Interpretation und Analyse: Wolfgang Borcherts „Das Brot“
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Einleitung: Veröffentlichung und Handlung
Die Kurzgeschichte „Das Brot“ wurde 1949, zwei Jahre nach Wolfgang Borcherts Tod, veröffentlicht. Die Handlung beginnt, als eine Frau nachts aufwacht. Sie bemerkt, dass ihr Mann nicht mehr neben ihr liegt und hört Geräusche aus der Küche. Als sie sich dorthin begibt, findet sie ihren Mann und einige Brotkrumen vor, die auf einer Decke verteilt liegen. Beide unterhalten sich über die Geräusche, die sie vernommen haben. Die Frau und ihr Mann suchen immer weitere Ausreden, um von dem Fehltritt, dem heimlichen Essen des Mannes, abzulenken. Letztendlich gehen beide wieder ins Bett. Am nächsten Abend gibt die Frau von ihren drei Brotscheiben dem Mann eine ab, sodass er vier essen kann. Der Mann möchte eigentlich nicht, dass sie so wenig isst, und bekommt, wahrscheinlich wegen des Vorabends, ein schlechtes Gewissen.
Charakterisierung und Erzählstruktur
In dieser Kurzgeschichte gibt es zwei Personen – den Mann und die Frau –, welche indirekt vom Erzähler durch ihre Handlungen charakterisiert werden. Es fällt auf, dass die Frau genauer beschrieben wird als der Mann. Außerdem werden weder er noch sie beim Namen genannt, was darauf hindeuten könnte, dass diese Kurzgeschichte für die Allgemeinheit gelten soll.
Die Frau: Ordnungsliebe und Fürsorge
Der Frau können anhand des Textes einige Charaktereigenschaften zugewiesen werden:
- Ordnungsliebe: Sie ist sehr ordentlich, denn „[sie machte] immer das Tischtuch sauber.“ (Z. 10)
- Fürsorge: Sie ist sehr fürsorglich, denn sie meint zu ihrem Mann: „Du hättest Schuhe anziehen sollen. Du erkältest dich noch.“ (Z. 19f.). Dieser Satz zeigt, dass sie, obwohl sie enttäuscht von ihrem Mann ist, noch immer Sorge um seine Gesundheit hat.
- Ehrlichkeit: „Sie sah ihn nicht an, weil sie nicht ertragen konnte, dass er log. Dass er log, nachdem sie neununddreißig Jahre verheiratet waren.“ (Z. 21f.) Diese Aussage könnte darauf hindeuten, dass die Frau ein sehr ehrlicher Mensch ist, der nicht lügt.
- Hilfsbereitschaft und Selbstlosigkeit: Kurz darauf wirkt sie wieder sehr fürsorglich, als sie zu ihrem Mann meint: „Komm man zu Bett. Du erkältest dich noch, Auf den kalten Fliesen.“ (Z. 27f.). Am nächsten Abend zeigt die Frau dann einen sehr selbstlosen Charakterzug, da sie ihrem Mann vorschlägt, eine Scheibe von ihrer Brotration zu seiner hinzuzunehmen: „Du kannst ruhig vier essen.“ (Z. 54).
Der Mann: Realismus und innerer Konflikt
Der Mann hingegen wird, wie bereits erwähnt, wesentlich weniger charakterisiert, trotzdem war auch hier einiges zu finden. Auch er wirkt wie ein sehr direkter, realistisch denkender Mensch, da auch er bei seiner Frau feststellt: „Sie sieht doch schon alt aus. Bei den Frauen liegt das nachts immer an den Haaren.“ (Z. 16f.). Er scheint die Welt so zu sehen, wie sie ist, und versucht nicht, sie zu verschönern. Seine Tat (das heimliche Essen) passt im Prinzip gar nicht zu seinem Charakter. Dies zeigt sich auch am Ende der Geschichte, als er schließlich zu seiner Frau meint: „Du kannst doch nicht nur vier Scheiben essen.“ (Z. 61).
Nach dieser Charakterisierung lässt sich kurz zusammenfassen, dass es sich in dieser Kurzgeschichte um ein älteres, einfaches Ehepaar handelt, welches ein Kommunikationsproblem hat. Dieses Problem wird bis zum Ende der Geschichte nicht gelöst.
