Der spanische & lateinamerikanische Roman nach dem Krieg

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Der spanische Roman der Nachkriegszeit

Einführung: Isolation und kulturelle Verarmung

Nach dem Bürgerkrieg folgte für Spanien eine Zeit der Isolation, Zensur, des Exils und des Todes, die eine kulturelle Verarmung zur Folge hatte. Das Land verschloss sich den thematischen Erneuerungen, die im restlichen Europa stattfanden. Dennoch veröffentlichten etablierte Schriftsteller der Generation von '98, wie Pío Baroja, weiterhin Romane. Exilschriftsteller publizierten zwar individuell und verstreut, teilten aber gemeinsame geistige und ethische Anliegen: die Erinnerung an den unmenschlichen Krieg, die Nostalgie für die verlorene Heimat und die Auseinandersetzung mit ihrem neuen Lebensumfeld.

Wichtige Romanautoren im Exil:

  • Francisco Ayala: „Tod eines Hundes“
  • Max Aub: „Das magische Labyrinth“
  • Arturo Barea: „Die Schmiede“
  • Rosa Chacel: „Erinnerungen an Leticia Valle“

Die 40er Jahre: Zwei literarische Strömungen

In den 40er Jahren lassen sich zwei Hauptströmungen unterscheiden:

  • Der offizielle Roman: Von der Franco-Regierung zugelassen, unterteilt in:
    • Der preisgekrönte Roman: Dieser verherrlichte heroische und militärische Tugenden im Sinne der Diktatur. Ein Vertreter ist Agustín de Foxá mit „Madrid, von Corte nach Checa“.
    • Der Neorealismus: Nach dem Vorbild von Baroja oder Galdós orientierte er sich an der Realität. Vertreter sind Zunzunegui mit „Unsere Kinder“ und Ignacio Agustí mit „Es war Esche“.
  • Der inoffizielle Roman (Existentieller Roman): Diese Strömung wollte Zeugnis eines von Unsicherheit und mangelnder Kommunikation geprägten Lebens ablegen. Die Charaktere sind oft frustriert und handlungsunfähig. Den Anfang machte „Die Familie des Pascual Duarte“ von Camilo José Cela, dem bedeutendsten Schriftsteller der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In diesem Roman werden Merkmale wie Figuren mit körperlichen oder geistigen Gebrechen, ständige und grundlose Gewalt sowie eine derbe Sprache betont. Diese Stilrichtung wird als Tremendismo bezeichnet. Weitere wichtige Werke sind „Nada“ von Carmen Laforet und „Der Schatten der Zypresse ist lang“ von Miguel Delibes.

Die 50er Jahre: Der soziale Roman

In den 50er Jahren entwickelte sich der soziale Roman (Roman des sozialistischen Realismus). Der Inhalt rückte in den Vordergrund, wobei die Gesellschaft – ob ländlich, städtisch, bürgerlich oder proletarisch – zum zentralen Thema wurde.

Formale Merkmale:

  • Struktur: Es dominiert eine lineare Struktur mit reduziertem Raum und Zeit.
  • Figur: Der Charakter ist kollektiv und repräsentiert eine bestimmte soziale Klasse. Die Darstellung erfolgt von außen, ohne tief in die Psychologie einzudringen.
  • Stil: Die Sprache ist klar, einfach und an die jeweilige soziale Gruppe angepasst. Der Dialog ist entscheidend für die Handlungsentwicklung.
  • Erzähltechnik: Die Erzählung erfolgt meist in der 3. Person. Der Erzähler tritt manchmal zurück und überlässt es der Realität, den Roman zu gestalten. Diese Technik wird als Objektivismus bezeichnet.

Der Roman wurde zu einem Mittel der Anklage, in dem die Autoren ihre soziale und meist linke Ideologie zum Ausdruck brachten (kritischer Realismus).

Autoren und Werke:

  • Camilo José Cela: „Der Bienenkorb“ wurde zum inspirierenden Vorbild für den sozialen Roman.
  • Miguel Delibes: „Der Weg“, „Die Ratten“
  • Generation der Jahrhundertmitte:
    • Ignacio Aldecoa: „El fulgor y la sangre“
    • Jesús Fernández Santos: „Die Tapferen“
    • Juan García Hortelano: „Neue Freundschaften“
    • Carmen Martín Gaite
    • Ana María Matute
    • Rafael Sánchez Ferlosio: „Der Jarama“ (dem objektivistischen Realismus zugeordnet)

1960–1970: Die formale Erneuerung

Die Veröffentlichung von „Zeit der Stille“ von Luis Martín-Santos im Jahr 1962 markierte den Beginn einer Erneuerung des Erzählgenres, die sich durch Experimente nicht nur im Inhalt, sondern vor allem in der Form auszeichnete.

