Immanuel Kant: Erkenntnistheorie und Ethik der Aufklärung

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Immanuel Kant (18. Jahrhundert)

Immanuel Kant, ein deutscher (preußischer) Philosoph der Aufklärung, gilt für viele Denker als entscheidender Wendepunkt – sowohl als Kulminationspunkt vorheriger Strömungen als auch als Ausgangspunkt für neue philosophische Entwicklungen. Kant strebte eine streng wissenschaftliche Untersuchung der gesamten Philosophie an und legte zugleich den Grundstein für eine neue Philosophie.

Die Kopernikanische Wende in der Erkenntnis

Bei Kant findet die sogenannte kopernikanische Wende statt. Ähnlich wie Kopernikus eine grundlegende Verschiebung im Weltbild seiner Zeit bewirkte, stellt Kants Wende einen Wendepunkt im Verständnis menschlicher Erkenntnis dar: Nicht das Objekt gibt die Bedingungen des Erkenntnisprozesses vor, sondern das Subjekt. Diese Bedingungen sind a priori Strukturen oder Elemente unserer Vernunft. Das bedeutet, dass diese Bedingungen unabhängig von der Erfahrung sind und uns durch die Vernunft gegeben werden, wie beispielsweise Zeit und Raum, mit denen wir das Erfahrene organisieren. Ohne diese Strukturen und Elemente der Vernunft könnten wir die Dinge, selbst wenn wir sie durch die Sinne wahrnehmen, nicht erkennen.

Zwei Gebrauchsweisen der Vernunft

Für Kant ist die menschliche Vernunft einzigartig, hat aber zwei Gebrauchsweisen:

  • Theoretische oder spekulative Vernunft: Dient dem Aufbau der Wissenschaft (universell).
  • Praktische Vernunft: Dient dem Aufbau der Moral (universell).

Kant argumentierte, dass, wenn jeder Mensch eine universelle Moral hätte und wir alle die Vernunft nutzten, um das Gute zu bestimmen, wir autonom wären und niemanden bräuchten, der uns sagt, was zu tun ist. Dies könnte zum „ewigen Frieden“ führen.

Zeit und Raum existieren nach Kant nicht als Dinge an sich, sondern sind subjektive Formen der Anschauung, die zum Subjekt gehören und dazu dienen, die Wirklichkeit zu organisieren. Die Zeit ist nicht objektiv; sie hängt von der Wahrnehmung und Organisation durch das Subjekt ab.

Das Erkenntnisproblem und das moralische Problem

Kant behandelt das Erkenntnisproblem hauptsächlich in der Kritik der reinen Vernunft (KrV) von 1781, die den theoretischen oder spekulativen Gebrauch der Vernunft zum Aufbau der Wissenschaft untersucht. Das moralische Problem wird in der Kritik der praktischen Vernunft (KpV) von 1787 erörtert, die sich mit dem praktischen Gebrauch der Vernunft befasst.

Kant stellt fest: „Alle Erkenntnis hebt zwar mit der Erfahrung an, entspringt aber darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung.“ Denn es gibt Erkenntnis, die aus der Vernunft selbst stammt. Damit verbindet er Elemente des Empirismus (Erkenntnis beginnt mit Erfahrung) und des Rationalismus (Erkenntnis stammt auch aus der Vernunft). Wir erkennen durch Sinne und Vernunft gemeinsam. Beide sind notwendig: Was wir durch die Sinne wahrnehmen, muss durch die Vernunft überprüft und strukturiert werden. Was wir nicht erfahren können, können wir auch nicht erkennen. Wissen entsteht, wenn das, was unsere Sinne liefern, durch die Vernunft erklärt und geordnet wird. Die Sinne liefern die „Materie“ (den Inhalt) der Erkenntnis, die Vernunft liefert die a priori Strukturen (die „Form“), die dieser Materie Form und Sinn geben.

