Kants Formale Ethik: Pflicht, Kategorischer Imperativ und Moral
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Kants Formale Ethik: Eine Einführung
Abgrenzung: Die Materialen Ethiken
Die materialen Ethiken behaupten, dass die ethische Güte oder Schlechtigkeit menschlichen Verhaltens von etwas abhängt, das als das höchste Gut für den Menschen gilt. Demnach handeln wir gut, wenn wir auf die Verwirklichung dieses höchsten Gutes hinarbeiten, und böse, wenn wir uns davon entfernen. Materiale Ethiken nehmen an, dass es ethische Güter gibt, die gut für den Menschen sind, und bestimmen, welches das höchste Gut und das letzte Ziel des Menschen ist (z. B. die Lust bei Epikur, das Glück bei Aristoteles, die Tugendhaftigkeit usw.). Abhängig von diesem höchsten Gut legen diese Ethiken Standards oder Anforderungen fest, um es zu erreichen.
Sämtliche materiale Ethiken haben einen ethischen Gehalt in diesem doppelten Sinne:
- Sie postulieren ein höchstes Gut.
- Sie schlagen Regeln vor, um dieses höchste Gut zu erreichen.
Kants Kritik an Materialen Ethiken
Kant lehnt die materialen Ethiken als mangelhaft ab. Seine Kritik basiert auf drei Hauptpunkten:
- Empirisch (A Posteriori): Ihr Inhalt wird aus der Erfahrung abgeleitet. Dies verhindert, dass ihre Prinzipien universell und a priori gültig sind.
- Hypothetisch: Ihre Vorschriften sind hypothetisch oder bedingt. Sie sind nicht absolut wertvoll, sondern nur bedingt gültig, um einen bestimmten Zweck zu erreichen. Dies verhindert ebenfalls ihre universelle Gültigkeit.
- Heteronom: Der Wille wird durch den Wunsch oder die Neigung zu etwas (z. B. Freude) bestimmt, und nicht durch das Gesetz selbst.
Die Notwendigkeit der Formalen Ethik
Angesichts der oben genannten Argumente folgert Kant, dass eine Ethik, die universell und rational sein soll, nicht materiell, sondern formal sein muss. Die formale Ethik muss in ihrem Inhalt leer sein, das heißt:
- Sie darf kein Gut oder Ziel vorgeben, das verfolgt werden soll.
- Sie sagt uns nicht, was wir tun sollen, sondern wie wir handeln sollen.
Handeln aus Pflicht: Das Fundament der Moral
Die formale Ethik zeigt uns lediglich, wie wir handeln sollen, unabhängig von der spezifischen Handlung. Ein Mensch handelt nach Kant moralisch, wenn er aus Pflicht handelt. Die Pflicht ist nach Kant die Notwendigkeit, aus Respekt vor dem Gesetz zu handeln – eine Unterwerfung unter ein Gesetz, die nicht durch den Nutzen oder die Befriedigung bestimmt wird, welche die Einhaltung liefern könnte, sondern allein aus Achtung vor dem Gesetz.
Drei Arten von Handlungen
Kant unterscheidet drei Arten von Handlungen:
- Pflichtwidrige Handlungen: Handlungen, die gegen die Pflicht verstoßen.
- Pflichtgemäße Handlungen: Handlungen, die im Einklang mit der Pflicht stehen, aber aus Neigung oder Eigennutz erfolgen.
- Handlungen aus Pflicht: Nur diese Handlungen haben moralischen Wert.
Beispiel: Angenommen, ein Händler verlangt von seinen Kunden keine überhöhten Preise. Seine Handlung ist pflichtgemäß. Aber vielleicht tut er dies, um Kunden zu binden. In diesem Fall ist die Maßnahme zwar im Einklang mit der Pflicht, aber nicht aus Pflicht getan. Die Handlung ist ein Mittel zum Zweck. Handelt er stattdessen aus Pflicht, d. h., weil er dies als seine Pflicht betrachtet, wird die Handlung nicht zu einem Mittel, sondern zum Selbstzweck; sie muss allein um ihrer selbst willen getan werden.
Der moralische Wert der Handlung liegt in dem Motiv, das ihre Ausführung bestimmt. Nur wenn dieses Motiv die Pflicht ist, besitzt die Handlung sittlichen Wert.
Der Kategorische Imperativ
Die moralisch zwingende Anforderung an das Handeln darf nicht hypothetisch, sondern muss kategorisch ausgedrückt werden. Kant bietet verschiedene Formulierungen des Kategorischen Imperativs an.
Erste Formulierung (Universalisierungsformel)
Die berühmteste Formulierung lautet:
„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“
Die Maxime bezieht sich auf das subjektive Prinzip des Wollens, das eigene Handlungsmotiv, das dem Willen durch den Kategorischen Imperativ der Vernunft auferlegt wird. Dieser Imperativ ist nicht materiell, da er nicht sagt, was zu tun ist. Er ist formal, da er vorschreibt, wie zu handeln ist. Er bietet eine Regel, um Handlungen zu messen, dank derer wir alle Maßnahmen bewerten und als angemessen oder unangemessen nach dem Prinzip der Pflicht qualifizieren können.
Zweite Formulierung (Menschheitsformel)
Eine weitere berühmte Formulierung des Kategorischen Imperativs lautet:
„Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“
Kant ist der Ansicht, dass der Mensch durch seine Autonomie gekennzeichnet ist, d. h. durch die Fähigkeit, sich selbst Gesetze zu geben oder Regeln kritisch zu folgen. Diese Fähigkeit ist einzigartig in der Natur und macht den Menschen zu einem außergewöhnlichen Wesen, das unvergleichlich zu anderen ist und daher keinen Preis, sondern einen Wert besitzt. Dieser Wert wird in dem grundlegenden ethischen Konzept der Kantischen Anthropologie ausgedrückt: der Würde. Die Würde verpflichtet uns, andere so zu behandeln, als wären sie Selbstzwecke, was bedeutet, dass wir sie nicht als bloße Dinge oder Mittel für unsere Bequemlichkeit benutzen dürfen.
Der Gute Wille und die Postulate der Praktischen Vernunft
Obwohl Kant es weitgehend vermied, über das Gute und das Schlechte zu sprechen, versteht er, dass es etwas unbedingt Gutes gibt: den Guten Willen – den Wunsch, immer das Richtige zu tun.
Kant glaubt, dass die Ethik (die praktische Vernunft) einige Annahmen hat, die nicht beweisbar sind, ähnlich wie die reine Vernunft. Diese Grundsätze sind die Postulate der Praktischen Vernunft:
- Freiheit: Ethik macht nur Sinn, wenn der Mensch frei ist, sich für oder gegen das moralische Gesetz zu entscheiden.
- Unsterblichkeit der Seele: Das höchste Gut, das die perfekte Übereinstimmung zwischen individuellen Wünschen und moralischer Pflicht darstellt (die Heiligkeit), ist in dieser Welt unmöglich zu erreichen. Es kann nur in einer unendlichen Existenz (Unsterblichkeit) vergeben werden.
- Existenz Gottes: Die Idee des Glücks (als notwendige Ergänzung zur Moralität) setzt die Existenz einer obersten Ursache der Natur voraus, die mit Verstand und Willen begabt ist, nämlich Gott.
Moral und Religion
Für Kant stellt die Moral den Menschen an die Schwelle der Religion. Doch obwohl die Moral zur Religion führt, ist sie nicht ihr Ziel, denn der Mensch strebt nicht nach Glück, sondern nach Vernunft. Die Religion dient der Moral als Hoffnung.