Faktoren für die Erneuerung:

  • Der Einfluss europäischer und amerikanischer Romanautoren (z. B. Kafka) sowie der hispanoamerikanischen Autoren des „Booms“ (z. B. Mario Vargas Llosa, Carlos Fuentes, Gabriel García Márquez).
  • Die wachsende Bedeutung von Verlagen wie Seix Barral.
  • Die Erschöpfung des sozialen Realismus.

Merkmale:

  • Thematisch: Der Inhalt wurde zweitrangig. Die kritische Sicht auf die Gesellschaft blieb, wurde aber um existenzielle und politische Fragen erweitert. Auch die jüngere spanische Geschichte wurde thematisiert.
  • Formal: Es entstanden komplexe Romane, die Umberto Eco als „offenes Kunstwerk“ bezeichnete – Werke, die eine aktive Beteiligung des Lesers erfordern.

Formale Techniken:

  • Struktur: Kapitel wurden durch Sequenzen ersetzt, die die lineare Erzählzeit durch Rückblenden (Flashbacks) oder Vorausdeutungen (Flashforwards) aufbrachen.
  • Erzählperspektive: Es wurden mehrere Erzählperspektiven (1., 2. und 3. Person) in einem Werk verwendet.
  • Techniken: Der Kontrapunkt (Verschränkung mehrerer Handlungsstränge) und die Kaleidoskop-Technik (gleichzeitige Darstellung vieler Handlungen) kamen zum Einsatz.
  • Stil: Der Dialog trat in den Hintergrund zugunsten des inneren Monologs (freier Bewusstseinsstrom) und der erlebten Rede. Die Sprache des Erzählers und der Figuren vermischte sich.
  • Sprache: Es fand eine Erneuerung der literarischen Sprache statt, bei der verschiedene Sprachebenen (gehoben, Standard etc.) gemischt, Fremdwörter verwendet und mit Typografie und Zeichensetzung experimentiert wurde.

Romanautoren:

  • Nachkriegsgeneration: Camilo José Cela mit „San Camilo 1936“, Miguel Delibes mit „Fünf Stunden mit Mario“, Gonzalo Torrente Ballester mit „Die Saga/Fuga de J.B.“
  • Generation der 50er: Luis Martín-Santos mit „Zeit der Stille“, Juan Benet mit „Du wirst zurückkehren nach Región“, Juan Goytisolo mit „Kennzeichen“, Juan Marsé mit „Letzte Abende mit Teresa“.

Ab 1975: Rückkehr zu traditionellen Erzählformen

Nach 1975 gab es eine Abkehr von formalen Experimenten und eine Rückkehr zu traditionelleren Erzählweisen. Der Roman sollte wieder dem Lesevergnügen dienen. Wichtige Vertreter sind Eduardo Mendoza („Die Wahrheit über den Fall Savolta“), Miguel Delibes („Der Ketzer“), Manuel Vázquez Montalbán (Kriminalromane), Juan José Millás (intime Romane), Antonio Muñoz Molina und Arturo Pérez-Reverte.


Der lateinamerikanische Roman der zweiten Hälfte des 20. Jhd.

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts setzte die lateinamerikanische Literatur den Realismus des 19. Jahrhunderts fort, integrierte aber die Besonderheiten der amerikanischen Welt (regionalistischer Roman, indigener Roman, Roman der mexikanischen Revolution).

Die 40er und 50er Jahre: Der Magische Realismus

Eine Wende vollzog sich in den 40er und 50er Jahren mit dem sogenannten tragischen oder magischen Realismus.

