt: Kann es die vitalen Kräfte des Menschen stimulieren?

Die Geburt der Tragödie und die griechische Welt

In seinem ersten Buch, Die Geburt der Tragödie, untersucht Nietzsche die griechische Welt. Er sieht hinter ihrem traditionellen Optimismus einen düsteren, pessimistischen Hintergrund. Insbesondere die Geburt der Tragödie enthüllt den latenten Pessimismus der griechischen Welt. Das Studium der antiken griechischen Kultur öffnet die Tür zu einem anderen Griechenland, das bisher immer auf Desinteresse stieß.

Apollonisches und Dionysisches Prinzip

Die gesamte griechische Zivilisation scheint von zwei Prinzipien dominiert zu sein, die mit den Göttern Apollon und Dionysos identifiziert werden. Dionysos repräsentiert Chaos, Unordnung, das Irrationale und die Triebkräfte des Menschen, während Apollon Gleichgewicht, Harmonie, Rationalität und Ordnung verkörpert. Es scheint, als ob in der griechischen Welt Apollon bevorzugt wurde, doch Dionysos und Apollon brauchen einander.

Das Gleichgewicht in der Tragödie

Jeder Mensch hat zwei Aspekte: Chaos und Ordnung, Hingabe und Kontrolle. Für Nietzsche entsteht Ordnung jedoch auch aus dem Chaos: Sie dient als Hindernis für übermäßige Unordnung. Die griechische Tragödie schafft ein Gleichgewicht zwischen dem dionysischen und dem apollinischen Geist. In den Szenen werden schreckliche Ereignisse dargestellt, die den Zuschauern jedoch Vergnügen bereiten.

Dionysos und Apollon im menschlichen Leben

Für Nietzsche existiert auch im menschlichen Leben sowohl ein dionysischer als auch ein apollinischer Aspekt: der Versuch, eine Situation zu kontrollieren, die hin und wieder zu chaotisch wird, aber auch das Vergnügen des Loslassens, des Kontrollverlusts und der Enthemmung.

Das Leben als Kunstwerk

Die Bedeutung der Vergangenheit und Zukunft

Für Nietzsche muss das Leben in all seinen Nuancen, guten wie schlechten, bejaht werden. Es ist das Wichtigste, was wir haben, der höchste Wert, der über allem steht. Um wirklich zu leben, dürfen wir nicht in der Vergangenheit verankert bleiben. Die Vergangenheit ist Geschichte, ist Erinnerung. Das Leben ist nicht nur Vergangenheit, sondern auch ein Zukunftsprojekt. Zu handeln, zu leben, erfordert ein gewisses Maß an Vergesslichkeit und Unwissenheit. Alles zu wissen hilft nicht. Dies ist ein Paradox, das eindeutig das Primat der Vernunft verneint.

Kunst und Kreativität

Um zu leben, muss der Mensch auf die Kunst zurückgreifen. Die Kunst fördert die Kreativität und ist für Nietzsche unerlässlich. Das Leben selbst muss als Kunstwerk interpretiert werden, das heißt, man muss künstlerisch leben und stets Werte schaffen. Schöpfer von Werten zu sein bedeutet, die Horizonte des Lebens zu erweitern und neue Lebensformen zu finden.

Religion und ihre Funktion

Auch Religion ist für Nietzsche wichtig. Trotz seiner ständigen Angriffe auf die dogmatische Religion – er ist der Autor des Antichristen – glaubte er, dass ihre Mythen, fantastischen Bilder und Rituale den Menschen zu Handlungen anspornen können.

Die Genealogie der Moral

Kritik der westlichen Moral

Die Genealogie der Moral kritisiert die moralische Kraft durch die Untersuchung des Ursprungs der moralischen Grundsätze des Westens seit Sokrates. Nietzsche widersetzt sich aller Vernunft und wissenschaftlichen Logik und ist daher ein scharfer Kritiker der spekulativen Vernunft und der gesamten westlichen Kultur in all ihren Ausprägungen: Religion, Moral, etc. Die Genealogie der Moral soll die Philosophie dazu bringen, die Fragen zu beantworten, die er selbst aufwirft.

Herren- und Sklavenmoral

Er unterscheidet zwei Klassen: Herren und Sklaven. Die Herren-Klasse wiederum besteht aus zwei Typen: den Kriegern und den Priestern, die aristokratische bzw. priesterliche Werte vertreten. Beide Parteien verfolgen unterschiedliche Ziele. Beide Kasten sind Rivalen.

Die Umkehrung der Werte

Diese Rivalität ermöglicht den Sprung von einer Herrenmoral zu einer Sklavenmoral, indem die Priester die Sklaven gegen die Krieger mobilisieren. Diese Mobilisierung wird durch die Umkehrung der aristokratischen Werte möglich, wodurch eine Sklavenmoral entsteht, die vom Christentum geerbt und übernommen wird. Nur dann triumphieren die Priester über die Krieger.

Nihilismus und der Übermensch

Der „Tod Gottes“ und der Nihilismus

Da Nietzsche ein Leugner der traditionellen Moral ist, scheint es, als würde er den Wert des Wertes leugnen. So scheint es, als sei er ein Nihilist, der den vollen Wert in nichts auflöst. Nietzsche glaubte, dass vor der Schaffung neuer Werte eine Zeitspanne nötig ist, eine Phase, in der es einige Übermenschen geben wird, die die Zukunft einleiten können – jene, die von anderen als krank, verrückt, unzeitgemäß bezeichnet werden. Diese Menschen sind Teil der Aufgabe, neue Werte zu erfinden und zu schaffen.

Merkmale des Übermenschen

Der Übermensch schämt sich nicht, seine Impulse und Sinne zu leben, und strebt nach Freude und Glück. Er hat „Treue zur Erde“, preist die Gesundheit und ist ein kreativer Mensch. Er lebt nicht nach „du musst“, sondern nach „ich will“. Nietzsche kritisiert den „Geist der Schwere“, den er auch bei Kant verortet. Bevor der Übermensch entstehen kann, wird der Mensch eine nihilistische Phase durchleben, eine Zeit der Angst vor der nietzscheanischen Frage nach dem „Tod Gottes“. Dieses Ereignis, natürlich metaphorisch, ist symptomatisch für den Zustand der Gesellschaft im neunzehnten Jahrhundert: Nachdem alle Werte in einer jenseitigen, göttlichen Welt gegründet wurden, erkennt der Mensch, dass diese göttliche Welt eine bloße Projektion des Menschen ist, was zum Verlust der Werte und zum Nihilismus führt.

Die Ewige Wiederkehr

Eine passive Phase wird von einer Zeit abgelöst, die bereits andere Werte kennt, und diese müssen die folgenden Merkmale aufweisen:

  • Sie akzeptieren weder die Scham der Instinkte und Sinne noch die Scham des Körpers oder der Selbsterniedrigung.
  • Alle diese Werte folgen der Aussage „ich will“ und nicht dem Ergebnis „ich verdanke“, das heißt, Werte sind nicht Früchte des Ernstes und der Pflicht.
  • Werte sind nicht von Verbitterung, Rache oder Reaktion geprägt, sondern Werte der Bejahung des Lebens, der aktiven Bejahung.

Die Zeit des Übermenschen, des kommenden Menschen, wird die ewige Wiederkehr sein, das heißt, eine Ära, in der jeder Augenblick einen unendlichen Wert hat und in der man Unsterblichkeit erlangen kann.

Verwandte Einträge: