Megastädte im Wandel: Herausforderungen und Lösungen der Urbanisierung
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Boomende Megastädte: Herausforderungen der Urbanisierung
Weltweit existieren bereits 22 Megastädte mit über zehn Millionen Einwohnern. Diese Super-Städte sind zunehmend schwer zu managen, eine Herausforderung, die sich durch den anhaltenden Zuzug von Menschen in die Metropolen weiter verschärft.
Rasantes Wachstum: Lagos als Beispiel
Das globale Bevölkerungswachstum und die damit verbundene Entwicklung spiegeln sich in der steigenden Anzahl von Megastädten wider. Lagos in Nigeria ist hierbei ein prominentes Beispiel: Sie gilt als die am schnellsten wachsende Megacity der Welt und belegt mit derzeit 9,7 Millionen Einwohnern Platz 20 der größten Megastädte.
Historischer Vergleich und Ursachen der Urbanisierung
Vor einem Jahrhundert war London mit 6,5 Millionen Bewohnern die größte Stadt der Welt. Im Vergleich zum heutigen Tokio mit fast 35 Millionen Menschen wirkt dies geradezu provinziell. Jährlich zieht es rund 60 Millionen Menschen vom Land in die Städte, getrieben von der Hoffnung auf ein besseres Leben, auf Arbeit sowie bessere Bildungs- und Wohnmöglichkeiten. Das Leben auf dem Land wird zunehmend schwieriger: Sinkende Weltmarktpreise für Agrarprodukte, die Ausbeutung von Kleinbauern durch Großgrundbesitzer und eine oft unzureichende ländliche Infrastruktur tragen dazu bei. In den Großstädten hingegen steigt dank vergleichsweise guter Versorgung auch die Geburtenrate, wodurch die Einwohnerzahlen zusätzlich von innen heraus wachsen.
Grenzen des Wachstums: Wann Städte kollabieren
Wo liegen die Grenzen für eine funktionierende Stadt? Forscher gehen davon aus, dass in Städten, die sich um ein einziges Zentrum gruppieren, die Schmerzgrenze bei zehn bis 15 Millionen Einwohnern erreicht ist. Ab diesem Punkt nehmen Verkehrsstaus und Luftverschmutzung derart überhand, dass sowohl Menschen als auch die Wirtschaft aus der Innenstadt abwandern. Beispiele hierfür sind Mexiko-Stadt, das seit Mitte der 1980er-Jahre kaum gewachsen ist und heute bei 18 Millionen stagniert, sowie Kalkutta, dem einst ein Wachstum auf 40 Millionen vorhergesagt wurde, das aber heute stabil bei 13 Millionen liegt.
Die Megalopolis als städtischer Archipel
Die Zukunft gehört wohl eher einer anderen Art von Megastädten: Sie sind aus mehreren Großstädten zusammengewachsen und verfügen daher nicht nur über einen einzigen Stadtkern, sondern bilden einen städtischen Archipel mit vielen 'Inseln'. Kulturökologe Herbert Girardet, Forschungsdirektor der World Future Council Initiative in London, beschreibt sie als 'die größten und komplexesten vom Menschen erzeugten Strukturen, die je erschaffen wurden'.
Soziale Herausforderungen: Leben im Slum
Diese Superstrukturen werden durch den Boom billiger Kommunikation, ausgefeilte Transportsysteme und Veränderungen im Lebens- und Arbeitsstil begünstigt. Doch in vielen Megaballungsräumen ist die Versorgung der Menschen, die Müllentsorgung und die Transportmöglichkeiten mangelhaft. Die UN berichten, dass bereits jeder dritte Städter in Slums lebt, ohne angemessene Wohnung und ohne Zugang zu geregelten Dienstleistungen. Wird die Leidensfähigkeit dieser Bewohner überstrapaziert, können sich soziale Problemzonen schnell in gefährliche politische Brennpunkte verwandeln.
Slums als Modell für nachhaltige Stadtentwicklung?
