Nation-Building: Herausforderungen, Militär & Entwicklungshilfe
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Nation-Building: Definition und Prozess
Was ist Nation-Building?
Nation-Building (engl. nation building) ist ein Prozess sozio-politischer Entwicklung, der aus locker oder strittig verbundenen Gemeinschaften eine gemeinsame Gesellschaft mit einem entsprechenden Staat werden lässt. Sie ist zu unterscheiden von State Building, bei dem es im engeren Sinne um den Aufbau staatlicher Institutionen geht.
Der Prozess der Nationenbildung
Zum Prozess der Nationenbildung gehört die Etablierung gemeinsamer kultureller Standards, darunter oft auch die einer einheitlichen Sprache für das zukünftige Gemeinwesen,[1] und die behutsame Integration von immer weiteren Teilen der Bevölkerung in soziokulturelle und politische Einrichtungen wie z. B. das Gerichtswesen, das Schulsystem oder das Wahlrecht. Der Prozess der Nationenbildung wird oft von einer militärisch, administrativ und ökonomisch dominanten Machtelite ausgeführt, um bestehende oder angestrebte Herrschaftsverhältnisse zu legitimieren.
Herausforderungen und Probleme
Historische Konflikte und externe Förderung
Die Herausbildung von Nationen war immer ein langwieriger und oft von gewaltsamen Auseinandersetzungen begleiteter Prozess (vgl. Unabhängigkeits- und Einigungskriege). Da Staatszerfall und instabile Identitäten für das regionale Umfeld oder die gesamte Staatengemeinschaft zur Gefahr werden können, wurde daher im 20. Jahrhundert des Öfteren versucht, Nationenbildung von außen zu fördern (vgl. Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien). Der Erfolg solcher Versuche ist umstritten.
Staatenbildung ohne Nationenbildung
Dennoch gilt Staatenbildung ohne Nationenbildung als problematisch, da in diesem Fall notwendige identitätsstiftende Stabilisierungs- und Ausgleichsmechanismen fehlen.
Militär und Entwicklungshilfe: Schnittstellen & Kooperation
Kann Militär Stabilität schaffen?
F: Kann denn ein militärisches Eingreifen von außen das Fundament schaffen, um Kriegsregionen dauerhaft zu stabilisieren und friedliche Entwicklungs- und Demokratisierungsprozesse anzustoßen?
A: Durch den Militäreinsatz wird oft nur ein erster Schritt vollzogen, und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung ist überhaupt noch nicht sichergestellt. Die Herausforderungen des Nation-Building sind durch die Militäraktion noch nicht gelöst. Oftmals schafft man durch das Eingreifen erst eine Situation, in der man diese staatlichen Strukturen für einen längeren Zeitraum ersetzen muss. Hier kann Entwicklungspolitik eine Rolle spielen.
Schnittstellen zwischen Militär und Entwicklungshilfe
F: An welchen Punkten begegnen sich Militär und Entwicklungshilfe, wo sind da die Schnittstellen?
A: Zunächst braucht Entwicklungspolitik Sicherheit und Stabilität, um überhaupt vor Ort tätig werden zu können. Eine zweite Schnittstelle betrifft die strategische Planung und Konzeption. Außerdem gibt es etablierte Mechanismen. Aber bei der Planung halte ich tatsächlich ein „Mehr“ für absolut erforderlich. Ein weiterer Punkt betrifft die Finanzierung. Soll Entwicklungspolitik militärische Einsätze mitfinanzieren? Ich halte so etwas nicht für sinnvoll, weil eine Aufgabenvermischung stattfindet. Entwicklungshilfe sollte nur zivile Aufgaben finanzieren.
Funktioniert die Kooperation in der Praxis?
F: Funktioniert die Kooperation zwischen Militär und Entwicklungspolitik?
A: In Kundus versuchen zivile und militärische Akteure erstmals in einer konkreten Situation zusammenzuwirken, dass gerade bei zivilen Aufgaben die Entwicklungspolitik eine wichtige Rolle spielen muss. Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) hat dort eine ganze Reihe von Aktivitäten initiiert. Die Grundfrage ist nun: Kann und soll die Bundeswehr entwicklungspolitische Maßnahmen unmittelbar begleiten? Führt das zu einer erhöhten Sicherheit? Das hängt davon ab, ob die Bevölkerung das Militär als kämpfende Einheiten wahrnimmt oder als Stabilitätsakteure. Viele Nichtregierungsorganisationen (NGOs) lehnen eine Eskortierung ab; diese vermindere ihre Sicherheit, sagen sie.
Soll die Bundeswehr Entwicklungshilfe leisten?
F: Kann die Bundeswehr Maßnahmen der Entwicklungshilfe selbst übernehmen?