Konzeption und Darstellung der Figuren
Zur Konzeption lässt sich sagen, dass die Personen sehr undetailliert dargestellt werden. Man erfährt kaum etwas über ihr Aussehen, ihr Leben oder ihre Familie.
Erzählzeit, Erzählraum und Erzählperspektive
Im Großen und Ganzen wird die Geschichte in chronologischer Reihenfolge erzählt, allerdings hat sie keine klassische Einleitung und ein offenes Ende, da das Kommunikationsproblem ungelöst bleibt. Beim Erzähltempo ist zunächst eine Zeitdeckung vorhanden, da die Kurzgeschichte in einer Art Dialog erzählt wird. Der Satz „Als er am nächsten Abend […].“ (Z. 51) zeigt allerdings eine Zeitraffung gegen Ende der Kurzgeschichte.
Der Handlungsraum beschränkt sich hier auf das Schlafzimmer und die Küche des alten Ehepaars. Als Raumsymbole könnten die Brotkrumen oder die Lampe als Offenbarer der Wahrheit dienen. Die Kurzgeschichte findet in der erlebten Rede statt. Sie beginnt außerdem nicht direkt am Anfang der Geschichte, sondern nimmt erst nachts ab der Küchenszene ihren Lauf. Der personale Er-Erzähler benutzt größtenteils den Erzählerbericht und nur teilweise die Figurenrede. Außerdem fällt auf, dass der Text in der Vergangenheitsform verfasst wurde.
Sprachliche Gestaltung und Stilmittel
Die Geschichte wurde zum großen Teil in der Umgangssprache verfasst. Außerdem werden häufig Wiederholungen gleicher Satzteile benutzt, was zur Verdeutlichung einer Sache dienen könnte. Der Text ist parataktisch aufgebaut, bedient sich eher einfacher Sätze und ist insgesamt im normalsprachlichen Stil verfasst.
Es sind viele rhetorische Mittel in Borcherts Kurzgeschichte vertreten:
- Anaphern: Vor allem könnte man hier auf den häufigen Satzanfang mit dem Personalpronomen „sie“ verweisen (Z. 3, 5, 6 etc.).
- Doppelpunkt als Ankündigung: In Zeile 4 folgt ein Doppelpunkt als Mittel der Ankündigung, um zu verdeutlichen, dass nicht irgendetwas fehlte, sondern nichts anderes als „sein Atem“ (Z. 4).
- Personifikation und Metapher: „Sie sah etwas Weißes am Kühlschrank stehen.“ (Z. 6). Dieser Satz beinhaltet zwei rhetorische Mittel. Einmal ist es eine Personifikation und auf der anderen Seite eine Metapher, wobei weiß für etwas eigentlich Unschuldiges stehen könnte, sodass der Mann als ehrlich und rein gesehen werden könnte. Kurz darauf folgt eine weitere Personifikation: „[…] wie die Kälte der Fliesen langsam an ihr hochkroch.“ (Z. 11f.).
- Parallelismen: Auffällig sind auch die häufigen Parallelismen (Z. 21, 24, 29 – 32, 54 – 55).
- Ellipsen: Das starke Vorkommen von Ellipsen (Z. 48) und die schon genannten häufigen Satzteilwiederholungen.
Diese stilistischen Mittel dienen dazu, den Konfliktkreis darzustellen, in welchem sich die beiden befinden, denn sollte dieses Kommunikationsproblem nicht gelöst werden, würden sie nie zu einer Lösung kommen.
Schlussfolgerung: Nachkriegszeit und Konflikt
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Epoche dieser Geschichte die Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges ist, was sehr deutlich wird. Das Hauptproblem ist das Kommunikationsproblem des älteren Ehepaars. Möglicherweise gehört dazu auch der Nahrungsmangel der damaligen Zeit, als der Mann das Brot um drei Uhr morgens isst, ohne gesehen zu werden. Die Geschichte wird authentisch und realistisch dargestellt. Das Problem mit dem Hunger und dem Brotmangel ist für unsere heutige Gesellschaft nicht mehr so bekannt, da nur wenige Personen einen derartigen Nahrungsmangel erleben. Dennoch stellt die Kurzgeschichte die Situation der Nachkriegszeit sehr gut dar, und man kann sich das Leben dieser Personen gut vorstellen.