Körper, Schmerz und Kultur: Anthropologische Einsichten

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Körper, Leiden und Stärke: Eine Einführung

Der Schmerz ging schon immer Hand in Hand mit dem Menschen. Er ist Teil des täglichen Lebens und wichtiger Momente, dringt in Mythen, Kunst, Unterhaltung usw. ein. Der Mensch begriff, dass die Angst vor Schmerzen geboren wird und das Sterben schmerzhaft sein kann, sodass Schmerz einen Teil seiner Überlegungen über sein Leben ausmacht – eine Existenz, deren Handlungen ständig mit dem Streben nach Glück verbunden sind. Aber Schmerz ist so integriert, dass er zu beachtenden Komponenten dieser kulturalisierten Schöpfung wird. Er wird als Schlüssel für den menschlichen Körper angesehen.

Das kulturelle Konzept des Körpers

Dabei ist darauf hinzuweisen, dass der Körper eine kulturelle Konzeption darstellt, sodass Vorstellungen über seine anatomische Zusammensetzung oft von einer Gesellschaft zur anderen unterschiedlich sind. Dazu gehört auch eine gewisse Problematisierung unseres Körperkonzepts. Traditionell schien der Körper in der Anthropologie die universelle Basiskomponente zu sein, da alle Menschen in einem Merkmal unserer Spezies lebten, das für alle in seinen Grundzügen gleich ist. Dies war die Grundlage, um die universelle Gültigkeit der Biomedizin zu rechtfertigen, und ihre Diskussion ist der Schlüssel zu ihrer Kritik.

Der leidende Körper in der Medizinischen Anthropologie

Unsere aktuelle Betrachtungsweise ist besonders reflektierend, wenn wir uns speziell auf den leidenden Körper konzentrieren. Wir dürfen in unserer Studie des Körpers die existenzielle Erfahrung des menschlichen Subjekts nicht vergessen. Autarke und oft entfremdete individuelle sowie kollektive Erfahrungen des eigenen Körpers werden in der Medizinischen Anthropologie wieder in Form eines ganzheitlichen Körperverständnisses aufgegriffen. Zu diesen Ansätzen gehört Nancy Scheper-Hughes, die der rein klinischen Sicht eine anthropologische Perspektive entgegensetzt, die sich auf reale, lebende und leidende Körper konzentriert, die ihr Leiden experienziell erfahren.

Für sie ist die Anthropologie des Körpers – oder der Gesundheit und kulturellen Krankheit – an der Schnittstelle von drei separaten, aber überlappenden Analyseebenen aufgebaut:

  • Der erlebte Körper (individuell, persönlich, existenziell)
  • Der soziale Körper (als Symbol und Träger sozialer Bedeutungen)
  • Der Körper als Politikum (reguliert durch politische Kräfte und Biomacht)

Die Zuweisung von Bedeutung für den Körper findet auf diesen Ebenen statt. Die ersten beiden sind von Natur aus mit der Umwelt verbunden und bilden ein Verständnis aktueller Gesundheitsprobleme, das die Grundlage für die Kritik der reflexiven Anthropologie bildet.

Soziales Leiden und individuelle Erfahrung

Im existenziell leidenden Körper erfassen wir klarer das Gewicht der jeweiligen Kultur. Nach Singer und Bär ist „Das Leiden weit davon entfernt, eine Erfahrung einer einzelnen, isolierten Person zu sein. Ein großer Teil des Leidens in der Welt ist eng mit Veränderungen im globalen Wirtschaftssystem verbunden.“ Klinman merkte an, dass sich der Begriff Leiden nicht nur auf eine individuelle Erfahrung bezieht, sondern auch soziales Leiden umfasst, d.h. die unmittelbare Erfahrung tiefgreifender persönlicher menschlicher Probleme, die durch die grausame Ausübung politischer und wirtschaftlicher Macht verursacht werden.

Ein Beispiel hierfür ist der Anthropologe Robert Murphy, der die letzten Jahre seines Lebens mit Tetraplegie verbrachte. Als er zu einer behinderten Person wurde, entwickelte er eine Überempfindlichkeit gegenüber der gesellschaftlichen Stellung und der sozialen Behandlung von Menschen in seiner oder einer ähnlichen Situation. Er stellte auch fest, dass Menschen ihm manchmal auswichen und direkten Blickkontakt vermieden. Zusammenfassend litt er nicht nur an einer Krankheit des Körpers, sondern an einer Erkrankung des Selbst und der sozialen Beziehungen.

Fallbeispiel: Martha's Vineyard und Anpassung

Ein weiteres Beispiel ist der Fall der kleinen Insel Martha's Vineyard im Nordwesten der USA. Dort führte eine Kombination aus bestimmten genetischen Voraussetzungen und einem hohen Grad an Inzucht zu einem erhöhten Prozentsatz an gehörlosen Menschen. Dadurch hatte fast jede Familie ein oder mehrere von Gehörlosigkeit betroffene Mitglieder. Die meisten Inselbewohner machten sich mit der Gebärdensprache vertraut. So wurden Gehörlose nicht marginalisiert und konnten leichter am sozialen Leben ihrer Gemeinschaften teilnehmen. Dies förderte auch die Akzeptanz und Notwendigkeit von Gebärdensprachdolmetschern bei vielen Tätigkeiten und in den Medien.

Schmerz als soziales Phänomen und Widerstand

Es gibt viele andere Leiden, die den Körper betreffen, wie Hunger oder familiäre und berufliche Probleme. Der Umgang mit ihnen und das Nicht-Zusammenbrechen trotz des Leidens ist oft ein Zeichen des Widerstands und der Fähigkeit, sie zu überwinden. Alle menschlichen Erfahrungen werden durch den Körper gesammelt, der stets wichtige soziale Konnotationen trägt. Schmerz und Leiden werden somit geformt und in gewisser Hinsicht zu sozialen Instrumenten. Sie sind Phänomene, die beeinflussen, wie Individuen ihre Rolle in der Gesellschaft und ihre Staatsbürgerschaft erfahren und gestalten.

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