Platons Höhlengleichnis: Analyse, Deutung und philosophische Relevanz
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Die Allegorie der Höhle: Beschreibung und Elemente
Die Allegorie des Höhlengleichnisses (Buch VII der Politeia) dient als Metapher für den menschlichen Zustand. Sie übersetzt die vier Ebenen des expliziten Wissens und behandelt zentrale philosophische Probleme (erkenntnistheoretisch, ontologisch, ethisch, politisch, anthropologisch und pädagogisch).
Thematische Erklärung und Rechtfertigung
Die Allegorie dient der Darstellung folgender Punkte:
- Einer Dramatisierung des Erziehungsprozesses.
- Der Unterscheidung zwischen den Lehren der Sophisten (basierend auf Überredung und Täuschung) und dem Wissen des wahren Philosophen.
- Dem Übergang von der Unwissenheit zur Erkenntnis.
- Der Bildung des Philosophenherrschers und dem Zugang zur vollständigen menschlichen Erkenntnis.
Elemente der Interpretation
Die Höhle stellt die Welt der Sinne dar, in der die Seele gefangen ist. Die Elemente der Interpretation sind:
- Die Schatten: Sie zeigen die niedrigste Stufe der Realität (Abbilder) und damit des Wissens (*Eikasia*).
- Die Trennwand (Partition): Sie ermöglicht die Täuschung, indem sie menschliche Figuren verbirgt (Umgang mit Objekten). Sie dient auch dazu, die Gefangenen von jenen zu unterscheiden, die die Höhle verlassen haben.
- Das Feuer: Es ermöglicht Licht und Schatten. Das Wissen über die durch das Feuer beleuchteten Objekte (*Pistis*) ist für Platon Teil der *Doxa* (Meinung). Die von Menschen geschaffenen Objekte, die nicht in der visuellen Kunst dargestellt werden, führen uns von der Realität weg, indem sie Kopien von Kopien erzeugen.
Die Gefangenen verstehen nur die Echos der Sprache anderer (eine Anspielung auf die Sophisten). Ihr Wissen ist ein Satz von Schatten und Echos. Sie kennen ihre Ketten nicht. Für Platon ist dies die wahre menschliche Existenz, die von Unwissenheit und Körperlichkeit geprägt ist. Wir sind an Irrtümer, Verletzungen und geistige Blindheit gewöhnt.
Der Aufstieg des Gefangenen und der Weg zur Erkenntnis
Der Aufstieg des Gefangenen nach außen ist der Beginn des dialektischen Prozesses und der Bildung.
Der Prozess der Gewöhnung
Der Aufstieg beschreibt den Übergang von der *Eikasia* zur *Pistis* – vom Erfassen von Abbildern zum Erfassen von Objekten. Der Gefangene hat bereits die Fähigkeit, ihm fehlt nur die direkte Sicht auf das Wahre. Die Zeit des Aufstiegs ist die Zeit der Reinigung des Körpers.
Die Situation wird zunächst als heller, aber schlimmer empfunden. Die Gefangenen erkennen, dass die Schatten, die sie zuvor für klar hielten, nicht real sind, was Schmerzen verursacht. Der steile Anstieg verweist auf die platonische Dialektik: der kostspielige und schwierige Übergang von der Meinung (*Doxa*) zur Erkenntnis (*Episteme*). Bildung ist nicht einfach und voller Hindernisse.
Die intelligible Welt
Der Weg der Seele zu den Ideen. Die Methode des Aufstiegs außerhalb der Höhle repräsentiert die intelligible Welt, an die man sich gewöhnen muss. Das Licht steht für mathematisches Wissen, das zur reinen Intelligenz führt. Der Himmel würde die verständliche Realität (die Ideen) darstellen, und die Sonne das *Gute*.
Fazit: Die Betrachtung der Sonne führt zur höchsten Erkenntnis, die das Gute umfasst, welches das Fundament aller Wirklichkeit ist.
Die Rückkehr in die Höhle und ihre Konsequenzen
Die Rückkehr symbolisiert die Talseite der Dialektik.
Die pädagogische Mission
Der Befreite wird erneut geblendet, da er in die Dunkelheit zurückkehrt. Die Gefangenen verspotten ihn und lehnen seine kritische Haltung ab. Wenn er versuchen würde, sie zu befreien, würden sie ihn töten. Der Weise ist unbeholfen in alltäglichen Dingen, da er an die intelligible Welt gewöhnt ist. Dennoch muss er seine pädagogische Mission erfüllen: die Befreiung der Gefangenen. Sein Ziel ist es, die Wahrheit zu lehren, auch wenn jene, die gekettet sind, diese ablehnen.
Anerkennung und Mitleid
Der Befreite erkennt, dass das Leben außerhalb besser ist. Er empfindet Mitleid für seine ehemaligen Mitgefangenen. Die Sophisten, die die Schatten verteidigen, sind unwissend.
Allegorische Deutung und philosophische Einordnung
Die Idee des Guten
Die Idee des Guten ist der Höhepunkt von allem in der sensiblen und intelligiblen Welt. Sie ist verantwortlich für Wahrheit und Intelligenz. Man muss sie kennen, um weise und tugendhaft handeln zu können. Das Gute erfüllt eine dreifache Funktion:
- a) Ontologisch: Es ist die letzte Realität und die Ursache der Ideen und damit der sensiblen Welt.
- b) Erkenntnistheoretisch: Es ist die Ursache für die Verständlichkeit der Ideen und somit der intelligiblen Welt.
- c) Politisch-Ethisch: Wer dieses Wissen verwaltet, kann ein guter Mensch sein und weise handeln.
Vergleich mit anderen philosophischen Positionen
Die Idee des Menschen als Gefangener von falschen oder irrtümlichen Annahmen ist ein Merkmal der Philosophie. Hierzu gibt es folgende vergleichende Ansätze:
- Nietzsche: Kritisiert metaphysische Sprache, die auf Angst basiert, und stellt sie Platons Sensibilität gegenüber.
- Marx: Beschreibt die Realität des Menschen seiner Zeit in einer Weise, die der Situation des Höhlengefangenen ähnelt.
- Marcuse: Spricht vom eindimensionalen Menschen als Merkmal unserer zeitgenössischen Gesellschaft – dem degradierten Bürger/Konsumenten.
Bewertung der Allegorie
Die Allegorie ist auch heute noch relevant:
- Wissen und Glück: Die Fähigkeit, Glück zu erreichen, liegt in der Erkenntnis. Autoren der Gegenwart (z. B. Ortega y Gasset) fordern eine kritische Vernunft: eine Aussöhnung zwischen Vernunft und Leben.
- Bildung: Die Allegorie umfasst Bildung als Schlüssel zur Lösung politischer Probleme.
- Pädagogisches Modell: Platons mäeutisches Modell der Pädagogik verspottet die Sophisten, die Bildung als leicht vermittelbar ansehen. Die Höhle symbolisiert die intellektuell vorgefertigten Bilder, mit denen unsere Gesellschaft gefüttert wird, oder die sensorischen Eindrücke des technologischen Fortschritts, bei denen die eigentliche Realität unbekannt bleibt.