Die Rolle der Staatsanwaltschaft im spanischen Rechtssystem
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Die Staatsanwaltschaft in Spanien
Rechtliche Grundlagen
Die Staatsanwaltschaft (Ministerio Fiscal) wird durch das Organgesetz der Staatsanwaltschaft (Gesetz 50/1981 vom 30. Dezember, EOMF) und ergänzend durch eine ältere Verordnung vom 27. Februar 1969 geregelt. Diese Regelungen sind teilweise Ursache für Unklarheiten.
Verfassungsmäßiger Auftrag und Autonomie
Ihre verfassungsmäßige Aufgabe ist es, das Wirken der Justiz zur Verteidigung der Legalität, der Rechte der Bürger und des gesetzlich geschützten öffentlichen Interesses zu fördern. Sie soll die Unabhängigkeit der Gerichte gewährleisten und die Wahrung des gesellschaftlichen Interesses sicherstellen.
Die Staatsanwaltschaft ist autonom in die Justiz integriert, aber kein Teil der rechtsprechenden Gewalt, sondern arbeitet mit dieser zusammen. Dies ist ein Unterschied zum italienischen Modell (Integration in die Justiz) und zum französischen Modell (Instrument der Exekutive).
Allgemeine Aufgaben
Die generischen Aufgaben werden im Organgesetz (EOMF Art. 3) näher ausgeführt, sind aber offen formuliert („...und jede andere Aufgabe, die ihr gesetzlich zugewiesen wird...“).
Im Strafverfahren ist die Staatsanwaltschaft formell eine Partei, jedoch die einzige, die verpflichtet ist, das Allgemeininteresse zu verteidigen, während andere Parteien eigene Interessen verfolgen.
Zu ihren Befugnissen gehören unter anderem:
- Sie kann jede Haftanstalt, Zelle oder Aufbewahrungsort betreten und Akten über dort befindliche Personen prüfen.
- Sie kann die Unterstützung aller Behörden und der Sicherheitskräfte (Fuerzas y Cuerpos de Seguridad) anfordern.
- Sie kann den Organen der Kriminalpolizei entsprechende Anweisungen erteilen.
- Sie informiert die Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit unter Wahrung des Berufsgeheimnisses.
- Sie kann Anzeigen entgegennehmen und Ermittlungsverfahren einleiten, durchführen oder einstellen.
- Im Ermittlungsverfahren kann sie Sicherungsmaßnahmen wie Untersuchungshaft beantragen.
Rolle im Strafverfahren
Grundsätze der Tätigkeit
Die Hauptfunktionen der Staatsanwaltschaft sind in Artikel 105 der spanischen Strafprozessordnung (StPO, Lecri), Artikel 435 des Organgesetzes über die rechtsprechende Gewalt (LOPJ) und im Organgesetz der Staatsanwaltschaft (Gesetz 50/1981) geregelt. Dazu zählen vor allem die Verfolgung von Amtsdelikten und bestimmten Antragsdelikten (niemals Privatklagedelikten) sowie zivilrechtliche Funktionen im Rahmen des Strafverfahrens.
Die Staatsanwaltschaft ist eine staatliche Institution, die im Prozess zur Objektivität verpflichtet ist. Sie muss daher sowohl belastende als auch entlastende Umstände für den Beschuldigten berücksichtigen. Sie kann auch die Einstellung des Verfahrens beantragen und nimmt damit gewissermaßen eine Position als „Anwalt des Beschuldigten“ ein.
Ordentliches Strafverfahren
Ihre Beteiligung variiert je nach Verfahrensphase:
Ermittlungsphase
In Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei wirkt sie bei der Beweiserhebung und der Identifizierung des Täters mit (vgl. Art. 283, 284, 287, 290 StPO). Sie kann auch von Amts wegen tätig werden.
Zwischenverfahren
Sie überwacht das Verfahren (Art. 306 StPO), kann Beweisanträge stellen und Eingaben an den Richter richten. Gegen ablehnende Entscheidungen des Richters kann sie Beschwerde einlegen (vgl. Art. 311, 302, 319, 332, 368, 483, 538 StPO). Sie wirkt auch bei Schwurgerichtsverfahren mit. Jedem Gericht ist eine Staatsanwaltschaft zugeordnet.
Abgekürztes Strafverfahren
Im abgekürzten Verfahren, dem heute häufigsten Verfahrenstyp, sind ihre Funktionen erweitert, da der Gesetzgeber dieses Verfahren oft für prozessuale Reformen nutzt:
Ermittlungsphase
Die Staatsanwaltschaft kann anstelle des Ermittlungsrichters die Untersuchung leiten. Sie kann die Polizei direkt mit Ermittlungen beauftragen und aufgrund von Polizeiberichten Vorermittlungen einleiten. Ihr ist die Förderung und Vereinfachung des Verfahrens aufgetragen (vgl. Art. 781 StPO).
Zwischenverfahren
Sie muss vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens oder die Einstellung des Verfahrens angehört werden (Art. 622, 627 StPO).
Hauptverhandlung
Ihre Rolle ist hier besonders sichtbar und ihre Teilnahme obligatorisch. Sie trägt ihren Anklagesatz vor, benennt die Beweismittel (Art. 649, 653, 656 Abs. 1 StPO), wirkt an allen Prozesshandlungen mit und hält am Ende ihr Schlussplädoyer.
Urteil
Die Staatsanwaltschaft kann das Urteil akzeptieren oder mit den vorgesehenen Rechtsmitteln anfechten.
Rechtsmittelverfahren
Sie ist an allen Rechtsmittelverfahren und deren Phasen beteiligt.
Grundsätze der Prozessbeteiligung
Für die Beteiligung am Prozess gelten allgemeine Grundsätze:
- Parteifähigkeit: Die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten in einem Prozess zu sein (volle Ausübung der bürgerlichen Rechte).
- Prozessführungsbefugnis: Die Befugnis, ein Recht im eigenen Namen geltend zu machen, basierend auf einer spezifischen Beziehung zum Prozessgegenstand.
- Anwaltszwang: In Spanien ist in der Regel die Vertretung durch einen Rechtsanwalt (Abogado) und einen Prozessbevollmächtigten (Procurador) erforderlich, auch wenn internationale Übereinkommen Abweichungen vorsehen können.