A: Ich meine, die Bundeswehr sollte keine Entwicklungshilfemaßnahmen übernehmen. Die Bundeswehr sollte dort tätig werden, wo es um die Stabilisierung geht. Die Entwicklungspolitik kann und sollte keine militärischen Aufgaben übernehmen, und umgekehrt ist die Bundeswehr nicht dazu da, zivile Aufgaben zu lösen.
Strategien für Konfliktregionen: Fokus Afrika
F: Sie sind Afrika-Experte. Die Menschen dieses Kontinents leiden unter einer Vielzahl grausamer Konflikte. Sehen Sie aus Sicht der Entwicklungspolitik für diese Regionen eine realistische Strategie zur Befriedung und Entwicklung?
A: Es geht immer um einen Beitrag zur Gesamtlösung, den die internationale Staatengemeinschaft und Entwicklungspolitik leisten können. Ein paar Beispiele, warum die Eigenverantwortung afrikanischer Partner besonders wichtig ist: Es existiert die NEPAD-Initiative zur Entwicklung des Kontinents, eine neue Partnerschaft afrikanischer Staaten, bei der die G8-Länder eine besondere Verantwortung übernommen haben. Es gibt die gezielte Strategie, regionale Kapazitäten für Friedensmissionen aufzubauen, im Rahmen der Afrikanischen Union (AU), aber auch der subregionalen Einrichtungen wie ECOWAS. Das halte ich für ganz wichtig, denn letztlich sollte die Verantwortung vor Ort bleiben, auch wenn etwa die G8 wichtige Unterstützung bieten kann.
Militärische Intervention als Ultima Ratio?
F: Aber an vielen Orten verhindern Kampfhandlungen von vornherein Aktivitäten der Entwicklungshilfe. Eine Zukunft für die Menschen scheint oft nur denkbar durch militärische Intervention. Ist das Eingreifen von außen hier die „Ultima Ratio“? Oder anders gesagt: Gibt man Afrika nicht verloren, wenn man diese Hilfeleistung unterlässt?
A: Es gibt Situationen, in denen man auch eine militärische Intervention nicht ausschließen kann. Für solche Fälle ist es am besten, wenn die Zusammenschlüsse in Afrika selbst die Verantwortung übernehmen. Wir haben ja das Beispiel in Liberia im letzten Sommer gehabt, wo ECOWAS den Einsatz zunächst übernommen hatte, bevor am 1. November 2003 das Kommando an die Vereinten Nationen überging. Man muss die existierenden afrikanischen Mechanismen, also die Afrikanische Union oder subregionale Einrichtungen, dazu befähigen, solche Aktionen selbst auszuführen, wenn sie dazu legitimiert sind. Das beinhaltet die militärische Option. Aber Militär allein reicht nicht; ein solcher Einsatz muss immer ausreichende zivile Fähigkeiten einschließen.
Grenzen der externen Befriedungsstrategie
F: Gibt es denn Konflikte, wo so eine Befriedungsstrategie von außen zum Scheitern verurteilt ist?
A: Natürlich, wenn die Grundvoraussetzungen bei den Konfliktparteien nicht vorhanden sind, das heißt ein Minimum an Verhandlungsbereitschaft, also den Willen, in einen Dialog einzutreten. Das kann man natürlich nicht von außen hereintragen. Schauen Sie sich nur die Situation in Israel und Palästina an, wo es diese Verhandlungsbereitschaft der Konfliktparteien nicht gibt. Dagegen sind selbst bei relativ instabilen Situationen wie etwa im Norden von Sri Lanka, auf der Jaffna-Halbinsel, Versuche des Aufeinanderzugehens erkennbar, die auch von der Entwicklungspolitik gefördert werden. Dort hat man sich zeitweilig in ein „Vakuum“ hineinbegeben. Solche Maßnahmen müssen flankiert werden durch Außenpolitik, möglicherweise durch militärische Akteure und durch die Bereitschaft der Konfliktparteien selbst.
Globale Krisenstrategie und Exit-Strategien
F: Welche Schritte sind nötig, um eine globale Krisenstrategie im Sinne von „Global Governance“ zu etablieren?
A: Es geht in Zukunft darum, wie Friedensmissionen erfolgreicher ablaufen können. Damit meine ich den gesamten Komplex vom militärischen Einsatz bis zu den zivilen Aufgaben des Nation-Building. Doch Nation-Building ist oft nicht so rasch umzusetzen, und meist ist nicht klar, wann eine Mission erfolgreich abgeschlossen sein kann. Wie sieht denn eine Exit-Strategie für die internationale Gemeinschaft aus? Das ist ein Riesenproblem, wenn Sie nur an Kosovo oder Afghanistan denken.