Das spanische Barocktheater: Lope, Calderón & die Comedia

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Die Comedia Nacional (17. Jh.)

Im 17. Jahrhundert konsolidierte sich die Comedia Nacional (Nationalkomödie). Sie wurde maßgeblich von Lope de Vega geschaffen und von Calderón de la Barca weiterentwickelt. Die Stücke wurden in den Corrales de Comedias (Theaterhöfen) vor einem breit gefächerten Publikum aufgeführt.

Hauptmerkmale

Mischung aus Tragik und Komik

Die Comedia Nacional vermischt tragische und komische Elemente.

Dramatische Einheiten

Im Gegensatz zur klassischen Dramentheorie wurde in Spanien die Einheit von Zeit und Ort oft missachtet. Die Einheit der Handlung wurde jedoch meist respektiert (oft mit zwei oder drei Handlungssträngen, die zum selben Ergebnis führen).

Aufbau in drei Akten

Das Drama gliedert sich in drei Akte oder „Tage“ (jornadas), die der Exposition, dem Konflikt (Verwicklung) und der Lösung entsprechen. Innerhalb der Akte gibt es Szenenwechsel (cuadros).

Decoro, Sprache und Polymetrie

Das Decoro (Anstand) fordert die Angemessenheit von Verhalten und Sprache zur sozialen Stellung der Figur, was die Glaubwürdigkeit des Stücks erhöht. Lope de Vega forderte eine reine und klare Sprache, die der Situation und dem Charakter angepasst ist. Charakteristisch ist die Polymetrie, d.h. die Verwendung verschiedener Versmaße und Strophenformen je nach Situation und Sprecher.

Themen und Charaktere

Lope nannte Ehre (honra) und tugendhafte Taten als Hauptthemen, aber es gab viele weitere. Die Charaktere sind oft durch Geschlecht und soziale Rolle definierte Typen:

  • Dama (Dame): Die Protagonistin, schön, adlig, tugendhaft.
  • Galán (Liebhaber/Kavalier): Männlicher Gegenpart zur Dame; schön, adlig, großzügig, loyal.
  • Poderoso (Mächtiger): Verkörpert durch den König, einen Adligen oder Prinzen.
  • Viejo (Alter): Fast immer der Vater der Dame, oft als Ehrenwächter.
  • Gracioso (Figur des Lustigen): Sorgt für komische Entlastung, oft Diener und Gegenstück des Galán.
  • Criada (Zofe): Weibliches Pendant zum Gracioso, Vertraute der Dame.

Dramatische Gattungen

Im Barocktheater gab es ernste und komische Dramenformen.

Lange Stücke

  • Tragödien: Ernste Stücke mit oft katastrophalem Ausgang, die starke emotionale Beteiligung erfordern.
  • Comedias serias (Ernste Komödien) / Tragikomödien: Oft Ehrendramen (dramas de honor).
  • Autos sacramentales: Allegorische Stücke religiösen Inhalts mit Bezug zur Eucharistie.
  • Comedias de capa y espada (Mantel-und-Degen-Stücke): Intrigen- und Liebeskomödien im städtischen Milieu des niederen Adels.
  • Comedias de figurón: Komödien, die eine exzentrische oder lächerliche Hauptfigur (figurón) in den Mittelpunkt stellen.
  • Comedias palatinas (Palastkomödien): Spielen in höfischem oder exotischem Milieu mit adligen Protagonisten.
  • Comedias burlescas (Burleske Komödien): Parodistische Stücke, oft zu Karneval oder am Johannistag aufgeführt.

Kurze Stücke (Subgenres)

  • Entremeses: Kurze, humorvolle Einakter, die zwischen den Akten der Hauptkomödie gespielt wurden.
  • Loas: Prologe, die das Publikum beruhigen und wohlwollend stimmen sollten.
  • Bailes: Tanzszenen mit Musik und Gesang.
  • Jácaras: Gesungene Balladen über das Leben von Gaunern und Schurken.
  • Mojigangas: Groteske Tänze und Umzüge mit Verkleidungen.
  • Follas: Lose Zusammenstellungen verschiedener kurzer komischer Genres.

Die Corrales de Comedias

Die öffentlichen Aufführungen des Barocktheaters fanden meist in den Corrales de Comedias statt, permanenten Theaterbühnen, die in Innenhöfen von Häuserblocks errichtet wurden.