Stufen der Erkenntnis

h4: Sinnlichkeit

Auf dieser Stufe entsteht das Phänomen (die Erscheinung), das Objekt der Erfahrung. Um zu erkennen, benötigen wir Sinne und Vernunft. Die Sinne liefern uns Empfindungen. Damit diese Empfindungen Sinn ergeben, wenden wir die a priori Strukturen von Raum und Zeit an, um die Empfindungen zu ordnen und die Anschauung zu ermöglichen. Das Phänomen ist das, was wir in Raum und Zeit verorten und somit erfahren können. Im Gegensatz dazu steht das Noumenon (das Ding an sich), von dem wir keine Erfahrung haben können, da wir es nicht in Raum und Zeit verorten können. Raum und Zeit sind keine realen, objektiven Dinge, sondern subjektive Strukturen (Formen der Anschauung), die das menschliche Subjekt mitbringt, um der Realität Struktur und Sinn zu geben. Die Sinnlichkeit ist insofern passiv, als sie die Anschauungen empfängt.

h4: Verstand

Das vom Sinn erfasste Phänomen gelangt zum Verstand. Der Verstand hat die Aufgabe, die durch die Sinnlichkeit produzierten Phänomene zu denken oder zu beurteilen. Er wendet dazu Kategorien an – reine Verstandesbegriffe a priori (z.B. Kausalität, Substanz, Einheit, Möglichkeit). Durch die Anwendung der Kategorien auf die Anschauungen entstehen Urteile und somit der Gegenstand der Erkenntnis. Es gibt auch empirische Begriffe, die wir aus der Erfahrung ableiten, aber die reinen Begriffe (Kategorien) stammen nicht aus der Erfahrung. Sie sind inhaltsleer, geben aber der erfahrenen Realität Struktur und Kohärenz. Urteile können beschreibend oder bestimmend sein. Der Verstand ist aktiv, da er die Phänomene durch Begriffe und Urteile strukturiert. Hier findet die zweite Synthese statt. Die Einbildungskraft dient als Vermittler zwischen Sinnlichkeit und Verstand.

h4: Vernunft

Auf dieser Ebene findet keine Erkenntnis im strengen Sinne statt. Die Vernunft strebt nach der höchsten Synthese, indem sie versucht, alle durch den Verstand strukturierten Phänomene zu vereinheitlichen und auf etwas Erstes und Unbedingtes zurückzuführen. Dies geschieht durch die transzendentalen Ideen: Ich, Welt und Gott. Diese Ideen geben unserem Wissen Einheit und Richtung. Das „Ich“ strukturiert die inneren Erscheinungen (Selbstbewusstsein). Die „Welt“ strukturiert die äußeren Erscheinungen. „Gott“ verleiht dem Ganzen einen letzten Sinn. Die Vernunft postuliert diese Ideen, um den letzten Grund und Sinn der Dinge zu denken.

Metaphysik als Wissenschaft?

In der KrV fragt Kant, ob Metaphysik eine Wissenschaft wie Mathematik und Physik sein kann. Für Kant muss Wissenschaft aus Urteilen bestehen, die:

  1. Allgemein und notwendig sind.
  2. Neues Wissen liefern (den Erkenntnisgehalt erweitern).

Hume nannte Urteile, die allgemein und notwendig, aber nicht erweiternd sind (wie „Ein Junggeselle ist ein unverheirateter Mann“), „Beziehungen von Ideen“ (Kant nennt sie analytische Urteile). Urteile, die erweiternd, aber nicht allgemein und notwendig sind (wie „Dieser Schwan ist weiß“), nannte Hume „Tatsachen“ (Kant nennt sie synthetische Urteile a posteriori).

Kant argumentiert, dass Wissenschaft auf synthetischen Urteilen a priori beruhen muss: Urteile, die sowohl allgemein und notwendig (a priori) als auch erweiternd (synthetisch) sind. Mathematik und Physik enthalten solche Urteile und sind daher Wissenschaften.

h4: Transzendentale Ästhetik und Logik

  • Transzendentale Ästhetik: Erklärt die Sinnlichkeit und wie synthetische Urteile a priori in der Mathematik möglich sind (durch die reinen Anschauungsformen Raum und Zeit).
  • Transzendentale Logik:
    • Analytik: Erklärt den Verstand und wie synthetische Urteile a priori in der Physik möglich sind (durch die Kategorien).
    • Dialektik: Erklärt die Vernunft und warum Metaphysik keine Wissenschaft sein kann. Die Metaphysik befasst sich mit den transzendentalen Ideen (Ich, Welt, Gott), die jenseits möglicher Erfahrung liegen (Noumena). Der Versuch, die Kategorien auf sie anzuwenden, führt zu unlösbaren Widersprüchen (Antinomien).

