Immanuel Kant: Leben, Werk und Erkenntnistheorie
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Immanuel Kant: Ein Überblick
Immanuel Kant wurde am 22. April 1724 in Königsberg, Preußen (heute Kaliningrad, Russland) geboren. Er verbrachte sein gesamtes Leben, fast 80 Jahre, in dieser Stadt und starb dort 1804. Kant stammte aus einer einfachen Familie; sein Vater war Sattler. Er wuchs in einem sehr religiösen Umfeld auf und erhielt seine Ausbildung inmitten großer Entbehrungen. Um seinen Lebensunterhalt während des Studiums zu bestreiten, gab er Privatunterricht. Später wurde er Erzieher in einer adligen Familie, die ein Schloss sechs Meilen von Königsberg entfernt besaß. Dies war vermutlich die weiteste Entfernung, die er jemals von seiner Heimatstadt zurücklegte.
Sein Lehrer, Martin Knutzen, führte ihn in die Mathematik, Philosophie und die Newtonsche Physik ein. Kant war bekannt für seine pünktlichen und strengen Gewohnheiten. Vor seinem Tod litt er unter Gedächtnisverlust und einem Rückgang seiner intellektuellen Fähigkeiten, was zu einem Zustand körperlicher und geistiger Erschöpfung führte, bedingt durch seine intensive geistige Arbeit.
Kants zentrale Fragen
Kant stellte drei grundlegende Fragen:
- Was kann ich wissen?
- Was soll ich tun?
- Was darf ich hoffen?
Jeder dieser Fragen widmete er ein eigenes Werk: Kritik der reinen Vernunft, Kritik der praktischen Vernunft und Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. In der *Kritik der reinen Vernunft* analysiert Kant die Struktur des menschlichen Wissens und die Grenzen seiner Erkenntnisfähigkeit. Er untersucht die "reine" Vernunft, also die Vernunft, die frei von allen empirischen Daten ist, um ihre Leistungsfähigkeit und Grenzen zu bestimmen. Kant konzentriert sich auf die Vernunft, um ihre Grenzen, ihre Fähigkeiten und die Fehler, die oft bei dem Versuch, über diese Grenzen hinauszugehen, begangen werden, zu bestimmen.
Wenn Kant von Wissen spricht, bezieht er sich auf die physikalisch-mathematischen Naturwissenschaften. Philosophie ist für ihn in erster Linie eine Theorie des Wissens.
Das sinnliche Wissen
Für Kant entsteht Wissen aus der Synthese zweier Elemente: einer *Materie* (empirische Daten) und einer *Form* (Raum und Zeit). Das sinnliche Wissen entsteht durch die Empfindungen, die von dem ausgehen, was Kant das "Ding an sich" nennt – die Realität, wie sie unabhängig vom erkennenden Subjekt existiert. Ein Baby kann zwar alle möglichen Empfindungen empfangen, aber man kann nicht behaupten, dass es die Dinge an sich erkennt. Für die Erkenntnis ist das Eingreifen des zweiten Elements, der Form, erforderlich.
Für Kant sind *Raum und Zeit* diese Formen. Sie sind "Behälter", die das Wissen ordnen und dazu dienen, die Empfindungen, die vom Ding an sich ausgehen, zu strukturieren. Es handelt sich um *a priori*-Formen (unabhängig von der Erfahrung). Die räumliche und zeitliche Anordnung der Empfindungen führt zum *Phänomen* – dem, was im Bewusstsein erscheint und Gegenstand der Erkenntnis ist. Das Phänomen ist das Ergebnis der Empfindungen des Dings an sich und ist in Raum und Zeit geordnet. Raum und Zeit sind für Kant *a priori*-Formen der Sinnlichkeit, unabhängige Elemente der Erfahrung, die sinnliches Wissen ermöglichen. Sie sind nicht selbst Produkt der Erfahrung, sondern machen Erfahrung erst möglich.
Raum und Zeit sind insofern subjektiv, als sie an das Subjekt gebunden sind. Es ist jedoch nicht so, dass jedes Subjekt seinen eigenen Raum und seine eigene Zeit hat. Raum und Zeit sind für jedes erkennende Subjekt gleich.
Das verstandesmäßige Wissen
Auch das verstandesmäßige Wissen besteht aus Materie und Form. Die Materie des verstandesmäßigen Wissens ist das *Phänomen*. Dieses ist zwar durch die Intelligenz gegeben, aber es ist noch kein intellektuelles Wissen, solange es nicht von der Intelligenz gedacht wird. Für intellektuelles Wissen sind die *Kategorien* erforderlich, die das formale Element bilden. Die Kategorien sind für das verstandesmäßige Wissen das, was Raum und Zeit für das sinnliche Wissen sind: Arten, die Welt der Objekte zu ordnen. Die Erscheinungen werden in dem Maße zu Erkenntnis, in dem sie durch die Kategorien gedacht werden.
