Kants Erkenntnistheorie: Aufbau & Formen der menschlichen Erkenntnis
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Kants Erkenntnistheorie: Aufbau & Funktion
Für Immanuel Kant ist Wissen eine Synthese aus Begriff und Erfahrung. Wenn wir Wissen nur von reinen Begriffen erwarten, ist die Erkenntnis leer. Reduzieren wir Wissen hingegen ausschließlich auf Erfahrungen, ist die Erkenntnis blind.
Innerhalb der menschlichen Erkenntnisfähigkeit unterscheidet Kant drei Funktionen, die jeweils eine eigene Struktur haben und eine besondere Rolle bei der Entwicklung von Wissen spielen:
Die drei Erkenntnisfähigkeiten
Sinnlichkeit: Empfang von Eindrücken
Die Sinnlichkeit liefert das Material des Wissens durch die Sinne.
Verstand: Verarbeitung & Urteilsbildung
Der Verstand verarbeitet diese Materialien und bildet Urteile.
Vernunft: Argumentation & Grundlagensuche
Die Vernunft ordnet diese Urteile zu Argumentationsketten und sucht nach deren Grundlagen.
Die Natur der Sinnlichkeit
Die Sinnlichkeit ist die Fähigkeit, durch die der Mensch kognitiven Kontakt mit der Wirklichkeit aufnimmt. Sie ist die Welt der Sinne, die das Material des Wissens bereitstellt. Durch die Sinnlichkeit erscheint die Welt als eine Vielzahl von Farben, Formen, Gerüchen, Geräuschen usw. Dieses Material muss zu Wissen verarbeitet werden.
Die Empiristen glaubten, dass die menschliche Sinnlichkeit passiv sei und lediglich das widerspiegele, was die Außenwelt ihr präsentiere. Kant wies jedoch darauf hin, dass eine solche Passivität nicht plausibel ist. Die Sinnlichkeit empfängt Eindrücke, aber sie prägt diesem Material notwendigerweise eine bestimmte Form auf – die Form der Sinnlichkeit. Dies geschieht auf die gleiche Weise, wie eine Flasche der Flüssigkeit, die sie enthält, ihre eigene Kontur aufprägt.
Empirismus vs. Kants aktive Sinnlichkeit
Der Empirismus vertritt die Ansicht, dass der menschliche Geist ein „leeres Blatt“ (tabula rasa) ist und dass nichts im Verstand existiert, was nicht zuvor durch die Sinne wahrgenommen wurde.
Doch selbst ein „leeres Blatt“ ist nicht völlig passiv; seine eigene Form beeinflusst, welche Informationen darauf festgehalten werden können. Man kann darauf mit Bleistift, Feder oder unsichtbarer Tinte schreiben oder zeichnen. Es kann jedoch keine elektromagnetischen Informationen aufnehmen – dafür bräuchte man ein Band, das eine andere Beschaffenheit hat. Dies verdeutlicht Kants Position, dass die Sinnlichkeit nicht nur passiv empfängt, sondern aktiv strukturiert.
Raum und Zeit: Reine Formen der Sinnlichkeit
Diese Formen der Sinnlichkeit sind nichts anderes als Raum und Zeit. Sie sind „rein“, weil sie nicht durch Erfahrung kontaminiert sind; sie existieren vor aller Erfahrung und sind die einzige Art und Weise, wie wir Eindrücke empfangen können. Sie sind a priori und notwendige Formen.
Raum und Zeit sind wesentliche Bestandteile jeder Erfahrung: Keine menschliche Erfahrung kann außerhalb von Raum und Zeit stattfinden. Sie haben wiederum eine besondere Struktur:
- Die Struktur des Raumes ist das „reine Nebeneinander“.
- Die Struktur der Zeit ist das „reine Nacheinander“.
Diese Struktur prägt Raum und Zeit jeder Erfahrung auf. Alle unsere Erfahrungen betreffen Objekte, die nebeneinander existieren und aufeinander folgen. Raum und Zeit sind die Koordinaten, in denen sich unsere gesamte Erfahrung „abspielt“. Doch diese Koordinaten werden vom erkennenden Subjekt, dem Menschen, selbst bereitgestellt.
Während die Inhalte unserer Erfahrungen variieren können – was gestern schwarz war, ist heute weiß; was kalt schien, ist heute heiß –, so ist die Tatsache, dass alles in Raum und Zeit stattfinden muss, ein Indiz dafür, dass Raum und Zeit a priori, also angeboren, mit uns geboren sind und unseren Weg der Wirklichkeitserkenntnis bestimmen.