Wenn Metaphysik keine Wissenschaft ist, welche Bedeutung hat sie dann? Kant sieht ihre Bedeutung im Bereich der praktischen Vernunft und gibt ihr zwei Funktionen:

  • Positiv: Sie spornt die menschliche Forschung an, nicht stehenzubleiben.
  • Negativ: Sie zeigt die Grenzen der menschlichen Erkenntnis auf.

Die praktische Vernunft (KpV): Wie sollen wir handeln?

Für Kant soll der Mensch aus Achtung vor dem moralischen Gesetz handeln, das aus der Vernunft selbst entspringt. Eine Maxime ist ein subjektives Handlungsprinzip, während das Gesetz ein objektives und universelles Gebot ist.

Der Kategorische Imperativ

Das moralische Gesetz ist der kategorische Imperativ, das grundlegende Prinzip der reinen praktischen Vernunft. Kants Moralphilosophie ist daher eine formale Ethik, im Gegensatz zu den materialen Ethiken, die vor ihm dominierten.

h4: Materiale vs. Formale Ethik

  • Materiale Ethik:
    • Hat einen bestimmten Inhalt (z.B. Glückseligkeit, Lust).
    • Gibt konkrete Regeln oder Gebote an, um ein höchstes Gut zu erreichen (z.B. Epikurs Hedonismus: Strebe nach Lust, verstanden als Schmerzlosigkeit).
    • Ist heteronom (das Gesetz kommt von außen, z.B. aus der Natur oder von Gott).
    • Ihre Imperative sind hypothetisch („Wenn du X willst, tue Y“). Sie sind Mittel zum Zweck.
    • Beruht auf Erfahrung (a posteriori).
  • Formale Ethik (Kant):
    • Hat keinen bestimmten Inhalt, gibt kein höchstes Gut vor.
    • Sagt uns nicht, was wir tun sollen, sondern wie wir handeln sollen (gemäß einer allgemeingültigen Form).
    • Ist autonom (das Gesetz gibt sich die Vernunft selbst).
    • Ihr Imperativ ist kategorisch („Tue Y“, unbedingt). Er ist Zweck an sich selbst.
    • Beruht auf der Vernunft (a priori).

Handlungsarten und der gute Wille

Kant unterscheidet drei Arten von Handlungen in Bezug auf die Pflicht:

  1. Pflichtwidrige Handlungen: Illegal und unmoralisch.
  2. Pflichtgemäße Handlungen: Äußerlich legal, aber aus Neigung (nicht aus Pflicht) getan; moralisch neutral (legal, aber nicht moralisch wertvoll).
  3. Handlungen aus Pflicht: Legal und moralisch wertvoll, da sie aus Achtung vor dem Gesetz geschehen.

Was ist nach Kant gut? Gut ist allein der gute Wille. Ein Wille ist gut, wenn er nicht durch Neigungen, sondern allein durch die Pflicht, d.h. aus Achtung vor dem moralischen Gesetz, bestimmt wird. Nur Menschen mit einem guten Willen sind des Glücks würdig.

Postulate der praktischen Vernunft

Die Moralität setzt drei notwendige Annahmen (Postulate) voraus, die theoretisch nicht beweisbar sind:

  1. Freiheit: Ohne die Freiheit, sich für oder gegen das Gesetz zu entscheiden, wäre Moralität (und Zurechenbarkeit) unmöglich.
  2. Unsterblichkeit der Seele: Die vollständige Übereinstimmung des Willens mit dem moralischen Gesetz (Heiligkeit) ist in diesem Leben nicht erreichbar. Es bedarf eines unendlichen Fortschritts, der die Unsterblichkeit der Seele voraussetzt.
  3. Existenz Gottes: Gott wird postuliert als Garant dafür, dass Tugend (Handeln aus Pflicht) und Glückseligkeit letztendlich zusammenfallen, was in der Welt nicht immer der Fall ist. Gott stellt sicher, dass der moralisch Handelnde der Glückseligkeit würdig ist und sie auch erlangen kann.

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