Marx & Nietzsche: Materialismus, Wille zur Macht, Entfremdung
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Historischer Materialismus (Marx)
In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.
Karl Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie, Vorwort
Leben als Wille zur Macht (Nietzsche)
Welchen Wert haben unsere moralischen Wertungen, unsere Wert-Tafeln? Was gewinnen wir durch ihre Dauerhaftigkeit? Für wen? In Bezug zu was? Antwort: für das Leben. Aber was ist Leben? Hier bedarf es einer neuen, genaueren Fassung des Begriffs Leben. Meine Formel dafür lautet: Leben ist Wille zur Macht. Was bedeutet ein moralischer Wert an sich? Verweisen sie auf eine andere, metaphysische Welt? Antwort: Moral ist nur eine Auslegung, eine Art der Interpretation. Diese Auslegung selbst ist ein Symptom bestimmter physiologischer Zustände, ebenso wie eines bestimmten Niveaus herrschender Urteile.
Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, Aphorismus 254
Sklavenmoral und Ressentiment
Der Sklavenaufstand in der Moral beginnt damit, dass das Ressentiment selbst schöpferisch wird und Werte gebiert: das Ressentiment solcher Wesen, denen die eigentliche Reaktion, die der Tat, versagt ist, die sich nur durch eine imaginäre Rache schadlos halten. Während jede vornehme Moral aus einem triumphierenden Ja-sagen zu sich selber herauswächst, sagt die Sklavenmoral von vornherein Nein zu einem „Außerhalb“, zu einem „Anders“, zu einem „Nicht-selbst“: und dieses Nein ist ihre schöpferische Tat. Diese Umkehrung des werte-setzenden Blicks – diese notwendige Richtung nach außen statt zurück auf sich selbst – gehört eben zum Ressentiment: die Sklavenmoral bedarf, um zu entstehn, immer zuerst einer Gegen- und Außenwelt, sie bedarf, physiologisch gesprochen, äußerer Reize, um überhaupt zu agieren – ihre Aktion ist von Grund aus Reaktion.
Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, Erste Abhandlung, § 10
Verständnis und Erläuterung der Thematik des Textes.
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Historischer Materialismus (Marx)
Basis, Überbau und Revolution
Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um.
Karl Marx, Vorwort zur Kritik der Politischen Ökonomie
Verständnis und Erläuterung der Thematik des Textes.
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Leben als Wille zur Macht (Nietzsche)
Radikaler Nihilismus
„Der radikale Nihilismus ist die Überzeugung einer absoluten Unhaltbarkeit des Daseins, wenn es sich um die höchsten Werte handelt, die man anerkennt; hinzu die Einsicht, dass wir nicht das geringste Recht haben, ein Jenseits oder ein An-sich der Dinge anzusetzen, das ‚göttlich‘ wäre, das die leibhaftige Moral wäre. Diese Einsicht ist eine Folge des zur Herrschaft gekommenen ‚Willens zur Wahrheit‘, also selbst eine Folge des Glaubens an die Moral.“
Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht, Aphorismus 12
Verständnis und Erläuterung der Thematik des Textes.
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Kritik der westlichen Kultur
Wie die „wahre Welt“ endlich zur Fabel wurde
Geschichte eines Irrthums
- Die wahre Welt, erreichbar für den Weisen, den Frommen, den Tugendhaften, – er lebt in ihr, er ist sie. (Älteste Form der Idee, relativ klug, simpel, überzeugend. Umschreibung des Satzes: ‚Ich, Plato, bin die Wahrheit‘.)
- Die wahre Welt, unerreichbar für jetzt, aber versprochen für den Weisen, den Frommen, den Tugendhaften (‚für den Sünder, der Buße thut‘). (Fortschritt der Idee: sie wird feiner, verfänglicher, unfasslicher, – sie wird Weib, sie wird christlich…)
- Die wahre Welt, unerreichbar, unbeweisbar, unversprechbar, aber schon als gedacht ein Trost, eine Verpflichtung, ein Imperativ. (Die alte Sonne im Grunde, aber durch Nebel und Skepsis hindurch; die Idee erhaben geworden, bleich, nordisch, königsbergisch.)
