Platon: Leben, Ideenlehre und politische Philosophie
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Platons Leben und historischer Kontext
Platon wurde in Athen in eine adlige Familie geboren. Er lebte im 4. Jahrhundert v. Chr. und orientierte sich zunächst an Dichtung und Politik, bis er Sokrates begegnete. Platon erlebte eine entscheidende historische Phase: Das demokratische Athen wurde im Peloponnesischen Krieg von Sparta besiegt, was zur Einsetzung einer oligarchischen Regierung in Athen führte. Jahre später wurde die Demokratie wiederhergestellt, unter der Sokrates zum Tode verurteilt wurde. Platon wandte sich schließlich von der Politik ab, um sich der Philosophie zu widmen.
Nach dem Tod seines Lehrers Sokrates unternahm er mehrere Reisen, unter anderem nach Sizilien, wo er Dion traf, den Schwager des Tyrannen Dionysios I. Sein Versuch, dort seine politischen Vorstellungen umzusetzen, scheiterte jedoch. Er kehrte nach Athen zurück und gründete die Akademie, eine Philosophenschule, die über 900 Jahre Bestand haben sollte. Den Rest seines Lebens widmete er dem Lehren und Schreiben.
Seine Werke sind in Dialogform verfasst, oft mit Sokrates als Hauptfigur, und nutzen Beispiele und Mythen zur Erklärung philosophischer Gedanken. Die Hauptfigur ist meist Sokrates, neben anderen Zeitgenossen. Platons Schaffen durchlief mehrere Phasen; die mittlere, reife Phase (zu der auch „Der Staat“ gehört) gilt als besonders wichtig.
Obwohl Sparta politisch dominierte, blieb Athen mit Persönlichkeiten wie Platon und Isokrates das Zentrum der griechischen Kultur und intellektuellen Hegemonie. In der Dichtung ragten Euripides mit seinen Tragödien und Aristophanes mit seinen Komödien heraus.
Philosophische Einflüsse
Die Sophisten
Platon wurde auch von den Sophisten beeinflusst. Er übernahm von ihnen die Charakterisierung des sinnlichen Wissens als veränderlich und relativ („nach Vereinbarung“). Die Sophisten waren Wanderlehrer, die für ihren Unterricht bezahlt wurden, was sie in Gegensatz zu Sokrates brachte. Ihre Philosophie war praktisch ausgerichtet und oft von einer skeptischen Haltung geprägt. Sie beschäftigten sich mit Themen wie Sprache, Religion, Recht und Rhetorik.
Sokrates
Von Sokrates übernahm Platon das Streben nach wahrer Erkenntnis, die Betonung der geistigen Natur des Wissens und die Methode der Dialektik (die sokratische Mäeutik oder „Hebammenkunst“), eine Gesprächsführung durch Fragen und Antworten, die zur Einsicht führen soll. Sokrates war zudem ein Befürworter der Demokratie und versuchte, diese durch Bildung zu verbessern.
Für Sokrates war es zentral, den Menschen aus der Unwissenheit zu befreien. Er vertrat die Ansicht, dass rechtes Handeln aus rechtem Wissen folgt („Niemand tut freiwillig Unrecht“) und dass Tugend lehrbar sei. Sein Denken, insbesondere seine Haltung angesichts des Todesurteils, beeinflusste Platon tief.
Auch die Vorstellung, dass es besser sei, Unrecht zu erleiden als Unrecht zu tun, da Unrecht der Seele schade, stammt von Sokrates und wurde von Platon weiterentwickelt. Ein weiterer Einfluss kam von den Pythagoreern, insbesondere deren Seelenlehre und die Betonung der Mathematik, sowie ihre Ablehnung der Rhetorik.
Was für Sokrates der Begriff (die Definition) war, wurde für Platon die Idee.
Die Ideenlehre
Die gesamte platonische Philosophie dreht sich um die Ideenlehre, eine dualistische und pluralistische Doktrin. Ideen sind intelligible (nur durch den Geist erfassbare) Wesenheiten oder Urbilder, die das eigentliche Sein dessen ausmachen, was eine bestimmte Sache ist. Diese Wesenheiten existieren getrennt von den einzelnen sinnlich wahrnehmbaren Dingen; sie sind eigenständige Realitäten mit wahrer und unabhängiger Existenz. Die Ideen sind das eigentliche Objekt des Denkens und der wahren Erkenntnis. Sie können nur durch den Verstand erfasst werden, während die Sinnesobjekte nur Abbilder sind und von den Ideen ihren Namen erhalten.
