Quellen des Völkerrechts: Verträge und Gewohnheitsrecht
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Quellen des Völkerrechts
Verträge im Völkerrecht
Verträge können definiert werden als internationale Abkommen zwischen Staaten, die dem Völkerrecht unterliegen und darauf abzielen, Rechtswirkungen zu entfalten.
Wesentliche Merkmale völkerrechtlicher Verträge
- Verträge werden in der Regel zwischen Staaten geschlossen. Es gibt jedoch auch Verträge zwischen Staaten und anderen Völkerrechtssubjekten, wie internationalen Organisationen (z.B. den Vereinten Nationen).
- Damit eine Vereinbarung als Vertrag gilt, muss sie dem Völkerrecht unterliegen. Eine Vereinbarung, die dem nationalen Recht unterliegt (z.B. ein Kaufvertrag über Nuklearmaterial, der besagt, dass er dem internen Recht des Verkäufers unterliegt), ist kein völkerrechtlicher Vertrag.
- Ein Vertrag muss darauf abzielen, Rechtswirkungen zu entfalten, d.h. Regeln zu schaffen, zu ändern oder aufzuheben sowie Rechte und Pflichten zu begründen, die von keiner Partei später bestritten werden können.
- Verschiedene Bezeichnungen wie Übereinkommen, Abkommen, Satzungen oder Protokolle werden in der Praxis synonym verwendet.
Klassifizierung von Verträgen
Verträge können auf verschiedene Weisen klassifiziert werden:
Nach der Anzahl der Parteien
- Bilaterale Verträge: Werden zwischen nur zwei Staaten geschlossen.
- Multilaterale Verträge: Werden zwischen mehreren Staaten geschlossen, wie z.B. die Genfer Seerechtskonvention.
Nach dem Inhalt oder Zweck
- Vertragsverträge (Verträge, die eine Leistung auferlegen): Diese verpflichten jede Vertragspartei zu einem bestimmten Verhalten oder einer einmaligen Leistung, wie z.B. die Abtretung eines Gebiets im Austausch für eine Entschädigung.
- Rechtssetzende Verträge (Vertragsgesetze): Diese regeln das Verhalten der Staaten dauerhaft und kontinuierlich, wie z.B. die Charta der Vereinten Nationen oder die UN-Seerechtskonvention.
Nach dem Umfang des Regelungsbereichs
- Allgemeine Verträge: Regeln ein bestimmtes Thema umfassend, wie die UN-Seerechtskonvention.
- Spezielle Verträge: Regeln spezifische Einzelthemen, wie z.B. die Fangquoten für Schwertfisch im Südpazifik.
Weitere Klassifizierungen
Weitere Klassifizierungen können nach dem Sachgebiet erfolgen, z.B. Wirtschaftsverträge (wie das MERCOSUR-Freihandelsabkommen oder die Verträge der Europäischen Union), Sicherheitsverträge (wie der Nordatlantikvertrag) oder Grenzverträge.
Gewohnheitsrecht im Völkerrecht
Elemente des Gewohnheitsrechts
Nach der herrschenden Lehre umfasst das Gewohnheitsrecht zwei Elemente:
- Erstens eine staatliche Praxis (consuetudo), die durch die ständige Wiederholung von Handlungen in gleicher Richtung (Präzedenzfälle) gebildet wird.
- Zweitens die Überzeugung der Staaten, dass sie bei der Ausführung dieser Handlungen einer rechtlichen Verpflichtung nachkommen (opinio juris sive necessitatis).
Damit eine Gewohnheitsrechtsregel allgemein, d.h. für alle Staaten, verbindlich wird, muss sie von der gesamten internationalen Gemeinschaft, insbesondere von den betroffenen Staaten, akzeptiert worden sein. Es ist nicht erforderlich, dass ein Staat, gegen den eine Gewohnheitsrechtsregel geltend gemacht wird, dieser ausdrücklich zugestimmt hat; eine ausreichende allgemeine Akzeptanz genügt. Eine Gewohnheitsrechtsregel ist jedoch nicht gegen einen Staat durchsetzbar, der sich während ihrer Entstehung und vor ihrer Verfestigung konsequent geweigert hat, sie zu akzeptieren (sogenannter Persistent Objector).
Es ist auch nicht zwingend erforderlich, dass eine Praxis über einen langen Zeitraum hinweg besteht, um Gewohnheitsrecht zu bilden; auch eine Praxis von kurzer Dauer kann zur Entstehung einer Gewohnheitsrechtsregel führen. Ein Beispiel hierfür ist die Regel, dass jeder Staat die ausschließliche Hoheit über den Luftraum über seinem Hoheitsgebiet besitzt und der Weltraum den Charakter einer res nullius hat – diese Regeln bildeten sich in kurzer Zeit.
Präzedenzfälle, die das materielle Element des Gewohnheitsrechts bilden, können Handlungen oder Unterlassungen von Staaten sein, z.B. in diplomatischer Korrespondenz, Anweisungen an Diplomaten und Konsulate, Erklärungen oder Verhaltensweisen auf internationalen Konferenzen.
Abgrenzung zu bloßen Gebräuchen
Das wesentliche Element des Gewohnheitsrechts ist die Opinio Juris, im Gegensatz zu bloßen Gebräuchen (usages), die nur aus Höflichkeit, Zweckmäßigkeit oder Tradition entstehen und nicht, weil sich Staaten rechtlich dazu verpflichtet fühlen (z.B. die Feierlichkeiten oder Grüße zwischen Kriegsschiffen). Die Feststellung der Opinio Juris kann schwierig sein und muss von Fall zu Fall im Lichte aller Umstände der Handlungen, die sie widerspiegeln sollen, beurteilt werden.
Verhältnis zu Vertragsrecht
Gewohnheitsrechtliche Regeln sind oft langsam und ungenau in ihrer Entstehung und ihrem Inhalt, weshalb sie an einigen Stellen durch explizite Vertragsregeln kodifiziert werden. Neue Verträge oder Abkommen verdrängen jedoch die bestehenden gewohnheitsrechtlichen Regeln nicht vollständig. Sie dienen vielmehr dazu, Lücken in Verträgen zu füllen, deren Bestimmungen zu interpretieren und Verhaltensregeln für Staaten zu schaffen, die die Verträge nicht unterzeichnet haben.