Aufbau des Theaters

Der typische Corral hatte einen spezifischen Aufbau:

  • Bühne (Tablado): Am einen Ende des Hofes. Dahinter befand sich das Vestuario (Garderobe/Umkleide), oft ein mehrstöckiges Holzgebäude, dessen Balkone (corredores) auch als Teil der Bühne genutzt werden konnten (z.B. für Mauern, Fenster).
  • Patio: Der Innenhof vor der Bühne, wo die Männer (mosqueteros) stehend die Vorstellung verfolgten.
  • Gradas: Abgestufte Sitzbänke an den Längsseiten des Patios.
  • Alojeria: Ein Erfrischungsstand im hinteren Teil des Patios.
  • Cazuela: Eine Galerie gegenüber der Bühne im ersten Stock, ausschließlich für Frauen.
  • Aposentos: Private Logen (Zimmer) mit Fenstern oder Balkonen in den umliegenden Gebäuden, die auf den Hof blickten (oft auf mehreren Etagen). Hier saß ein gemischtes Publikum aus Adel und Klerus.
  • Tertulia / Desvanes: Die obersten Galerien oder Dachböden.
  • Toldo: Eine große Plane, die als Sonnenschutz über den Patio gespannt werden konnte.

Das Publikum

Das Publikum war sozial klar getrennt platziert: Männer im Patio (stehend) und auf den oberen Rängen (desván), Frauen in der cazuela. Wer es sich leisten konnte, saß auf den seitlichen Bänken (gradas) oder mietete Hocker (tarimones). Die Oberschicht und Kleriker nutzten die privaten Logen (aposentos). Religiöse Orden hatten oft feste Plätze.

Das höfische Theater

Parallel zum populären Theater der Corrales entwickelte sich unter Philipp III. und besonders unter Philipp IV. ein prunkvolles höfisches Theater. Die Theateraufführungen wurden zu einem zentralen Element der Hoffeste (fiestas cortesanas). Italienische Bühnenbildner wie Cosme Lotti und später Baccio del Bianco wurden nach Spanien geholt und führten spektakuläre Bühnentechnik und Kulissen ein (z.B. erstaunliche Transformationen). Im Palacio de la Zarzuela wurde ein Stück Calderóns aufgeführt, das gesprochenen Dialog mit Arien und Rezitativen kombinierte – die Geburtsstunde der Zarzuela. Die Blütezeit dauerte bis zum Tod Philipps IV. (1665). Danach gab es einen Niedergang; man versuchte, mangelnde Originalität durch Luxus zu kompensieren, doch das höfische Theater verlor an Bedeutung.

Das Auto Sacramental

Das Auto Sacramental ist eine spezifisch spanische Gattung des religiösen Theaters. Zentrales Thema ist die Eucharistie, oft eingebettet in die Heilsgeschichte oder allegorische Darstellungen theologischer Konzepte.

Merkmale

  • Einakter in Versen.
  • Verbindung von theologischer Lehre und Festcharakter (Aufführung zu Fronleichnam).
  • Allegorische Figuren und Handlung.
  • Reichhaltige und spektakuläre Inszenierung (im 17. Jh.).

Aufführung

Ursprünglich in Kirchen aufgeführt, fanden die Aufführungen ab dem 17. Jahrhundert auf prunkvollen, mobilen Bühnenwagen (carros) statt, die durch die Stadt zogen. Musik (Gesang, Hymnen) war ein wesentlicher Bestandteil.

Lope de Vega (1562-1635)

Lope de Vega, genannt Fénix de los Ingenios (Phönix der Geister), gilt als Schöpfer der neuen spanischen Nationalkomödie. Er war ein äußerst produktiver Schriftsteller mit einem bewegten Leben.

Merkmale seiner Werke

Lopes dramatisches Schaffen war für die Aufführung in den Corrales bestimmt und daher volksnah. Es zeichnet sich durch die Mischung von Ernstem und Heiterem, Religiösem und Profanem aus. Er versuchte, alle Publikumsschichten anzusprechen: das einfache Volk durch Handlung und Action, das gebildete Publikum durch kunstvolle Verse.

Wichtige Werke nach Gattung

  • Comedias de capa y espada: La Dama Boba (Die törichte Dame)
  • Comedias palatinas: El perro del hortelano (Der Hund des Gärtners)
  • Biblische Komödien: La hermosa Ester (Die schöne Esther)
  • Heiligenkomödien (Comedias de santos): Lo fingido verdadero (Das Falsche als Wahres)
  • Mythologische Komödien: Adonis y Venus
  • Ernste Komödien / Dramen: Fuente Ovejuna
  • Tragödien: El caballero de Olmedo (Der Ritter von Olmedo)
  • Höfisches Theater: El amor enamorado (Die verliebte Liebe)

Fuente Ovejuna

In diesem Drama schafft Lope einen kollektiven Protagonisten: das Dorf Fuente Ovejuna. Es gibt eine doppelte Handlungsebene (Dorf vs. Komtur). Das Stück thematisiert die Konfrontation zwischen dem tyrannischen Komtur Fernán Gómez, der seine Macht missbraucht, und dem Dorf. Eine Frau, Laurencia, initiiert den Aufstand.

