Religionsunterricht (ERE) in Spanien: Geschichte & Pädagogik

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Kirche und Schule im Wandel der Zeit

Frühchristentum und Mittelalter

In den ersten Jahrhunderten des Christentums existierte neben der offiziellen heidnischen Schule die christliche Jugenderziehung in den Gemeinden (bis Ende des 4. Jh.). Nach den Barbareneinfällen und im Frühmittelalter etablierte sich eine christliche Schulordnung mit klerikaler Struktur und sakralem Inhalt. Die Schule lag primär in den Händen von Geistlichen und Mönchen; im 8. Jh. vollständig unter kirchlicher Kontrolle.

Mittelalterliche Christenheit

Die Schule war tief christlich und klerikal geprägt, integrierte jedoch auch profane Inhalte. Ab der karolingischen Zeit (9./10. Jh.) bis zum 13. Jh. erfolgte eine Wiedereinführung heidnischer Kulturelemente.

Humanismus

Auch in der humanistischen Ära blieb die Schulstruktur christlich, jedoch mit einer zunehmenden Prävalenz säkularer und heidnischer Inhalte neben den religiösen.

Moderne und Zeitgenössische Epoche

Es erfolgte ein schrittweiser Wandel von einer christlichen Bekenntnisschule zu einer säkularen Staatsschule, verbunden mit der Emanzipation aller weltlichen Tätigkeiten.

Zweites Vatikanisches Konzil

Das Konzil (Treffen des Papstes mit den Bischöfen) führte zur aufrichtigen und respektvollen Akzeptanz des religiösen Pluralismus. Es befürwortete eine religiös pluralistische öffentliche Schule und verteidigte das Recht christlicher Schüler auf Religionsunterricht gemäß ihrem Glauben.

Religionsunterricht in Spanien: Entwicklung

Historischer Kontext und Konflikte

Die Beziehung zwischen Religion und Schule ist seit über einem Jahrhundert umstritten. Das aktuelle Bildungssystem geht auf das 19. Jh. zurück und entwickelte sich im 20. Jh. weiter. Die Aufklärung ebnete den Weg zum Laizismus, ein Prozess, der nicht zwangsläufig kirchenfeindlich war.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es drei Hauptpositionen zur religiösen Frage:

  • Befürworter der römisch-katholischen Religion in öffentlichen und privaten Schulen.
  • Befürworter einer rein weltlichen Schule.
  • Eine neutrale Zwischenposition.

In der Zweiten Republik (1931-1939) kam es zu einem ungewöhnlichen Konflikt mit der Einführung einer einzigen weltlichen Schule und der Abschaffung des Religionsunterrichts in einem säkularen Klima.

Kirchliche Positionen und Verfassung

Die Erklärung Dignitatis Humanae des Zweiten Vatikanischen Konzils proklamierte die Religionsfreiheit. Das Dokument Gravissimum Educationis betonte das Recht der Eltern auf Bildung, Schulwahl und religiöse Erziehung ihrer Kinder.

Die spanische Verfassung von 1978 überwand das alte Regime und etablierte eine pluralistische Gesellschaft mit breitem politischem Konsens. Sie ist säkular ausgerichtet:

  • Artikel 27: Verankert die Bildungsfreiheit.
  • Artikel 16: Proklamiert die Religionsfreiheit.

Bischofskonferenz 1979

Ein wichtiges Dokument der Bischofskonferenz zum Verständnis der neuen Identität des Religionsunterrichts (Enseñanza Religiosa Escolar - ERE) stellte folgende Forderungen auf:

  • Er ist Teil des Schulrechts.
  • Er ist ein Recht der Person und der Eltern/Familie.
  • Er ist integraler Bestandteil der menschlichen Bildung.
  • Er ist ein kirchlicher Dienst, der Religionsfreiheit gewährleistet.

Gesetzliche Regelungen (ERE)

  • UCD-Regierung: ERE als optionales Schulfach für Schüler, Ethik als Alternative. Diese Regelung blieb bis Mitte der 90er Jahre bestehen.
  • PSOE-Regierung (LOGSE):
    • Erste Lösung (1991): Pflichtangebot für Schulen, optional für Schüler. Alternatives Fach zum Studieren. Nicht benotet. Vier Urteile des Obersten Gerichts erklärten Teile für nichtig.
    • Zweite Lösung (LOGSE, 1994): Königliches Dekret 2438/1994 vom 16. Dezember regelt den Religionsunterricht bis heute. Bewertbar, aber ohne Auswirkungen auf Zeugnisse/Versetzung.
  • PP-Regierung (LOCE): Neuer Ansatz: Gesellschaft, Kultur und Religion. (LOCE wurde später aufgehoben).
  • LOE: Religion als bewertbares und für den Durchschnitt relevantes Fach.

