Musik im Mittelalter: Gregorianik bis Mehrstimmigkeit
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Das Mittelalter in der Musik
Im frühen Mittelalter blieben Komponisten und ihre Werke oft anonym, da die übermittelte Botschaft als wichtiger erachtet wurde als der Schöpfer. Die Musik dieser Zeit war überwiegend religiös geprägt. Im Gegensatz dazu stand die weltliche Musik der Troubadoure, die sich oft nicht mit kriegerischen Themen befasste.
Die Vielfalt der Instrumente nahm in dieser Epoche zu und bereicherte das musikalische Geschehen. Eine bedeutende Entwicklung war die Erfindung der Notenschrift, die es ermöglichte, Musikstücke festzuhalten und weiterzugeben. Musikalisch vollzog sich ein Übergang von der einstimmigen (monodischen) zur mehrstimmigen (polyphonen) Struktur, bei der mehrere Gesangslinien gleichzeitig erklingen.
Die Gesellschaft des Mittelalters war geprägt von zwei universalen Mächten: der religiösen (Kirche) und der bürgerlichen (weltliche Herrscher). Adlige Ritter standen oft in Abhängigkeitsverhältnissen zu mächtigeren Herren.
Gregorianischer Choral
Der Gregorianische Choral ist eine Form der religiösen Musik mit folgenden Merkmalen:
- Art: Ausschließlich vokal
- Urheberschaft: Anonym
- Sprache: Immer Latein
- Charakter: Oft dramatisch
- Struktur: Monodisch (einstimmig)
- Rhythmus: Sehr flexibel
- Namensgebung: Benannt nach Papst Gregor I., der die Sammlung und Ordnung dieser Gesänge veranlasste.
Arten Gregorianischer Gesänge
- Syllabisch: Auf jede Silbe des Textes kommt meist ein Ton.
- Neumatisch (oder gruppisch): Auf eine Silbe kommen zwei bis drei Töne (Neumen).
- Melismatisch: Eine einzelne Silbe wird auf viele Töne ausgedehnt.
Formen Gregorianischer Gesänge
- Antiphonale Gesänge: Zwei Chorgruppen singen abwechselnd. Oft beginnt eine Gruppe mit einem einleitenden Satz, die andere antwortet, und am Ende wird der Anfang wiederholt.
- Responsoriale Gesänge: Ein Solist singt die Strophen, während der Chor (oder die Gemeinde) den Kehrvers (Responsum) singt.
Die Musik der Troubadoure
Die Musik der Troubadoure wurde von diesen Dichtern und Sängern selbst komponiert und vorgetragen. Troubadoure waren oft Adlige, die als Künstler auftraten; sie waren teils Akrobaten, teils Jongleure und teils Dichter.
- Entstehung: Begann im 12. Jahrhundert in Südfrankreich.
- Überlieferung: Zunächst mündlich tradiert, erste schriftliche Aufzeichnungen stammen aus dem 12. und frühen 13. Jahrhundert.
- Verlauf: Die Tradition begann im 12. Jahrhundert in Südfrankreich. Sie wurde zunächst mündlich überliefert, mit ersten schriftlichen Aufzeichnungen im 12. und frühen 13. Jahrhundert. Bereits gegen Ende des 12. Jahrhunderts begann die Tradition zu schwinden, bevor sie im 13. Jahrhundert weitgehend verschwand.
- Verbreitung: Erreichte im 12. Jahrhundert auch Katalonien.
- Bedeutende Vertreter: Peire Vidal und Cerverí de Girona.
- Struktur: Monodisch (einstimmig).
- Rhythmus: Regelmäßig und strukturiert.
Erfindung der Notenschrift
Neumen
Neumen waren frühe Notationszeichen. Sie wurden über den Text gesetzt und dienten als Gedächtnisstütze für den Melodieverlauf, gaben aber keine exakten Tonhöhen oder Rhythmen an.