- Die wahre Welt – unerreichbar? Jedenfalls unerreicht. Und als unerreicht auch unbekannt. Folglich auch nicht tröstend, erlösend, verpflichtend: wozu könnte uns etwas Unbekanntes verpflichten?… (Grauer Morgen. Erstes Gähnen der Vernunft. Hahnenschrei des Positivismus.)
- Die ‚wahre Welt‘ – eine Idee, die zu Nichts mehr nütz ist, nicht einmal mehr verpflichtend, – eine unnütz, eine überflüssig gewordene Idee, folglich eine widerlegte Idee: schaffen wir sie ab! (Heller Tag; Frühstück; Rückkehr des bon sens und der Heiterkeit; Schamröthe Plato’s; Teufelslärm aller freien Geister.)
- Wir haben die wahre Welt abgeschafft: welche Welt blieb übrig? die scheinbare vielleicht?… Aber nein! mit der wahren Welt haben wir auch die scheinbare abgeschafft! (Mittag; Augenblick des kürzesten Schattens; Ende des längsten Irrthums; Höhepunkt der Menschheit; INCIPIT ZARATHUSTRA.)
Friedrich Nietzsche, Götzen-Dämmerung
Entfremdung bei Marx (Thesen über Feuerbach)
Feuerbach geht von der Tatsache der religiösen Selbstentfremdung, der Verdopplung der Welt in eine religiöse und eine weltliche aus. Seine Arbeit besteht darin, die religiöse Welt in ihre weltliche Grundlage aufzulösen. Aber daß die weltliche Grundlage sich von sich selbst ablöst und sich ein selbständiges Reich in den Wolken fixiert, ist nur aus der Selbstzerrissenheit und Sichselbstwidersprechen dieser weltlichen Grundlage zu erklären. Diese muß daher selbst erst in ihrem Widerspruch verstanden und dann praktisch revolutioniert werden. Nachdem z. B. die irdische Familie als das Geheimnis der heiligen Familie entdeckt ist, muß nun erstere selbst theoretisch kritisiert und praktisch umgewälzt werden.
Karl Marx, Thesen über Feuerbach, These IV
Nihilismus und Umwertung der Werte (Nietzsche)
Wir, die wir eines andren Glaubens sind –, wir, denen die demokratische Bewegung nicht bloss als eine Verfallsform der politischen Organisation gilt, sondern als Verfalls-, nämlich Verkleinerungsform des Menschen, als seine Vermittelmässigung und Werth-Erniedrigung: wohin müssen wir mit unsren Hoffnungen greifen? – Zu neuen Philosophen, es bleibt keine Wahl; zu Geistern, stark und ursprünglich genug, um die Anstösse zu entgegengesetzten Werthschätzungen zu geben und „ewige Werthe“ umzuwerthen, umzukehren; zu Vorboten, zu Menschen der Zukunft, welche in der Gegenwart den Zwang und Knoten anknüpfen, der den Willen von Jahrtausenden auf neue Bahnen zwingt. Den Menschen die Zukunft des Menschen als seinen Willen, als abhängig von einem Menschen-Willen zu lehren und grosse Wagnisse und Gesammt-Versuche von Zucht und Züchtung vorzubereiten, um damit jenem schauerlichen Regiment des Unsinns und Zufalls, das bisher „Geschichte“ hiess, ein Ende zu machen – der Unsinn der „grössten Zahl“ ist nur seine letzte Form –: dazu wird irgendwann eine neue Art von Philosophen und Befehlshabern nöthig sein, an deren Bilde sich Alles, was auf Erden an verborgenen, furchtbaren und wohlwollenden Geistern dagewesen ist, blass und zwerghaft ausnehmen dürfte.
Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, Aphorismus 203