Argumente für den Religionsunterricht (ERE)

Trotz Einwänden wird der Religionsunterricht als umfassende Bildung und nicht nur als konfessionelle Unterweisung verteidigt. Folgende Argumente werden angeführt:

  • Anthropologisches Argument: Der Mensch ist wesentlich ein homo religiosus. Religiöses Wissen gibt der Existenz Sinn und ist vernunftbasiert.
  • Historisches Argument: Religion ist ein entscheidender Faktor der Geschichte. Ohne Kenntnis der Religion ist Geschichte unverständlich. Es ist wesentlich, in die eigene Tradition einzutauchen.
  • Kulturelles Argument: Viele kulturelle Symbole haben religiöse Wurzeln. Auch die säkulare Kultur ist religiös verwurzelt. Kenntnis und Verständnis verschiedener religiöser Identitäten sind notwendig für friedliches Zusammenleben und interkulturellen Dialog.
  • Soziologisches Argument: Es besteht eine enge Beziehung zwischen sozialen Gewohnheiten und der Präsenz von Religion. Religiöses Wissen ist ein Schlüssel zum Verständnis sozialer Phänomene.
  • Sprachliches Argument: Religiöses Wissen drückt sich in einer spezifischen Sprache aus. Das Verständnis des Reichtums symbolischer, mythologischer und liturgischer Sprache ist wichtig.
  • Pädagogisches Argument: Eine integrierte Bildung umfasst ethische, religiöse und ästhetische Dimensionen.
  • Metaphysisches Argument: Religiöses und metaphysisches Wissen ergänzen sich und helfen, Risiken zu verstehen und zu überwinden.

Zehn pädagogische Ziele des Religionsunterrichts

  1. Eine dreidimensionale Sicht lehren: Die physisch überprüfbare Realität, die kulturelle menschliche Schöpfung und die transzendente Dimension, die den Menschen erhebt und einen Sinnhorizont bietet (Pädagogik des Verständnisses des Erbes).
  2. Den Sinn von Ereignissen lesen lehren: Das religiöse Substrat erkennen und die Fähigkeit zur kritischen Interpretation der Kultur entwickeln (Pädagogik des Alltagsblicks).
  3. Denken lehren: Den Geist anregen, die Fähigkeit zum Staunen und zur Stille fördern, inneres Gleichgewicht und Wachstum ermöglichen (Pädagogik der Innerlichkeit).
  4. Entscheiden lehren: Auf Basis von Objektivität und Freiheit Ziele aufzeigen und verfolgen (Pädagogik der Autonomie und Freiheit).
  5. Sprechen lehren: Die Fähigkeit zur Gemeinschaft und zum Finden des richtigen Wortes fördern (Pädagogik des Dialogs).
  6. Leben lehren: Unterschiede und Vielfalt kennen und verstehen, lernen zusammenzuleben, sich selbst, die Welt und die Geschichte vervollkommnen (Pädagogik der Verbesserung des Zusammenlebens).
  7. Das eigene Schicksal entdecken lehren: Die persönliche, unreduzierbare Identität und die Komplexität des Selbst erziehen, das Sichtbare und Unsichtbare wahrnehmen (Pädagogik des Unsichtbaren).
  8. Erwarten lehren: Der Mensch ist nicht nur Vergangenheit, sondern auch Zukunft. Durch Einbeziehung der Geschichte, die bewertet und erinnert wird, wird der Mensch frei und offen für die Zukunft (Pädagogik der Hoffnung).
  9. Verzicht/Selbstbeherrschung lehren: Herrschaft über die Triebe erlangen, den Wert persönlicher Anstrengung erkennen (Pädagogik der Anstrengung).
  10. Das Leben bejahen lehren: Die Elemente der menschlichen Natur akzeptieren, lernen zu leben und den Tod als Grenze zu integrieren (Pädagogik der Akzeptanz von Grenzen/Tod).