Die horizontale Linie (um 1000)
Um das Jahr 1000 wurde eine horizontale Linie eingeführt. Notenzeichen (oft quadratisch) wurden über oder unter dieser Linie platziert, um die relative Tonhöhe genauer anzuzeigen.
Tetragramm und Notennamen (11. Jh.)
Eine sehr wichtige Entwicklung war das Tetragramm (ein System aus vier Linien), das von Guido von Arezzo, einem Mönch, im 11. Jahrhundert eingeführt oder popularisiert wurde. Dies ermöglichte eine präzisere Notation der Tonhöhen. Guido von Arezzo erfand auch die Namen der Noten (Solmisationssilben), abgeleitet von den Anfangssilben der Verse des Johannes-Hymnus „Ut queant laxis“.
Rhythmische Notation (14. Jh.)
Im 14. Jahrhundert entstanden erste Ansätze zur Notation des Rhythmus. Zuvor war der Rhythmus oft nicht exakt fixiert worden, da er als weniger wichtig erachtet wurde oder sich aus dem Text ergab.
Entwicklung der Mehrstimmigkeit
Organum (9.–10. Jahrhundert)
Das Organum ist eine frühe Form der Mehrstimmigkeit. Dabei wurde einem Gregorianischen Choral (Cantus firmus) eine zweite Stimme (Vox organalis) hinzugefügt, die sich parallel im Abstand einer Quarte, Quinte oder Oktave bewegte.
- Erste Stimme: Cantus firmus (Hauptstimme, oft ein bestehender gregorianischer Gesang)
- Zweite Stimme: Vox organalis
Discantus (11. Jahrhundert)
Beim Discantus bewegen sich zwei Stimmen in Gegenbewegung zueinander. Die zweite Stimme wird zum Cantus firmus hinzugefügt und orientiert sich an dessen Melodieverlauf, bewegt sich aber rhythmisch oft freier und in entgegengesetzter Richtung.
Motette (13. Jahrhundert)
Die Motette entwickelte sich zu einer komplexeren mehrstimmigen Form mit mehr als zwei unabhängigen Stimmen. Merkmale der frühen Motette:
- Oft mit unterschiedlichen Texten in verschiedenen Sprachen gleichzeitig (polytextuell).
- Die einzelnen Stimmen konnten unterschiedlich rhythmisiert sein.
- Basierte häufig auf einem Ausschnitt eines Gregorianischen Chorals (Cantus firmus).
Conductus (13. Jahrhundert)
Der Conductus ist eine weitere mehrstimmige Form des 13. Jahrhunderts. Merkmale:
- Mehr als zwei unabhängige Stimmen.
- Konnte ebenfalls unterschiedliche Texte und Rhythmen in den Stimmen aufweisen.
- Alle Stimmen wurden neu komponiert; es wurde nicht zwingend ein bestehender Gregorianischer Choral als Cantus firmus verwendet.
Ein bekanntes Beispiel für Musik dieser Zeit ist das Llibre Vermell de Montserrat (Rotes Buch von Montserrat).
Wichtige Persönlichkeiten
- Papst Gregor I. (der Große): Bedeutend für die Sammlung und Ordnung der später nach ihm benannten Gregorianischen Gesänge.
- Guido von Arezzo: Musiktheoretiker, dem wichtige Entwicklungen in der Notenschrift zugeschrieben werden (u.a. Liniennotation, Notennamen).
- Peire Vidal: Bekannter Troubadour.
- Raimbaut de Vaqueiras: Bekannter Troubadour.
- Leoninus (Léonin): Komponist der Notre-Dame-Schule, Pionier des Organums.
- Perotinus (Pérotin): Komponist der Notre-Dame-Schule, entwickelte das Werk von Leoninus weiter (z.B. Organa für drei oder vier Stimmen).
- Guillaume de Machaut: Bedeutender Komponist und Dichter der Ars Nova im 14. Jahrhundert (spätes Mittelalter).