Rousseaus dritter Glaubensartikel: Der Mensch und der anthropologische Dualismus
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Der Mensch im anthropologischen Dualismus
Rousseaus dritter Glaubensartikel (Seiten 53-66)
Die Stellung des Menschen in der Natur
Nachdem Rousseau seine beiden metaphysischen Beweise für die Existenz Gottes dargelegt hat, untersucht er die rechtmäßige Stellung des Menschen in der von Gott regierten Ordnung der Dinge. Er reflektiert über die Stellung des Menschen in der Natur und sieht ihn als Zentrum der Schöpfung.
Argumente:
- Der Mensch dominiert die Tiere.
- Er beherrscht die Natur durch Technik und Industrie.
- Er besitzt Wissen über das Universum und ist intelligent.
- Er verfügt über moralische Fähigkeiten, Vernunft und einen angeborenen Sinn für Gerechtigkeit.
- Er kann zu Gott beten und ihn anbeten.
Der Mensch liebt und segnet Gott, der ihm diese Privilegien gab. Diese Verehrung der Natur ist laut Rousseau ein Ergebnis der Eigenliebe. Es ist ein Gefühl der Dankbarkeit, das angeboren und unabhängig vom Wissensstand ist. Es hat nichts mit konventionellen Sekten und ihren starren Regeln zu tun. Rousseau betont die Bedeutung des Gefühls gegenüber der Vernunft und lehnt den Intellektualismus als Stütze der Moral ab. Der Intellektualismus schließt jene Menschen aus, die keinen Zugang zu Wissen haben. Die Verehrung, die aus dem Herzen kommt, ist eine natürliche Folge der Eigenliebe, denn jede Form der Harmonie mit sich selbst führt zu Gott als Ursache aller möglichen Harmonie.
Anthropologische Vorstellungen des Dualismus
Rousseau stellt die Frage, warum die Menschheit im Chaos lebt, obwohl die Natur Harmonie und Ordnung zeigt. "Ich sehe das Böse auf der Erde" (57). Die Ursache für diesen Widerspruch liegt im Dualismus der menschlichen Natur. Der Mensch kann die Schönheit des universellen Systems ablehnen, weil er die Freiheit (Seele) besitzt, die es ihm ermöglicht, mit der Notwendigkeit in der Natur zu brechen. Der Mensch ist kein einheitliches Wesen, sondern kann frei wählen, ob er sich von seinen geistigen und moralischen Fähigkeiten leiten lässt oder von egoistischen Leidenschaften beherrscht wird. Die menschliche Natur besteht aus aktiven und passiven Elementen. Das aktive Element ist die Fähigkeit zu urteilen und Entscheidungen zu treffen, das passive Element manifestiert sich in der Sklaverei gegenüber dem Körper und seinen Begierden. Wir sind frei, wenn wir aktiv sind, und Sklaven, wenn wir passiv sind. Menschen sind frei und autonom, weil ihre Handlungen ihrem Willen folgen und nicht einer vorgegebenen Ordnung. Tiere hingegen sind heteronom, da ihr Verhalten instinktiv programmiert ist. Da die Freiheit nicht in physikalischen Begriffen erklärt werden kann, setzt ihre Existenz ein immaterielles Prinzip in der menschlichen Natur voraus (siehe weitere Argumente).
Rousseau vertritt eine dualistische Auffassung des Menschen. Er sieht den Menschen einerseits als "Mensch-Maschine", die dem Tier gleicht, und andererseits als beseeltes Wesen mit freiem Willen. Im Gegensatz zur traditionellen intellektualistischen Perspektive, die von Aristoteles bis Descartes die Vernunft als die einzigartige menschliche Fähigkeit ansieht, postuliert Rousseau den freien Willen als das charakteristische Element des Geistes. "Wir fühlen, bevor wir wissen ... und die Handlungen des Gewissens sind keine Urteile, sondern Gefühle" (Bekenntnis des Glaubens). Rousseau verlagert den Schwerpunkt des moralischen Lebens von der Vernunft zum Gefühl und sieht das grundlegende Problem der Philosophie nicht im Wissen, sondern in der Bewertung. Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen dem anthropologischen Dualismus von Descartes und Rousseau. Rousseau ist ein praktischer Philosoph, während Descartes ein theoretischer Philosoph ist.
Argumente gegen Materialismus und für Dualismus
- Erstes Argument (59-60): Wenn der Mensch nur aus Materie bestünde, gäbe es einen einheitlichen Trend. Es gibt aber einerseits Vorurteile und andererseits die Liebe zu sich selbst und das Gefühl für Gerechtigkeit, die angeboren sind. Es ist ein Widerspruch, dass wir diese moralische Kapazität haben und rein materiell sind.
- Zweites Argument (61, 62): Wenn Denken eine wesentliche Qualität der Materie wäre, dann müsste jedes materielle Wesen denken. Da dies nicht der Fall ist, kann ein rein materielles Wesen nicht denken.
- Drittes Argument (63, 64): Wenn wir frei sind, besitzen wir eine Seele. Materie gehorcht blind den Naturgesetzen. Wenn wir frei handeln können, haben wir etwas anderes als Materie, nämlich eine Seele.
- Viertes Argument (65-66): Hinter jeder Aktion steht ein freier Wille. Dinge nicht durch den Willen zu tun, ist wie zu denken, dass es Wirkungen ohne Ursachen gibt. Da ich frei bin, muss meine Natur eine immaterielle Substanz enthalten.
Die Reflexion über die Unordnung auf der Erde führt zur Idee eines Menschen, der aus Leib und Seele besteht (Dualismus). Jede Handlung, die als Akt des Bewusstseins verstanden wird, setzt die Existenz der Freiheit voraus. Der Mensch ist mit einem immateriellen Prinzip ausgestattet, das ihm erlaubt, praktische, moralische Überlegungen anzustellen, die nur mit Hilfe der Gefühle möglich sind. Die Handlungen des Gewissens sind keine Urteile, sondern Gefühle.
Unsterblichkeit der Seele
Rousseau sieht die Unsterblichkeit der Seele (74-75) als eines der überzeugendsten Argumente für den Dualismus. Als immaterielles Prinzip ist die Seele von der physischen Welt unabhängig und unzerstörbar. Sie sollte in der Lage sein, die Verwesung des Körpers zu überleben.