Lautliche Veränderungen und die großen Schreibsprachen im Mittelhochdeutschen
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Lautliche Veränderungen im Mittelhochdeutschen
Die Schwächung der unbetonten Nebensilbenvokale
Der auffallendste Unterschied zwischen dem Mhd. und dem Ahd. ist die Schwächung der unbetonten Nebensilbenvokale zum Murmelvokal Schwa (Ə), geschrieben e: gilaubiu – gelaube, erda – erde. Diese Abschwächung hatte relativ langsam schon in ahd. Zeit begonnen, ist aber erst im Mhd. durchgeführt worden. Ungefähr gleichzeitig tritt sie auch in anderen germanischen Sprachen ein. In der schwedischen Hochsprache sind die vollen Vokale jedoch weitgehend erhalten: ahd. kiricha, nhd. Kirche, nl. kerk, eng. church, dän. kirke, schwed. kyrka.
Manchmal fällt der Vokal auch ganz weg (Synkope im Wortinneren, Apokope im Auslaut): himiles – himels. Vgl. auch ahd. gi-unnan – gönnen. Im Mhd. treten auch Zusammenziehungen (Kontraktionen) mit Präpositionen auf, die sich oft bis ins Nhd. gehalten haben: ze wäre – zwar.
Wahrscheinlich ist diese Abschwächung eine Folge der germanischen Festlegung des Akzents auf die erste Silbe. Schon in germanischer Zeit hat es eine solche Schwächung der unbetonten Silben gegeben, und noch in unserer Zeit geht sie weiter, indem z. B. das Dativ-e starker Maskulina und Neutra im Schwinden ist. Der Umlaut setzt sich in der Schrift durch und wird morphologisiert: almahtigon – almechtigen.
Entwicklung des Sch-Lauts und Auslautverhärtung
Ein neues Phonem, der sch-Laut, ist entstanden, indem sk zu sch wurde: dt. Schiff, eng. ship, schwed. skepp. Im Spätmhd. setzt sich dieses Phonem anlautend auch vor anderen Konsonanten durch: schlagen, Schnee, spitz… Die norddeutsche Umgangssprache, u. a. in den Hansestädten Hamburg, Bremen, Lübeck, hat vor p und t die ältere Aussprache bewahrt.
Die Schreibung wart (ward) im obenstehenden Text zeigt, dass die für das Deutsche typische Auslautverhärtung von b, d, g, v zu (p, t, k, f) in Mhd. Zeit eingetreten ist. Daher schreibt man im Mhd. auch stoup, stoupes (Staub).
Die großen Schreibsprachen im Frühneuhochdeutschen
Die Entwicklung der großen Schreibsprachen war ein komplexer Prozess, der durch regionale, wirtschaftliche und religiöse Faktoren beeinflusst wurde.
Die Mittelniederdeutsche Schreibsprache
Die Kölner Schreibsprache bewahrte eine Zeit lang ihre lokalen Züge. Die Kölner hatten rege Handelsverbindungen mit den Niederlanden, was wohl erklärt, dass die Kölner Schreibsprache an die niederländische anknüpfte.
Die Ostmitteldeutsche Schreibsprache
In den Städten des neubesiedelten omd. Gebiets hatte sich durch Ausgleich der verschiedenen Siedlermundarten eine relativ einheitliche Verkehrssprache ausgebildet, die Grundlage für das dort geschriebene Deutsch wurde, sowohl für die Literatur- wie auch für die Kanzleisprache, die Sprache der sächsischen Kanzlei. Dieses geschriebene Deutsch wurde wiederum von den Schreibtraditionen der Nachbargebiete beeinflusst. So richtete man sich, z. B. was die 2. Lautverschiebung betrifft, nach dem obd. Gebrauch und schrieb Apfel statt md. Appel. Allerdings wirkte dann auch die omd. Tradition auf die südöstliche ein, sodass allmählich eine Wechselwirkung stattfand.
Die Südöstliche Schreibsprache
Unterstützt von der Autorität der kaiserlich-habsburgischen Kanzlei in Wien und dem Einfluss der obd. Druckereien wurde das Gemeine Deutsch mit gewissen lokalen Abweichungen in Österreich, Bayern, Schwaben und im Elsass weithin verwendet. Es ist eine überlandschaftliche Schreibsprache auf bairisch-österreichischer Grundlage. Charakteristisch ist z. B., dass die Apokope des e häufiger auftritt als in den omd. Texten: das Aug, die Füß, ich hab, er het (hätte), und dass Unterschiede im Wortschatz vorhanden sind.
Die Südwestliche Schreibsprache
Die südwestliche Schreibsprache hält lange an ihren alemannischen Besonderheiten fest, was durch die wachsende politische und wirtschaftliche Selbständigkeit der Schweizer Städte bedingt ist. Auch die religiöse Unabhängigkeit trägt dazu bei.
Die Rolle Luthers und der Reformation
Zu Beginn des 16. Jh. sieht es so aus, als ob das Gemeine Deutsch die Stellung einer deutschen Gemeinsprache erreichen könnte. Durch Luthers sprachliche Tätigkeit und den Sieg der Reformation erlangt jedoch die omd. Schreibsprache großes Ansehen. Zuerst setzt sie sich im westmitteldeutschen Raum durch, und im Norden verdrängt sie bald das Niederdeutsche. Die Gegenreformation bedient sich des Gemeinen Deutsch. Anfangs kämpft man intensiv gegen „lutherische“ Wörter und Formen, aber am Ende der fnhd. Zeit sind die beiden großen Schreibsprachen nicht mehr so weit voneinander entfernt. Am konservativsten ist die Schweiz, wo sich die Diphthongierung erst nach 1650 in der Schriftsprache ganz durchsetzt. In der Schweizer Alltagssprache wird aber heute noch die Mundart verwendet.