Identität und Legitimation des ERE

Der Religionsunterricht (ERE) beansprucht wissenschaftliche Präzision und Strenge in Inhalt, Zielen, Lehrplänen, Methodik und Bewertung. Er soll ein förderliches Umfeld für exaktes Wissen schaffen und Kenntnisse in allen Bereichen vermitteln.

Legislative und kirchliche Grundlagen

  • Legislative Basis: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, spanische Verfassung von 1978, Abkommen zwischen dem spanischen Staat und dem Heiligen Stuhl, Organgesetz zur Bildung (LOE), Organgesetz zur Religionsfreiheit, Resolutionen des Europarates, UNESCO-Bericht (Delors-Bericht).
  • Kirchliche Basis: Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Bischofskonferenz.

Kriterien zur Auswahl der Inhalte des ERE

Die Auswahl der Inhalte wird durch allgemeine Kriterien geleitet, die sich am Bildungszweck des ERE orientieren. Es besteht ein hermeneutischer Zirkel zwischen Zielen und Inhalten. Drei Argumentationslinien rechtfertigen den ERE aus pädagogischer Sicht und leiten Kriterien ab:

  • Kulturelle Linie: Der ERE soll Schülern helfen, sich mit der religiösen Tradition ihrer Kultur vertraut zu machen.
  • Anthropologische Linie: Der ERE soll Schülern helfen, die grundlegende Frage nach dem Sinn ihres Lebens zu stellen.
  • Soziologische Linie: Der ERE soll Schüler anleiten, eine kritische Haltung gegenüber der zeitgenössischen Kultur zu erwerben.

Abgeleitete Kriterien:

  • Fokus auf christliche Offenbarung: Vertrautmachen mit der historischen Tatsache der christlichen Offenbarung, Zentrierung auf die Grundlagen und zentralen Wahrheiten des Glaubens.
  • Anthropologische Relevanz: Inhalte sind gültig, wenn sie die Anthropologie der Offenbarung widerspiegeln (Erlösung des Menschen, Sinnfindung im Glauben).
  • Dialogfähigkeit: Inhalte sind gültig, wenn sie den katholischen Glauben im Dialog mit der Welt darstellen (Umkehr, Wandel, Blick auf das Jenseits, Transformation durch Glaube, Hoffnung, Liebe; Dialog mit anthropologischem und wissenschaftlichem Denken).
  • Altersangemessenheit: Berücksichtigung der intellektuellen Fähigkeiten und Förderung affektiven und emotionalen Lernens zur Erreichung kognitiver Ziele.
  • Lebensweltbezug: Priorisierung von Aspekten, die den Erwartungen der Schüler entsprechen, Klärung relevanter Fragen und Erfahrungen. Inhalte müssen theologisch und anthropologisch relevant sein.
  • Theologische Konsistenz: Hierarchie der Wahrheiten, Konzentration auf Grundideen und thematische Schwerpunkte, Strukturierung nach theologischen Fragestellungen.
  • Didaktische Kohärenz: Übereinstimmung mit anderen Lehrplanelementen (Ziele, Methoden, Bewertungskriterien), Anpassung an die Lernmöglichkeiten der Schüler.
  • Weitere Kongruenzen: Institutionelle Kongruenz (nationale Entwicklung), psychologische Kongruenz (Erfahrungen der Schüler), pädagogische Praxis (zeitgemäß), Kriterien der kleinen Schritte und Zirkularität.

Didaktische Methoden des ERE

Während Inhalte das "Was" beantworten, beantworten Methoden das "Wie", "Wann" und "Warum". Methoden sollen Lernsituationen und -prozesse in eine bestimmte Richtung lenken, strukturieren und erleichtern.

  • Strukturierung: Ermöglicht die Begegnung zwischen der logischen Struktur der Disziplin und der psychologischen Struktur des Schülers.
  • Erleichterung: Schafft Bedingungen für signifikantes Lernen und Entdeckungslernen.

Signifikantes Lernen (nach Ausubel): Lernen wird als Prozess konzipiert, bei dem neue Inhalte unter Anleitung des Lehrers in die eigene kognitive Matrix des Schülers aufgenommen werden. Diese Integration ermöglicht bedeutsames Lernen und Entdeckungen.

Mechanisches Lernen (Gegensatz): Inhalte werden isoliert ("in Quarantäne gestellt") übernommen, ohne Verbindung zur kognitiven Matrix. Die kognitive Matrix wächst nicht von innen, sondern durch die Aneinanderreihung externer Elemente (vom Lehrer vermittelt).

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