Mittelalterliche Rechtstheorie: Macht & Iurisdictio
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Kommentatoren und Normenkonflikte
Kommentatoren entwickelten kasuistische Kriterien zur Lösung von Normenkonflikten. Sie etablierten Regeln („Statuten“), wonach Verträge und Testamente dem Recht des Ortes (lex loci), Prozesse dem Gerichtsstandsrecht (lex fori) und der persönliche Status dem Personalstatut (lex personalis) unterliegen. Diese Lösungen folgen der Formel, dass die Reichweite von Vorschriften von der zugrundeliegenden Macht abhängt: Bei Immobilien (res) bestimmt das Recht des Territoriums (lex rei sitae), bei Personen (personae) das Recht des Subjekts. Dies förderte die Übernahme flexibler Lösungen und die Ablehnung starrer, abstrakter und unveränderlicher kasuistischer Regelungen.
Politische Macht und Iurisdictio im Mittelalter
Die Theorie der Ordnung, der Legitimität politischer Macht und der Gesetzgebungskompetenz manifestiert sich implizit in der Sensibilität der Kommentatoren für die Realität und die Variabilität der Gegebenheiten.
Entwicklung der Machtkonzeptionen
- Im frühen Mittelalter dominierte eine autoritäre Auffassung der Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsgewalt, die als Attribut des Herrschers (princeps) galt. Jede in der Gesellschaft ausgeübte Macht wäre demnach das Ergebnis einer Delegation dieser herrscherlichen Kompetenz gewesen. Der Kern der Macht bestand darin, eine öffentliche Instanz einzusetzen, die befugt war, Recht und Billigkeit (aequitas) zu definieren.
Die Kommentatoren vertraten hingegen die Auffassung, dass die gesellschaftlichen Gewalten einen natürlichen Ursprung haben, unabhängig von einer übergeordneten Instanz wie dem Herrscher. Die Existenz sozialer Einrichtungen impliziere naturgemäß deren Verwaltung und das Recht zur Selbstbestimmung. Dies führte zu einer Konzeption politischer Macht, die aus der Ordnung der Dinge selbst entsteht: Durch die Bildung organisierter menschlicher Gemeinschaften entsteht eine selbstregulierende Instanz. Baldo sagte dazu: „Völker existieren nach dem Völkerrecht (ius gentium), aber eine Regierung kann nicht ohne Gesetze oder Statuten bestehen; daher impliziert die bloße Existenz von Völkern eine Regierung, die ihrem eigenen Wesen innewohnt.“ In einer fragmentierten und gespaltenen Gesellschaft konnte die Macht logischerweise nicht immer den gleichen Inhalt haben.
Das Konzept der Iurisdictio
Daher unterschied die spätmittelalterliche Theorie der iurisdictio verschiedene Ebenen und Sphären der Macht.
Ordentliche vs. Delegierte Iurisdictio
Auf der Basis der iurisdictio erfolgte die rechtliche Unterscheidung zwischen:
- Der ordentlichen Gerichtsbarkeit (iurisdictio ordinaria): Diese beruhte auf Gesetz oder Gewohnheitsrecht und umfasste eine Gesamtheit von Fällen.
- Der delegierten Gerichtsbarkeit (iurisdictio delegata): Diese wurde durch ein Privileg für eine bestimmte Art von Fall oder eine Einzelperson gewährt.
Imperium: Merum und Mixtum
Je nach Umfang der Befugnisse unterschied man verschiedene Subtypen der iurisdictio. Das imperium umfasst Befugnisse, die das Gericht von Amts wegen (ex officio) hat. Es unterteilt sich in:
- Das merum imperium: Die höchste politische Macht, die auf den Nutzen der Gemeinschaft (utilitas publica) abzielt.
- Das mixtum imperium: Bezieht sich auf Machtbefugnisse, die unabhängig vom Richter bestehen und der Verwirklichung von Partikularinteressen dienen.