Trotz ihrer Defizite bei Hygiene und Sicherheit haben Slums manchen auf dem Reißbrett geplanten Städten einiges voraus. Sie sind organisch gewachsen, ihre Wege und Straßen sind primär für Fußgänger konzipiert, und viele Bewohner sammeln und recyceln den Abfall der umliegenden Stadt sinnvoll. Zudem zeichnen sie sich durch nachbarschaftlichen Zusammenhalt und ein aktives soziales Leben aus. Der britische Umweltberater Fred Pearce schlägt daher vor, Mechanismen aus den Slums zu studieren und in die Stadtplanung zu integrieren, um Lösungen für die Versorgungsprobleme in Riesenstädten zu finden.
Expertenmeinung: Organisches Wachstum vs. rasante Expansion
Gerhard O. Braun, Leiter des Arbeitsbereichs Stadtforschung an der FU Berlin, teilt diese Ansicht: Er betont, dass 'gewachsene Strukturen auf jeden Fall besser sind als das extrem schnelle Wachstum vieler Megastädte, vor allem in China.' Wenn Millionen von Menschen jährlich in die Städte ziehen, prallen sehr unterschiedliche Lebensstile unvermittelt aufeinander, was eine integrative Stadtentwicklung kaum noch ermöglicht. Ein weiteres Problem in China ist die aufstrebende Mittelschicht: 'Der private Personenverkehr wächst dort überproportional, denn es gibt plötzlich eine starke Mittelschicht, die sich zum ersten Mal ein Auto leisten kann.'
Verkehrskollaps und extreme Bevölkerungsdichte
Diese Errungenschaft – der Besitz eines Autos – lässt sich nicht verbieten, mögen Ökologen auch warnen. Der Verkehr in den Millionenstädten nimmt rasant zu, und manche stehen kurz vor dem Kollaps. Dies ist auch auf die unvorstellbar hohe Bevölkerungsdichte zurückzuführen: Im Jahr 2006 lebten in Hongkong durchschnittlich 15.920 Personen pro Quadratkilometer, im Stadtteil Kowloon sogar 43.030 Personen. Zum Vergleich: In Berlin wohnen etwa 2.000 Menschen pro Quadratkilometer.
Nachhaltige Stadtplanung: Drei Grundsätze
Alle Experten sind sich einig: Um zu verhindern, dass Megastädte zu 'Krebsgeschwüren der Menschheit' werden, ist ein grundlegendes Umdenken erforderlich. Im Vordergrund stehen drei zentrale Grundsätze: so viel wie möglich wiederverwenden, Energie sparen und den Autoverkehr reduzieren. Besonders die letzte Forderung beschäftigt Städteplaner intensiv.
Verkehrsinfrastruktur als Wettbewerbsfaktor
Die von Siemens finanzierte Studie 'Megacities und ihre Herausforderungen' bestätigte dies. Die Befragten waren überzeugt, dass eine effiziente Verkehrsinfrastruktur der wichtigste Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit einer Stadt ist. Besonders in Europa stehen Verkehrsprobleme ganz oben in der öffentlichen Wahrnehmung. Die Studienautoren erklären dies damit, dass 'schließlich in der EU die Zahl der Pkw in den letzten zehn Jahren zehnmal schneller wuchs als die Einwohnerzahl.' Während manche Infrastrukturprobleme, wie mangelhafte Wasserversorgung, hauptsächlich ärmere Stadtteile betreffen, beeinträchtigen verstopfte Straßen, überlastete Eisenbahnen und Luftverschmutzung alle gleichermaßen, unabhängig von ihrem sozioökonomischen Status.
Herausforderungen der Verkehrsinfrastruktur: Das Beispiel Karatschi
Als bevorzugte Lösung für die Verkehrsprobleme nannten die meisten Befragten der Studie eine Neuordnung oder Renovierung der vorhandenen Infrastruktur. Dies ist jedoch nur möglich, wenn eine solche überhaupt existiert. Ein negatives Beispiel hierfür ist die pakistanische Stadt Karatschi mit fast zwölf Millionen Einwohnern: Sie ist die weltweit einzige Megacity ohne ein Schienennetz für den öffentlichen Nahverkehr (U-Bahn oder Tram). Die verfügbaren öffentlichen Verkehrsmittel reichen dort nicht mehr aus, sodass Pendler gezwungen sind, auf Busdächern mitzufahren.
