Platons Philosophie: Einflüsse und Wirkungsgeschichte
Classified in Philosophie und Ethik
Written at on Deutsch with a size of 9,57 KB.
Einflüsse auf Platon
Trotz der unbestreitbaren Originalität von Platon (427–347 v. Chr.) ist es möglich, in seinem Denken Spuren von Ideen und Problemen zu finden, die bereits bei den Sokratikern und in der Vorsokratik behandelt wurden:
Einfluss von Parmenides
Der Einfluss von Parmenides und seiner Schule ist in vielen seiner Schriften und Thesen deutlich:
- Die Konzeption des Seins als unveränderlich.
- Die Aufteilung der Wirklichkeit in zwei Bereiche: die sichtbare Welt und die intelligible (nur dem Denken zugängliche) Welt.
- Die Teilung des Wissens in zwei Arten: Wissenschaft (episteme) oder wahres Wissen, das der Vernunft entspricht, und Meinung (doxa), als eine Sammlung von Wahrheiten niederen Ranges, die den Sinnen zugänglich sind.
Einfluss von Heraklit
Aber auch Heraklits Auffassung der Realität als einem ständigen Wandel unterworfen, erscheint in Platons Philosophie im Begriff der „sinnlichen Welt“.
Einfluss von Anaxagoras
Von Anaxagoras übernimmt er die ordnende Intelligenz (Nous), die im Mythos des Demiurgen erscheint, einem Halbgott, der die sinnliche Welt nach dem Vorbild der intelligiblen Welt formt.
Pythagoreische Einflüsse
- Mathematische Bedeutung: Das Motto über dem Eingang der Akademie – „Kein der Geometrie Unkundiger möge hier eintreten“ – zeigt seine Anerkennung für den Wert der Mathematik.
- Die Vernunft als Instrument des Wissenserwerbs.
- Der Vorrang der Seele gegenüber dem Körper.
- Die Theorie der Seelenwanderung (Reinkarnation).
- Die Vorstellung, dass der Demiurg die Sinnenwelt nach mathematischen Modellen schuf.
Orphische Einflüsse
Die orphische Religion findet sich ebenfalls in seinem Denken wieder: anthropologischer Dualismus, Überbewertung der Seele und Geringschätzung des Körpers, die These von der göttlichen und unsterblichen Natur der menschlichen Seele und das moralische Ideal der Askese und Reinigung.
Einfluss von Sokrates
Sokrates, den er in seiner Jugend traf, führte ihn in die Philosophie ein. Der Tod des Sokrates (399 v. Chr.) berührte ihn tief, sodass die Figur und das Denken seines Lehrers viele seiner Schriften durchziehen, besonders die sogenannten „Jugenddialoge“. Sein Einfluss auf die platonische Philosophie zeigt sich in:
- Der Betrachtung des Dialogs als geeigneten Weg zur philosophischen Untersuchung und Wahrheitsfindung.
- Dem Vorrang der Seele gegenüber dem Körper.
- Der Notwendigkeit der Sorge um die Seele.
- Dem ethischen und politischen Intellektualismus.
- Dem Glauben an die Bedeutung allgemeingültiger und notwendiger Definitionen von Begriffen, was die These von der Existenz universaler Wesenheiten oder Ideen stützt.
- Der Anamnesislehre (Theorie der Wiedererinnerung) als Ergänzung zur sokratischen Mäeutik.
Auseinandersetzung mit den Sophisten
Die Sophistik beeinflusste ihn ebenfalls: Platons gesamte Philosophie ist auch eine Reaktion auf die Sophisten und der Versuch, sie zu überwinden. Dies zeigt sich z. B. in folgenden Punkten:
- Gegen die sophistische Praxis des Lehrens durch Reden schlägt Platon den Dialog als Methode der philosophischen Untersuchung und Wahrheitsfindung vor, der die aktive Beteiligung des Schülers erfordert.
- Gegen den Relativismus und Skeptizismus der Sophisten verteidigt Platon die Existenz absoluter Realitäten (Ideen), die die Grundlage für objektive Erkenntnis und die Kritik am ethischen Relativismus der Sophisten bilden.
- Gegen die sophistische Auffassung von Sprache und Vernunft als bloße Instrumente zur Durchsetzung persönlicher Interessen und zum Erfolg in der Politik (polis) setzt Platon eine Vorstellung von Sprache und Vernunft, die auf das Erreichen objektiver Wahrheit und des wahren Guten für alle Menschen abzielt.
Wirkungsgeschichte Platons
Platons Denken ist in der einen oder anderen Form im gesamten abendländischen Denken präsent (Alfred North Whitehead bemerkte, die gesamte Geschichte der Philosophie sei nur eine Reihe von Fußnoten zu Platon). Im Folgenden werden einige der deutlichsten und anerkanntesten Einflüsse beschrieben.