El caballero de Olmedo

Die Handlung basiert auf einem Volkslied und einer wahren Begebenheit. Das Stück weist Parallelen zur Handlung von La Celestina auf und nutzt die Technik der Vorahnung (presagio). Es wird aufgrund der zentralen Themen Liebe, Tod und Schicksal als Tragödie betrachtet.

Peribáñez y el Comendador de Ocaña

Ein Ehrendrama, in dem Lope den Bauern Peribáñez und den Komtur Don Fadrique gegenüberstellt. Handlung: Der Komtur begehrt Casilda, die Frau von Peribáñez, und schickt diesen in den Krieg, um sich ihr nähern zu können. Als Peribáñez zurückkehrt und die Wahrheit erfährt, tötet er den Komtur. Der König erkennt die gerechte Rache an und begnadigt ihn. Das Stück konzentriert sich auf diese eine Handlungslinie.

La Dama Boba

Ein Beispiel für die comedia de capa y espada mit urbanem Schauplatz und vielen komischen Elementen. Handlung: Zwei Schwestern, Nise (intelligent und gelehrt) und Finea (naiv und ungebildet). Laurencio umwirbt Nise, braucht aber Fineas reiche Mitgift. Liseo ist Finea versprochen, bevorzugt aber Nise. Durch die Macht der Liebe entwickelt Finea Witz und Klugheit und gewinnt Laurencio für sich.

Tirso de Molina (ca. 1579-1648)

Tirso de Molina (Ordensname Fray Gabriel Téllez) war ein Nachfolger Lope de Vegas.

Merkmale seiner Werke

Er übernahm Lopes Modell der Comedia Nueva, fügte aber intellektuelle Tiefe und psychologische Charakterzeichnung hinzu. Ein wiederkehrendes Thema ist die Stellung der Frau in der Gesellschaft. Tirso gilt als Meister der Intrigenkomödie (comedia de enredo) und Schöpfer unvergesslicher Charaktere.

Wichtige Werke nach Gattung

  • Comedias de enredo: Marta la piadosa (Die fromme Martha)
  • Comedias palatinas: El vergonzoso en palacio (Der Schüchterne im Palast)
  • Biblische Dramen: La mujer que manda en casa (Die Frau, die zu Hause befiehlt)
  • Heiligenkomödien: Santa Juana
  • Tragikomödie / Theologisches Drama: El burlador de Sevilla y convidado de piedra (Der Verführer von Sevilla und der steinerne Gast)
  • Mythologische Komödien: El Aquiles
  • Autos sacramentales: El laberinto de Creta (Das Labyrinth von Kreta)

El burlador de Sevilla

Dieses Stück markiert den ersten literarischen Auftritt der Figur des Don Juan. Das Drama gliedert sich in zwei Teile: die Verführungen und Täuschungen des Don Juan Tenorio (er betrügt vier Frauen) und die Konsequenzen, die zur doppelten Einladung (Don Juan lädt die Statue des von ihm getöteten Komturs ein, die Statue lädt ihn ein) und seiner Höllenfahrt führen. Don Juan ist der Exponent eines skrupellosen Adelsstandes; in seiner Verführungskunst ist ihm jedes Mittel recht. Das Werk kritisiert den moralischen Zustand Spaniens über alle Gesellschaftsschichten hinweg.

Calderón de la Barca (1600-1681)

Pedro Calderón de la Barca ist der letzte große Dramatiker des spanischen Barock und vollendete die von Lope de Vega geschaffene Formel der Comedia.

Merkmale seiner Werke

Calderóns Dramen zeichnen sich durch einen hohen intellektuellen Anspruch und große formale Komplexität aus. Seine Sprache ist kunstvoll und oft konzeptistisch. Er konzentrierte sich stärker auf ernste Themen (obras serias). Seine Sicht der menschlichen Natur ist eher pessimistisch. Die Figur des Gracioso wird bei ihm oft komplexer und reflektierter. Lyrische Elemente, insbesondere Musik, sind eng mit der Handlung verwoben. Man unterscheidet oft zwei Phasen in seinem Schaffen (vor und nach seiner Priesterweihe 1651).