Lösungsansätze: Innovative Verkehrssysteme
Es geht vielfach darum, neue Verkehrssysteme aufzubauen und den vorhandenen Verkehr effizienter zu steuern. Tokio hat zu diesem Zweck für über sieben Milliarden Euro das derzeit beste Verkehrsleitsystem der Welt installiert. Mehr als 17.000 Sensoren erfassen Fahrzeuge und senden Daten an eine zentrale Leitstelle, von der aus Ampeln und Info-Tafeln gesteuert werden. Zudem können Nutzer die Daten kostenlos aus dem Internet abrufen oder auf ihr Navigationsgerät laden. Millionen Japaner haben sich mittlerweile ein 'Car-Navi' zugelegt. Dank der besseren Verteilung der Verkehrsströme hat die Verkehrsdichte nicht zugenommen, obwohl das Verkehrsaufkommen seit 1990 um 50 Prozent gewachsen ist.
Bangkok: Entlastung durch den Skytrain
Bangkok verfolgt einen anderen Ansatz: Die Verkehrsprobleme sind dort deutlich besser unter Kontrolle, seit der Skytrain – eine 23 Kilometer lange Hochbahn mit 18 Bahnhöfen – in Betrieb genommen wurde. Die von Siemens gebauten Züge entlasten die Innenstadt und transportieren täglich rund 400.000 Fahrgäste. Seit der Inbetriebnahme hat sich die Luftqualität erheblich verbessert.
Integrative Stadtentwicklung: Wohnen, Arbeiten, Freizeit
Nach Ansicht des Stadtforschers Braun liegt eine grundsätzliche Lösung für das Verkehrsproblem in Konzepten, die Wohnen, Arbeiten und Freizeit räumlich enger vernetzen. Dadurch reduzieren sich die Wege, die Bürger zur Arbeit oder zum Besuch von Freunden zurücklegen müssen. Städte müssen organischer wachsen, ähnlich der Praxis bei der Innenstadterneuerung in US-Städten: Dort werden alle Beteiligten und Kritiker neuer Projekte an einen Tisch gebracht, um gemeinsam mit Investoren sozial und ökologisch vertretbare Lösungen zu erarbeiten. Ein Bauherr erhält beispielsweise nur dann eine Genehmigung für ein Hochhaus, wenn er darin auch sozialen Wohnungsbau und Garagen integriert.
Fehlgeschlagene Konzepte in China: Anting
In China wurden ähnliche Ansätze versucht, die jedoch im Grunde nur Enklaven für die Reichen geschaffen haben. Ein Beispiel ist der neue Stadtteil für 15.000 Einwohner in der Gemeinde Anting am Rande Shanghais, nahe dem VW-Werk und der neuen Formel-1-Rennstrecke. Dieser wurde vom deutschen Architekten Albert Speer nach dem Vorbild einer deutschen Kleinstadt geplant. Für den 'Normalchinesen' bringt dieses Projekt jedoch wenig, wie Gerhard O. Braun erklärt: 'Denn die Wohnungen dort wurden von der chinesischen Oberschicht als reine Spekulationsobjekte gekauft und sind größtenteils nicht einmal bewohnt.'
Luchao: Satellitenstädte und die Multi-Zentren-Megalopolis
Ähnliches gilt für ein Projekt des Hamburger Architektenbüros Gerkan und Partner: Nahe Shanghai, in Luchao, entsteht eine rasterförmige Hafenstadt rund um einen künstlichen See, die einmal 70.000 Menschen beherbergen soll. Der Verkauf der Grundstücke verläuft blendend, doch Braun äußert Zweifel: 'Ob dort jemals jemand wohnt, erscheint mir fraglich.' Immerhin gelingt Shanghai mit derartigen Satellitenstädten etwas, das sein weiteres Wachstum sichert: Die Stadt wandelt sich von einer auf das alte Zentrum konzentrierten Metropole in eine Multi-Zentren-Megalopolis – genau das, was Städteplaner fordern.