Grundlagen des Strafrechts: Eine Einführung

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Einführung ins Strafrecht

Lektion 1: Grundlagen

Strafrecht und soziale Kontrolle

Begriff des Strafrechts

Strafrecht: Der Zweig der Rechtsordnung, der die staatliche Strafgewalt (ius puniendi) regelt, indem er bestimmt, was strafbar ist (missbilligenswertes Verhalten) und welche Rechtsfolgen damit verbunden sind.

Rechtliche Folgen einer Straftat

Im deutschen Recht gilt ein zweispuriges System der Rechtsfolgen:

  • Strafen: Die primäre Folge als Reaktion auf die schuldhaft begangene Tat (z.B. Freiheitsstrafe, Geldstrafe).
  • Maßregeln der Besserung und Sicherung: Treten neben oder anstelle der Strafe hinzu und orientieren sich an der Gefährlichkeit des Täters (z.B. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, Entziehung der Fahrerlaubnis).

Einige Autoren befürworten einen dritten Weg: den Täter-Opfer-Ausgleich oder die Schadenswiedergutmachung, die die Strafe ersetzen, ergänzen oder mildern können, wenn dies zur Befriedigung der Strafzwecke und der Bedürfnisse des Opfers beiträgt.

Bedeutungen des Strafrechtsbegriffs
  • Strafrechtsdogmatik oder Strafrechtswissenschaft: Die Disziplin, die sich mit der Auslegung, Systematisierung und Weiterentwicklung der Normen und wissenschaftlichen Erkenntnisse im Bereich des Strafrechts befasst.
  • Strafrecht im subjektiven Sinn (ius puniendi): Bezeichnet das Recht des Staates, für begangenes Unrecht zu strafen.
  • Strafrecht im objektiven Sinn (ius poenale): Bezeichnet die Gesamtheit der Rechtsnormen des positiven Rechts, die die Voraussetzungen (Tatbestand) und Folgen (Strafe, Maßregel) der Strafbarkeit regeln, um das menschliche Zusammenleben in der Gemeinschaft zu schützen und die wertvollsten Rechtsgüter zu sichern.
Soziale Kontrolle: Konzept

Sie ist eine Grundbedingung des gesellschaftlichen Lebens. Jede Gemeinschaft sichert durch sie die Einhaltung von Regeln und Verhaltenserwartungen ihrer Mitglieder, die für ihr Fortbestehen notwendig sind. Gleichzeitig schränkt sie die Freiheit des Einzelnen ein und fördert seine Sozialisation als Teil der Gruppe.

Umfasst: kollektive Normen, soziale Sanktionen und Steuerungsprozesse, die Druck auf das Verhalten ausüben.

Formen sozialer Kontrolle
  • Informelle soziale Kontrolle: Sitten, Gebräuche, öffentliche Meinung, Erziehung, Medien etc.
  • Formale soziale Kontrolle: Rechtliche Vorschriften im Allgemeinen, Strafrecht im Besonderen.
Strafrecht als formale Kontrolle

Das Strafrecht als eine mittels Recht hoch formalisierte soziale Kontrolle umfasst:

  • Normen: Definieren abweichendes Verhalten als kriminell (Tatbestände).
  • Sanktionen: Reaktionen auf diese Verhaltensweisen (Strafen und Maßregeln).
  • Verfahren und institutioneller Apparat: Zur Durchsetzung der Normen und Sanktionen (Strafprozessrecht, Gerichte, Staatsanwaltschaft, Polizei, Justizvollzug).

Funktionen des Strafrechts

Die Funktionen des Strafrechts hängen vom jeweiligen Staatsmodell und dem zugrunde liegenden Strafzweck ab.

Strafzwecktheorien im Überblick

Hinsichtlich des Strafzwecks gibt es folgende Theorien:

  • Absolute Theorien (Vergeltungstheorien): Die Strafe dient allein der Vergeltung begangenen Unrechts und dem gerechten Schuldausgleich. Sie ist Zweck an sich, ein Übel, das dem Täter wegen seiner Tat zugefügt wird, um Gerechtigkeit wiederherzustellen (Kant, Hegel).
  • Relative Theorien (Präventionstheorien): Die Strafe hat einen präventiven Zweck: die Verhütung künftiger Straftaten. Man unterscheidet:
    • Generalprävention: Wirkung auf die Allgemeinheit (negativ: Abschreckung; positiv: Stärkung des Normbewusstseins und des Vertrauens in die Rechtsordnung).
    • Spezialprävention: Wirkung auf den Täter (negativ: Abschreckung, Sicherung; positiv: Resozialisierung).
  • Vereinigungstheorien (Gemischte Theorien): Verbinden Vergeltungs- und Präventionsgedanken. Die Strafe soll sowohl gerechter Schuldausgleich sein (Schuldprinzip als Grenze) als auch präventiven Zwecken dienen. Dies ist die heute herrschende Auffassung in Deutschland.
Staatsmodelle und Strafrecht
  • Theokratischer Staat: Strafrecht als Vergeltung göttlichen Willens.
  • Absolutistischer Staat: Strafrecht dient der unbegrenzten Generalprävention zur Machtsicherung des Staates.
  • Klassischer liberaler Staat: Strafe als Instrument zur Sicherung bürgerlicher Freiheiten durch Begrenzung staatlicher Macht (z.B. durch Gesetzlichkeitsprinzip).
  • Sozialstaat: Aufgabe des Strafrechts ist der Schutz der Gesellschaft und die Kriminalitätsbekämpfung, auch durch spezialpräventive Instrumente wie Maßregeln der Besserung und Sicherung.
  • Demokratischer Rechtsstaat: Verbindet liberale Garantien mit sozialen Schutzaufgaben.
Funktionen im demokratischen Rechtsstaat