Merkmale:

  • Thematisch:
    • Überwindung der reinen Dokumentation und Verlagerung von ländlichen zu städtischen Schauplätzen.
    • Verbindung des Alltäglichen mit dem Legendären, Magischen und Wunderbaren. Diese Elemente werden als Teil der nicht-westlichen Realität dargestellt und können nicht rational, sondern nur durch das Unbewusste, Träume oder Halluzinationen erfasst werden (formuliert von Alejo Carpentier).
    • Verknüpfung von existenziellen Problemen mit sozialen Anliegen.
  • Formal:
    • Übernahme avantgardistischer Techniken des Surrealismus und narrativer Methoden europäischer Innovatoren wie Joyce, Kafka oder Faulkner (innerer Monolog, chronologische Unordnung, multiple Erzähler).
    • Verwendung einer raffinierten, barocken Sprache voller eindrucksvoller Bilder.

Hauptautoren:

  • Jorge Luis Borges: Behandelte in seinen Erzählungen („Fiktionen“) Themen wie Schicksal und Identität durch eine Mischung aus Fantasie und Intellekt.
  • Miguel Ángel Asturias (Guatemala, Nobelpreis): Thematisierte in „Der Herr Präsident“ Diktaturen mit surrealistischen Techniken und betonte die Bedeutung der Traumwelt.
  • Alejo Carpentier (Kuba): Prägte den Begriff des magischen Realismus und behandelte in „Die verlorenen Spuren“ das Thema Natur versus Zivilisation.
  • Juan Rulfo (Mexiko): Erzählt in „Pedro Páramo“ allegorisch von der Enttäuschung über die mexikanische Revolution.

Die 60er Jahre: Der „Boom“

Der Begriff „Boom“ bezeichnet den spektakulären Erfolg der lateinamerikanischen Erzählliteratur in den 60er Jahren. Es war nicht nur ein literarisches, sondern auch ein kommerzielles Phänomen, gefördert durch Verlage (Seix Barral), Übersetzungen und eine hohe literarische Qualität der Autoren.

Charakteristika:

  • Thematisch: Fortführung existenzieller Themen (Einsamkeit, Isolation, Tod, Vergänglichkeit) in Verbindung mit der magisch-realistischen Darstellung der lateinamerikanischen Wirklichkeit.
  • Formal: Konsolidierung der zuvor eingeleiteten Reformen. Komplexe Erzählstrukturen, die eine aktive Beteiligung des Lesers erfordern (multiple Erzähler, chronologische Brüche, innerer Monolog).
  • Stil: Experimenteller und unkonventioneller Sprachgebrauch, der zu vielfältigen Interpretationen einlädt.

Wichtige Autoren und Werke:

  • Gabriel García Márquez (Kolumbien, Nobelpreis): „Hundert Jahre Einsamkeit“, der Höhepunkt des magischen Realismus, erzählt die Geschichte der Familie Buendía über sieben Generationen.
  • Julio Cortázar (Argentinien): „Rayuela“, ein Roman, dessen Kapitel in der vom Leser gewählten Reihenfolge gelesen werden können.
  • Mario Vargas Llosa (Peru): „Gespräch in der „Kathedrale““, bekannt für seine komplexe Struktur (die „Kathedrale“ ist eine Bar).
  • Carlos Fuentes (Mexiko): „Der Tod des Artemio Cruz“, in dem der Protagonist auf dem Sterbebett sein Leben und die Enttäuschung über die mexikanische Revolution rekapituliert.
  • José Donoso (Chile): Spiegelt mit surrealistischer Kunst die Erbärmlichkeit der menschlichen Existenz.
  • Guillermo Cabrera Infante (Kuba): „Drei traurige Tiger“ ist ein Beispiel für die Mischung verschiedener Sprachebenen Havannas.
  • José Lezama Lima (Kuba): „Paradiso“ rekonstruiert die Welt der Kindheit durch mythisch-religiöse Symbole.
  • Ernesto Sabato (Argentinien): „Über Helden und Gräber“ fängt die jüngere Geschichte seines Landes ein.

Ab den 70er Jahren: Neue Wege

Die Autoren des „Booms“ schrieben weiterhin, während neue Stimmen mit neuen Themen und Techniken aufkamen: experimentelle Sprache, Einfluss der Massenmedien und die Bedeutung von Umgangssprache und Slang.

  • Manuel Puig: „Der Kuss der Spinnenfrau“
  • Alfredo Bryce Echenique: „Eine Welt für Julius“
  • Antonio Skármeta: „Mit brennender Geduld“ (Nerudas Postmann)
  • Isabel Allende: „Das Geisterhaus“
  • Laura Esquivel: „Bittersüße Schokolade“

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