Dualismus: Sinnliche und intelligible Welt
Diese Theorie impliziert eine Verdoppelung der Welt. Auf der einen Seite steht die sinnliche Welt der einzelnen Dinge, auf der anderen Seite die intelligible Welt der Ideen. Beide sind voneinander getrennt. Die sichtbare Welt ist eine Welt des Werdens und Vergehens, beherrscht von ständigem Wandel. Die Dinge in ihr sind vielfältig, zeitlich und veränderlich. Die intelligible Welt ist die Welt des wahren Seins. Die Ideen sind einzigartig, ewig und unveränderlich; sie werden durch die Vernunft erkannt.
Die Verbindung der Welten: Teilhabe
Beide Welten sind durch die Methexis (Teilhabe) miteinander verbunden: Die Dinge der sinnlichen Welt haben an den Ideen teil. Die Ideen sind die Urbilder (Paradigmen) der sinnlichen Dinge. Diese sind umso realer, je mehr sie an der entsprechenden Idee partizipieren.
Zweck der Ideenlehre
Die Ideenlehre hatte zunächst ein politisches Ziel: Die Herrscher sollten Philosophen sein, die sich an absoluten und transzendenten Idealen (den Ideen) orientieren und nicht von persönlichem Ehrgeiz geleitet werden. Später verfolgte sie auch einen wissenschaftlichen Zweck, nämlich die Begründung wahrer Erkenntnis.
Platons Menschenbild: Seele und Körper
Platons Menschenbild ist ebenfalls dualistisch. Der Mensch besteht aus zwei Elementen, die nur vorübergehend („durch Unfall“) miteinander verbunden sind: Seele und Körper. Die Überlegenheit der Seele über den Körper führt Platon zu der Aussage, dass der Mensch wesentlich seine Seele ist. Die Seele ist eine Realität, die sich zwischen den beiden Welten bewegt und zwischen ihnen vermittelt.
Die Unsterblichkeit und Reise der Seele
Für Platon ist die Seele unsterblich. Ihr eigentlicher Zustand ist die Trennung vom Körper; die Vereinigung mit ihm ist ein vorübergehender, unnatürlicher Zustand. Der eigentliche Ort der Seele ist die Welt der Ideen. Solange sie an den Körper gebunden ist, muss sich die Seele reinigen und sich auf die Schau der Ideen vorbereiten. Sie befindet sich in einem Zustand der Unreinheit, beeinflusst durch die Bedürfnisse und Begierden des Körpers. Die Seele wird durch Bildung befreit, indem sie sich vom Vergänglichen (dem Körper) löst. Für Platon ist das wahre Leben das Leben der Seele.
Die drei Teile der Seele
Für Platon ist die Seele dreigeteilt:
- Logistikon (Vernunft): Unsterblich, Sitz der Intelligenz, im Kopf lokalisiert.
- Thymoeides (Mut/Tatkraft): Quelle edler Affekte (Mut, Zorn), sterblich, in der Brust lokalisiert.
- Epithymetikon (Begierde): Quelle niederer Begierden, sterblich, im Unterleib lokalisiert.
Nur der vernünftige Seelenteil ist unsterblich (im „Timaios“ vom Demiurgen geschaffen) und fähig, die Ideen zu schauen.
Philosophie ist für Platon eine Vorbereitung auf den Tod, verstanden als die Trennung der Seele vom Körper (der als Hindernis für die Erkenntnis gilt), um die Ideen direkt schauen zu können.
Platon übernahm von den Pythagoreern die Lehre von der Seelenwanderung (Reinkarnation): Nach dem Tod des Körpers inkarniert sich die Seele wieder, bis sie gereinigt ist und endgültig in die Welt der Ideen aufsteigen kann.
Erkenntnistheorie: Wissen als Erinnerung
Platon erklärt den Erkenntnisprozess durch seine Anamnesis-Lehre (Wiedererinnerung). Diese besagt, dass die Seele bereits vor ihrer Einkerkerung im Körper die Ideen geschaut hat. Das Wissen ist also in der Seele latent vorhanden, aber durch die Geburt vergessen worden. Erkennen bedeutet daher, sich wiederzuerinnern. Da die sinnlichen Dinge die Ideen nachahmen (Mimesis), kann die Wahrnehmung dieser Dinge als Anstoß dienen, sich an die Ideen zu erinnern.
Die Dialektik als Weg zur Wahrheit
Die Dialektik ist für Platon die höchste wissenschaftliche Methode, der Weg des Aufstiegs zur Erkenntnis der Ideen und ihrer hierarchischen Ordnung. An der Spitze dieser Hierarchie steht die Idee des Guten. Sie ist das höchste Prinzip, der Ursprung des Seins und der Erkennbarkeit aller anderen Ideen. Nachdem der Dialektiker die Idee des Guten erkannt hat, kann er auf dem umgekehrten Weg (Abstieg) das Wesen aller anderen Dinge verstehen.