Das Strafrecht (StR) hat hier mehrere, sich ergänzende Funktionen:

  • Schutz von Rechtsgütern und Verhaltenssteuerung: Schutz elementarer Werte des Gemeinschaftslebens (Rechtsgüter wie Leben, Eigentum, Freiheit) durch Androhung und Verhängung von Strafen, um Bürger zur Normbefolgung zu motivieren (primär durch positive Generalprävention).
  • Bekräftigung sozialethischer Werte: Das Strafrechtssystem soll grundlegende Wertvorstellungen der Gesellschaft bestätigen.
  • Stabilisierung des Normvertrauens: Durch die Sanktionierung von Normverstößen wird das Vertrauen der Allgemeinheit in die Geltung der Rechtsordnung gestärkt und die Bereitschaft zur Rechtstreue gefördert (positive Generalprävention).

Anthropologische Grundlagen

Das Menschenbild im Strafrecht

Das Strafrecht basiert auf einem bestimmten Menschenbild. Es erkennt den Menschen als verantwortliches Wesen an und spiegelt das jeweilige historische und kulturelle Verständnis vom Menschen wider, da sich die Rechtsordnung mit gesellschaftlichen Veränderungen wandelt.

Ein teleologisch (zweckorientiert) verstandenes Strafrecht, das auf anthropologischen Grundlagen beruht, muss den Menschen anerkennen als:

  • Wesen, dessen Verhalten normativ reguliert werden kann.
  • Wesen, dessen Verhalten bewertet (missbilligt) werden kann (Schuldfähigkeit).
  • Wesen, das innerhalb der Naturgesetze handlungsfähig ist.
  • Wesen mit Selbstbewusstsein und (zumindest relativer) Willensfreiheit, das zur Selbstbestimmung fähig ist.

Die zentralen Begriffe des Strafrechts sind die Straftat (als rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten), die Strafe und die Maßregeln der Besserung und Sicherung als Rechtsfolgen.

Grundlegende Ausrichtungen des Strafrechts

Tat- vs. Täterstrafrecht
  • Tatstrafrecht: Knüpft die Strafbarkeit allein an die Begehung einer konkret umschriebenen Tat an. Persönliche Eigenschaften des Täters sind primär nur bei der Strafzumessung und bei Maßregeln relevant. Die Straftat verletzt oder gefährdet Rechtsgüter.
  • Täterstrafrecht: Stellt auf den gefährlichen Charakter, die Gesinnung oder den Lebenswandel des Täters ab (im reinen Täterstrafrecht wäre bereits die Gefährlichkeit an sich strafbar, was mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar ist).
Schuldprinzip vs. Gefährlichkeit
  • Schuldstrafrecht: Setzt voraus, dass dem Täter sein Verhalten persönlich vorwerfbar ist, weil er sich normgemäß hätte verhalten können und müssen (Prinzip: Keine Strafe ohne Schuld). Die Strafe bemisst sich nach dem Maß der Schuld.
  • Maßregelrecht / Gefährlichkeitsorientierung: Geht davon aus, dass manche Täter aufgrund ihres Zustands gefährlich sind. Hier sind nicht Schuld und Strafe, sondern Gefährlichkeit und Sicherung (durch Maßregeln) leitend.
Liberales vs. Autoritäres Strafrecht
  • Liberales Strafrecht: Dient dem Schutz der Freiheit des Bürgers vor staatlicher Willkür durch Betonung von Rechtssicherheit und Garantien (Gesetzlichkeitsprinzip: Bestimmtheitsgebot, Rückwirkungsverbot, Analogieverbot; Schuldprinzip).
  • Autoritäres Strafrecht: Betont die Pflichten des Bürgers gegenüber dem Staat und ordnet individuelle Rechte dem (vermeintlichen) Staatsinteresse unter; oft verbunden mit Tendenzen zum Täterstrafrecht und unbestimmten Tatbeständen.

Fazit: Das deutsche Strafrecht ist überwiegend ein Tat- und Schuldstrafrecht mit liberalen rechtsstaatlichen Garantien, ergänzt um das zweckorientierte Maßregelrecht zur Bewältigung von Tätergefährlichkeit.

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