Beispiele für Kategorien sind "Ursache und Wirkung" oder "Substanz und Akzidenz". Man könnte ein Metall beurteilen als "Das Metall dehnt sich durch die Wärme aus" (Kategorie: Ursache und Wirkung) oder als "Das Metall ist glänzend" (Kategorie: Substanz und Akzidenz). Kant listet zwölf Kategorien auf, die ebenso viele Möglichkeiten darstellen, die Objekte zu denken. Für Kant sind Kategorien *a priori*-Formen des Verstandes, völlig unabhängig von der Erfahrung und Bedingung der Möglichkeit intellektuellen Wissens. Die Kategorien sind an das erkennende Subjekt gebunden, aber sie sind für alle erkennenden Subjekte gleich.
Jenseits des Verstandes liegt die Vernunft. Mit der Vernunft kann man zwar denken, aber nicht erkennen, weil die Grenze der Erkenntnis die Erfahrung ist. Raum, Zeit und die Kategorien sind transzendentale Bedingungen der Erkenntnis, d.h. sie sind die Bedingungen der Möglichkeit von Wissen.
Kants Zusammenfassung
Kant fasst seine Erkenntnistheorie in einem Satz zusammen: "Anschauungen ohne Begriffe sind blind und Begriffe ohne Anschauungen sind leer." Anschauung steht für das "Gegebene", d.h. die Materie (die Empfindungen im sinnlichen Wissen und die Phänomene im intellektuellen Wissen). Begriffe stehen für das formale Element (Raum und Zeit im sinnlichen Wissen und die Kategorien im intellektuellen Wissen). Kant meint damit, dass die Materie allein ein Chaos ist und die Empfindungen allein blind und chaotisch sind. Und das formale Element allein kann nichts erkennen.
Eine Konsequenz der Kantischen Theorie ist, dass das Ding an sich unerkennbar ist. Wir können nur das erkennen, was durch unsere erkenntnistheoretischen Instrumente vermittelt wird. Das Wissen ist durch die Erfahrung begrenzt. Wir können nicht wissen, was jenseits der Erfahrung liegt.
Analytische und synthetische Urteile
Für Kant besteht die Physik und Mathematik aus Aussagen, sogenannten Urteilen. Ein Urteil besteht aus einem Subjekt, über das etwas ausgesagt wird, und einem Prädikat, das etwas über das Subjekt aussagt. Jedes Urteil lässt sich auf die Form "S ist P" reduzieren. Kant unterscheidet zwei Arten von Urteilen:
- Analytische Urteile: Das Prädikat ist bereits im Begriff des Subjekts enthalten. Beispiel: "Ein Dreieck hat drei Ecken." Dies ist analytisch, weil der Begriff "drei Ecken" bereits im Begriff "Dreieck" enthalten ist.
- Synthetische Urteile: Das Prädikat ist *nicht* im Begriff des Subjekts enthalten. Beispiel: "Wärme dehnt Körper aus." Der Begriff "Ausdehnung" ist nicht im Begriff "Wärme" enthalten. Synthetische Urteile verbinden heterogene Elemente in Subjekt und Prädikat.
Warum sind analytische Urteile wahr?
Weil sie auf dem Prinzip der Identität beruhen. Das Prädikat wiederholt lediglich, was bereits im Subjekt enthalten ist. Man spricht auch von einer "Tautologie" (tauto = dasselbe, logie = Aussage).
Warum sind synthetische Urteile wahr?
Die Grundlage synthetischer Urteile ist die Erfahrung. Die Aussage "Wärme dehnt Körper aus" ist wahr, weil wir dies in der Erfahrung beobachten.
A priori und a posteriori Urteile
Urteile können auch danach klassifiziert werden, ob sie auf Erfahrung beruhen oder nicht:
- A priori Urteile (vorher): Diese Urteile sind *nicht* aus der Erfahrung abgeleitet und sind universell und notwendig. Sie erweitern unser Wissen nicht, da sie keine neuen Informationen liefern. Beispiele: "Jedes Quadrat hat vier Seiten", "Gerade Zahlen sind durch zwei teilbar".
- A posteriori Urteile (nachher): Diese Urteile sind aus der Erfahrung abgeleitet und sind zufällig und partikulär. Sie liefern neue Informationen. Beispiele: "Äpfel sind süß", "Stifte schreiben".
Synthetische Urteile a priori
Synthetische Urteile a priori sind diejenigen, die die Wissenschaft voranbringen, da sie Informationen liefern und gleichzeitig universell und notwendig sind. Sie sind synthetisch, weil das Prädikat Informationen enthält, die nicht im Subjekt enthalten sind, und sie sind a priori, weil sie vor aller Erfahrung gelten.
Beispiele:
- "Jeder Körper hat einen Platz im Raum."
- "Die Materie verwandelt sich, wird aber nicht vernichtet."
Diese Urteile sind grundlegend für Kants Verständnis von Wissenschaft und Erkenntnis.