Ethik: Tugend und Gerechtigkeit
Die ursprüngliche Absicht der Ideenlehre war, wie erwähnt, ethisch und politisch. Platons ethisches und politisches Denken konzentriert sich auf den Begriff der Gerechtigkeit (Dikaiosyne), die er als höchste Tugend betrachtet. Tugend ist für Platon zum einen Wissen um das Gute (in Anlehnung an Sokrates), zum anderen die harmonische Ordnung der verschiedenen Seelenteile.
Die vier Kardinaltugenden
Den drei Seelenteilen entsprechen spezifische Tugenden, ergänzt durch die Gerechtigkeit als übergreifende Tugend (die vier Kardinaltugenden):
- Weisheit (Sophia): Tugend des vernünftigen Teils (Logistikon); ermöglicht die richtige Einsicht und Wahl.
- Tapferkeit (Andreia): Tugend des muthaften Teils (Thymoeides); ermöglicht das standhafte Festhalten am Guten, auch in schwierigen Situationen.
- Besonnenheit (Sophrosyne): Tugend des begehrenden Teils (Epithymetikon); regelt die Begierden durch Unterordnung unter die Vernunft.
- Gerechtigkeit (Dikaiosyne): Besteht in der Harmonie der drei Seelenteile, wenn jeder Teil das Seinige tut und die Vernunft herrscht.
Politische Philosophie: Der ideale Staat
Gerechtigkeit kann sowohl dem Individuum als auch dem Staat zugeschrieben werden.
Die drei Stände im Staat
Im Staat müssen drei grundlegende Bedürfnisse erfüllt werden: Ernährung/Wirtschaft, Verteidigung und Regierung. Jede dieser Aufgaben soll von einem spezialisierten Stand wahrgenommen werden:
- Nährstand (Bauern, Handwerker, Händler): Sorgt für die materiellen Bedürfnisse. Bei ihnen dominiert der begehrende Seelenteil (Epithymetikon). Ihre Tugend ist die Besonnenheit (im Sinne der Selbstbeherrschung).
- Wehrstand (Wächter): Verteidigt den Staat nach außen und innen. Bei ihnen dominiert der muthafte Seelenteil (Thymoeides). Ihre Tugend ist die Tapferkeit.
- Lehrstand (Herrscher/Philosophenkönige): Leitet den Staat. Sie werden aus den besten Wächtern ausgewählt und erhalten eine umfassende philosophische Ausbildung. Bei ihnen dominiert der vernünftige Seelenteil (Logistikon). Ihre Tugend ist die Weisheit.
Staat und Seele: Strukturprinzipien
Platons politische Theorie basiert auf zwei zentralen Prinzipien: dem Analogieprinzip (Entsprechung von Seelenstruktur und Staatsstruktur) und dem Prinzip der funktionalen Spezialisierung. Jeder Einzelne soll die Funktion im Staat ausüben, für die er aufgrund des vorherrschenden Seelenteils am besten geeignet ist („Jeder tut das Seinige“). Die Weisheit ist spezifisch den Herrschern zugeordnet, die Tapferkeit den Wächtern. Besonnenheit sollen alle drei Stände besitzen. Die Gerechtigkeit im Staat besteht darin, dass jeder Stand seine spezifische Aufgabe erfüllt und somit das Prinzip der funktionalen Spezialisierung verwirklicht wird.
Die Rolle der Erziehung
Die Erziehung (Paideia) spielt eine entscheidende Rolle. Sie ist dafür verantwortlich, die Veranlagung jedes Einzelnen zu erkennen und ihn der entsprechenden Funktion zuzuweisen. Ziel der staatlich kontrollierten Erziehung ist es, die natürlichen Fähigkeiten zu entwickeln. In den frühen Phasen umfasst die Erziehung Gymnastik (für den Körper) und Musik (im weiten Sinne, für die Seele). In einer zweiten, höheren Stufe (ab 20 Jahren) werden die zukünftigen Wächter und Herrscher in Mathematik, Astronomie, Harmonielehre und schließlich in der Dialektik (Philosophie) ausgebildet.
Staatsformen und Gemeinschaft
Platon beschreibt einen Kreislauf der Verfassungen, in dem die ideale Aristokratie (oder Monarchie) zur Timokratie (Herrschaft der Ehrgeizigen), dann zur Oligarchie (Herrschaft der Reichen), zur Demokratie (Herrschaft des Volkes) und schließlich zur Tyrannis (Alleinherrschaft des Tyrannen) verfällt.
Für die Wächter und Herrscher fordert Platon die Aufhebung von Privateigentum und Familie (Güter- und Frauengemeinschaft). Sie sollen keine materiellen Güter besitzen, damit sie sich nicht von eigennützigen Begierden leiten lassen, sondern sich ganz dem Wohl des Staates widmen.