Antike Philosophie
Im Jahr 387 v. Chr. gründete Platon die Akademie in Athen, eine der bedeutendsten Schulen und Forschungseinrichtungen der Antike. Dort wurden Musik, Astronomie, Mathematik und als Höhepunkt Philosophie gelehrt. Sie brachte bedeutende Mathematiker und Astronomen hervor, vernachlässigte aber auch Naturgeschichte (Biologie) oder Rechtswissenschaft nicht. Von den verschiedenen Leitern (Scholarch), die die Akademie nach Platon kannte, folgte die sogenannte Ältere Akademie am treuesten seinen Lehren, betonte aber auch pythagoreische Ideen und die Mathematisierung, die sich in seinen späten Schriften findet. Eine Weiterentwicklung und mystische Interpretation seines Denkens bot der Neuplatonismus mit Plotin, Porphyrios, Iamblichos und Proklos als wichtigsten Vertretern.
An der Akademie wurde auch Aristoteles ausgebildet, sein berühmtester Schüler. Obwohl er Platons Ideenlehre kritisierte und die Existenz transzendenter, von der physischen Welt unabhängiger Dinge leugnete, stimmte er mit seinem Lehrer darin überein, dass es neben den individuellen Wirklichkeiten auch universelle Wesenheiten gibt – allerdings nicht getrennt von den Dingen, sondern in ihnen. Diese Universalien sollten Gegenstand der Wissenschaft sein. Auch die These von der göttlichen und unsterblichen Natur der Vernunft ist platonisch geprägt. Darüber hinaus zeigen die Betrachtung des Menschen als von Natur aus soziales Wesen (zoon politikon) und die Bedeutung des Wissens für das ethische und politische Leben den deutlichen Einfluss seines Lehrers.
Mittelalter und Renaissance
Platons Idee des Guten (als höchste, reine Wahrheit, Schönheit und Güte, Schöpfer der Welt) ließ sich leicht mit dem Monotheismus der Juden, Christen und Muslime in Einklang bringen. Auch seine Seelenlehre und wichtige ethische Argumente fanden Anklang. Daher überrascht die Präsenz dieses Philosophen im islamischen Denken (Al-Farabi, 870–950), im jüdischen Denken (Avicebron/Ibn Gabirol, ca. 1021–1058) und im christlichen Denken nicht. Im mittelalterlichen Christentum findet sich Platon besonders bei Augustinus von Hippo (354–430) wieder: Sein anthropologischer Dualismus erinnert an Platon; Augustinus glaubte ebenfalls an die Existenz universaler Ideen (die für ihn im göttlichen Geist existieren) und lehnte eine rein empiristische Erkenntnistheorie ab, wobei er die Wiedererinnerung durch die göttliche Erleuchtung ersetzte. Thomas von Aquin wiederum nutzt die platonische Konzeption der Teilhabe (Methexis), um die Beziehung zwischen Gott und den Geschöpfen zu erklären, und auch seine Gottesbeweise sind von platonisch beeinflussten Philosophen inspiriert.
Die Renaissance markierte eine Erneuerung des griechischen Denkens und damit unmissverständlich auch das unseres Autors, zuerst durch die Platonische Akademie in Florenz, insbesondere durch Marsilio Ficino (1433–1499), und dann durch die Utopien von Thomas Morus (Utopia) und Tommaso Campanella (Der Sonnenstaat), die von Platons Hauptwerk, der Politeia (Der Staat), inspiriert wurden.
Neuzeit und Moderne
In der Neuzeit ist Platons Präsenz im Rationalismus spürbar. So vertrat beispielsweise Descartes eine nativistische Erkenntnistheorie (Theorie der angeborenen Ideen), die klare Ähnlichkeiten zur Anamnesislehre aufweist. Er teilte Platons Enthusiasmus für den Gebrauch der Vernunft, die Skepsis gegenüber der Erkenntnisfähigkeit der Sinne und den anthropologischen Dualismus. Es ist auch nicht falsch darauf hinzuweisen, dass Kant sich bei seinen „Ideen der reinen Vernunft“ von Platon inspirieren ließ.
Zeitgenössische Philosophie
Die zeitgenössische Philosophie zeigt platonische Züge in wichtigen Strömungen wie der Phänomenologie Husserls und Schelers. Diese Denker glaubten, ähnlich wie Platon, an die Existenz ewiger, unveränderlicher und universaler Entitäten (Wesensheiten, Essenzen) und an die Möglichkeit und Notwendigkeit strengen Wissens, das sich auf absolute, ideale Objekte bezieht.
Schließlich darf der bekannte Philosoph Karl Popper (1902–1994) nicht vergessen werden. Er hatte eine ambivalente Haltung zu Platon: In Die offene Gesellschaft und ihre Feinde versuchte er zu zeigen, dass Platon der geistige Vater totalitärer Staatsvorstellungen und ein Feind der Freiheit sei. In anderen Schriften jedoch scheint Popper Thesen zu vertreten, die Platon sehr nahekommen. Popper postulierte die Existenz von drei „Welten“: Welt 1 (die Menge physikalischer Tatsachen), Welt 2 (die Menge mentaler Zustände) und Welt 3 (die Menge objektiver Wahrheiten, wie die Gesetze der Wissenschaft, unabhängig von den anderen beiden). Diese Welt 3 weist zweifellos große Ähnlichkeit mit der von Platon vorgeschlagenen Ideenwelt auf.