Wichtige Werke nach Gattung

  • Tragödien / Ehrendramen: El médico de su honra (Der Arzt seiner Ehre)
  • Ernste Komödien / Philosophische Dramen: La vida es sueño (Das Leben ist ein Traum), El alcalde de Zalamea (Der Bürgermeister von Zalamea)
  • Mythologische / Höfische Komödien: Eco y Narciso
  • Comedias de capa y espada: La dama duende (Die Dame Kobold / Die Geisterdame)
  • Autos sacramentales: El gran teatro del mundo (Das große Welttheater), La cena del rey Baltasar (Das Gastmahl König Belsazars)

La vida es sueño

Prinz Segismundo wird aufgrund eines Orakels, das ihm eine tyrannische Herrschaft voraussagt, von seinem Vater, König Basilio von Polen, in einem Turm gefangen gehalten. Basilio stellt ihn auf die Probe, indem er ihn an den Hof holt. Segismundo reagiert jedoch gewalttätig und wird zurück in den Turm gebracht. Nach dem Erwachen zweifelt er, ob die Ereignisse am Hof Traum oder Wirklichkeit waren („¿Qué es la vida? Un frenesí [...] que toda la vida es sueño, y los sueños, sueños son.“). Am Ende führt er einen Aufstand an, besiegt seinen Vater, verzeiht ihm aber und erweist sich als weiser und gerechter Herrscher, der seine Leidenschaften kontrolliert. Nebenhandlung: Rosaura kommt an den polnischen Hof, um ihre Ehre von Astolfo wiederherstellen zu lassen, der sie verführt und verlassen hat. Am Ende sorgt Segismundo dafür, dass Astolfo Rosaura heiratet, obwohl er selbst Gefühle für sie hegte, und stellt so die Ehre und Ordnung wieder her. Er selbst heiratet Estrella aus Staatsräson. Hauptthemen: Schicksal vs. freier Wille, Leben als Traum, Selbstbeherrschung, Machtmissbrauch, Gerechtigkeit, Ehre.

El alcalde de Zalamea

Das Stück behandelt Fragen der Ehre, Gerechtigkeit und der Willkür des Adels. Handlung: Hauptmann Don Álvaro de Ataide wird im Haus des reichen Bauern Pedro Crespo einquartiert. Er entführt und schändet dessen Tochter Isabel. Pedro Crespo, der zum Bürgermeister (alcalde) von Zalamea gewählt wird, nimmt den Hauptmann gefangen und bittet ihn, Isabel zu heiraten, um ihre Ehre wiederherzustellen. Als Don Álvaro hochmütig ablehnt, lässt Crespo ihn hinrichten (erdrosseln). König Philipp II. trifft ein, bestätigt Crespos Urteil als gerecht und ernennt ihn zum ständigen Bürgermeister. Isabel geht ins Kloster.

El médico de su honra

Ein exemplarisches Ehrendrama. Handlung: Der Infant Don Enrique stürzt vom Pferd und wird von Doña Mencía versorgt. Sie war einst seine Geliebte, ist nun aber mit Don Gutierre verheiratet. Don Gutierre hegt den Verdacht, Mencía könnte ihm untreu sein (angefacht durch Enriques Anwesenheit und frühere Beziehung). Getrieben von seinem Ehrbegriff zwingt er einen Chirurgen (sangrador), Mencía heimlich zur Ader zu lassen und sie so zu töten, um den Schein einer Krankheit zu wahren. Der König zwingt Don Gutierre daraufhin, Leonor zu heiraten, eine Frau, der Gutierre einst die Ehe versprochen, sie aber verlassen hatte.

La dama duende

Ein Meisterwerk der comedia de capa y espada. Handlung: Don Manuel kommt nach Madrid und wohnt im Haus seines Freundes Don Luis. Er erhält geheimnisvolle Geschenke und Botschaften von einer unbekannten „Geisterdame“. Es handelt sich um Doña Ángela, die verwitwete Schwester von Don Luis und Don Juan, die von ihren Brüdern streng im Haus eingeschlossen wird. Sie nutzt einen verborgenen Durchgang, um unbemerkt in Don Manuels Zimmer zu gelangen und ihm Streiche zu spielen, wobei sie sich in ihn verliebt. Als Don Luis schließlich Don Manuel in Ángelas Gemächern entdeckt, kommt es zum Konflikt, der nur durch die Heirat von Don Manuel und Doña Ángela gelöst werden kann, wodurch die Ehre aller Beteiligten wiederhergestellt wird.

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