Schlüsseltheorien der Internationalen Beziehungen: Ungleichheit, Hegemonie & Sicherheit
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Samir Amin: Strukturalismus & Ungleichheit
Samir Amin, auch Vertreter der strukturalistischen und marxistischen Schule, analysiert die Ursachen von Ungleichheit in der Weltwirtschaft. Er erklärt diese Ungleichheit hauptsächlich durch zwei Faktoren:
Produktivitätsgefälle & Technologiezugang
Produktivität ist die Fähigkeit eines Individuums zur Produktion. Mit Zugang zu Technologie kann man mehr und schneller produzieren. Entwicklungsländer haben diesen Zugang oft nicht und können daher nicht in gleichem Maße produzieren, was zu einem enormen Produktivitätsgefälle führt.
Destabilisierung durch kapitalistische Mechanismen
Die Einführung kapitalistischer Mechanismen in bestimmten Ländern destabilisiert bestehende traditionelle Systeme. Diese werden zerstört, ohne dass stabile kapitalistische Strukturen entstehen (z.B. Rückgang der Subsistenzwirtschaft ohne Aufbau eines stabilen kapitalistischen Systems). Ein Beispiel hierfür ist die Einführung des Stuhls in Lateinamerika: Der Poncho funktioniert nicht mehr, Hosen sollten eingeführt werden, aber das geschieht nicht. Dies führt zu einem Bruch bestehender Mechanismen ohne adäquate Lösung.
Die Volkswirtschaften der Entwicklungsländer sind oft eine Erweiterung der Volkswirtschaften der Industrieländer. Sie produzieren hauptsächlich Rohstoffe und Agrarprodukte für den Export, ohne die nationalen Bedürfnisse zu berücksichtigen. Eine mögliche Lösung wäre die Einführung protektionistischer Maßnahmen, um die Eigenversorgung zu fördern und die Abhängigkeit von anderen Ländern zu reduzieren. Gleichzeitig fordern Länder des Südens freien Handel mit Europa, um mit ihren Produkten zu konkurrieren und Devisen ins Land zu bringen.
Raoul Prebisch: Zentrum & Peripherie
Raoul Prebisch, ein Autor der CEPAL (Wirtschaftskommission für Lateinamerika), erläuterte die strukturalistische Theorie aus lateinamerikanischer Sicht. Er definierte sie als Ausbeutung der Peripherie (arme Länder) durch das Zentrum (reiche Länder).
Robert Gilpin: Schule des Niedergangs & Hegemonie
Die Schule des Niedergangs, vertreten durch Robert Gilpin, analysiert die Unterschiede zwischen den Akteuren und die Existenz von Hierarchien in den internationalen Beziehungen. Er betont die ungleichen Kräfte der Staaten.
Kampf um Hegemonie & Historische Zyklen
Internationale Beziehungen sind demnach ein Kampf der Akteure um Hegemonie. In der Geschichte gab es stets eine Hegemonialmacht, auch wenn diese zu bestimmten Zeiten fehlte. Dieser Kampf schafft ein Muster der Stabilität, das sich in historischen Zyklen manifestiert. Die Geschichte wird durch diese Zyklen erklärt, die wiederum durch Hegemonien geprägt sind. Die Untersuchung von Hegemonien – wie sie entstehen und vergehen – zielt darauf ab, die Gesetze dieser Zyklen zu verstehen, um beispielsweise die US-Vorherrschaft zu verewigen.
Vorteile & Kosten der Hegemonie
Warum strebt ein Staat Hegemonie an? Um Macht zu erlangen (die Selbstsucht, die der Realismus definiert). Hegemonie bietet viele Vorteile für die Machtausübung. Es kann jedoch vorkommen, dass die Kosten der Hegemonie die Vorteile überwiegen. Dann gibt die Hegemonialmacht ihre Position zugunsten einer anderen auf. Dies führt zu einem Wechsel im Hegemonialzyklus, wobei die Macht gezwungen oder freiwillig abtritt.
Dies ist möglich, da Mittelmächte die Position der abtretenden Macht einnehmen können. Als die Sowjetunion zerfiel, nahm niemand ihren Platz ein. Die europäischen Länder fürchteten, dass Hegemonie so kostspielig sein könnte, wie es für die UdSSR der Fall war. Die USA standen allein da. Die europäischen Länder sind nicht bereit, die Last der militärischen Hegemonie zu tragen. China hingegen hat seine Verteidigungsausgaben in den letzten Jahren erheblich gesteigert.
Barry Buzan: Erweiterter Realismus & Sicherheit
Die ältere Theorie der Anarchie von Barry Buzan erweitert den realistischen Ansatz in den internationalen Beziehungen. Sie basiert auf einem Werk von Barry Buzan aus dem Jahr 1985. Sie ersetzt klassische realistische Annahmen: Macht wird nun als Sicherheit verstanden – ein umfassenderer Begriff, der alle Aspekte eines Staates (politische Kultur, Militär etc.) und seine Beziehungen umfasst.
Staatenklassifikation nach innerer Ordnung
Barry Buzan klassifiziert Staaten nach ihrer inneren Ordnung:
Starke Staaten
Die einzige Bedrohung ist extern; interne Angelegenheiten sind geordnet und miteinander verknüpft. Eine starke innere Ordnung ist die beste Verteidigung gegen externe Angriffe.
Schwache Staaten
Neben externen Bedrohungen sind sie intern gespalten und unorganisiert. Dies ermutigt externe Angriffe.
Sicherheit hängt somit von zwei Fronten ab: intern und extern. Dies führt zu einer neuen Hierarchie der Staaten und einem neuen Verständnis internationaler Beziehungen. Das Konzept der Sicherheit ist sehr wichtig und praktisch, z.B. in der Politik der Diversifizierung von Energiequellen (nicht nur von einem Land abhängig sein). Die Bedeutung der Entwicklung ist ebenfalls im Sicherheitskonzept enthalten, da Staaten gemeinsame Bedrohungen teilen.
Der Sicherheitskomplex
Diese Theorie der Anarchie wird durch die Entstehung des Sicherheitskomplexes (Security Complex) weiterentwickelt. Obwohl Mitgliedstaaten egoistisch handeln, zeigen sie eine natürliche Tendenz zur Zusammenarbeit, um Bedrohungen zu bewältigen. Sie profitieren mehr von gemeinsamer Aktion als von individuellem Kampf (Bedrohungen werden hier im umfassenden Sinne von Sicherheit verstanden, nicht nur militärisch). Zusammenarbeit schafft Ordnung. Wenn ein Sicherheitskomplex existiert (d.h. Zusammenarbeit zwischen Staaten), kann man nicht mehr von reiner Anarchie und Individualismus sprechen.