Die Stärke des Rechts: Elemente einer Rechtssoziologie

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Die Stärke des Rechts: Elemente einer Rechtssoziologie (Pierre Bourdieu)

Bruch mit der Traditionellen Rechtsauffassung

Bourdieu kritisiert die traditionelle Rechtsauffassung, die das Recht auf seine faktische Dimension reduziert. Er betont, dass das Recht nicht nur die faktische Dimension aneignet, sondern auch eine symbolische Dimension besitzt. Diese Dichotomie zwischen Faktizität und Symbolik prägt die Modernität. Bourdieu spricht von einem "Bruch mit dem Bruch":

Drei Bereiche des Rechts: Recht, Rechtsprechung und Lehre

Bourdieu unterscheidet drei Bereiche des Rechts:

  • Recht: Definiert und klassifiziert, aber erklärt und erläutert nicht. Es bleibt oft unklar, was Begriffe wie "Gemeinwohl" oder "soziale Ordnung" bedeuten.
  • Rechtsprechung: Wendet das Recht an, muss dabei aber unklare Begriffe interpretieren und auslegen.
  • Lehre: Sollte das Recht objektiv untersuchen und erklären, tut dies aber oft nicht, da sie selbst Teil des Rechtssystems ist.

Problem: Das Recht wird in der juristischen Ausbildung gelehrt, aber die Lehre ist oft nicht objektiv, da sie das Recht nicht explizit erklärt. Die juristische Sprache ist oft rhetorisch und dient der Überzeugung, nicht der Beschreibung.

Symbolische Macht

Symbolische Macht ist eine unsichtbare, aber wirksame Macht, die Bedeutungen durchsetzt und legitimiert. Sie beruht darauf, dass die Machtgrundlage ignoriert wird. Das Recht wird als universell und legitim wahrgenommen, obwohl es tatsächlich von sozialen Gruppen, historischen Perioden und Orten geprägt ist.

Beispiel: Die Definitionen und Konzepte, die ein Lehrer gibt, werden als natürlich und unbestritten akzeptiert. Die symbolische Macht wirkt politisch, sozial und kulturell und bestimmt Haltungen und Gedanken, auch außerhalb des Rechts (z.B. in der richterlichen Urteilsfindung).

Die Subjektivität des Richters

Um die Subjektivität des Richters zu verbergen, wird oft die Passivform verwendet. Dies soll Objektivität und Rationalität suggerieren und den Einfluss außer-rechtlicher Elemente verschleiern. Juristische Begriffe wie "Sozialhilfe" oder "soziale Ordnung" werden als universell und objektiv dargestellt. Entscheidend ist die Fähigkeit, diese Begriffe überzeugend zu verwenden.

Kelsen: Es geht nicht ums Wissen, sondern ums Überzeugen.

Grundkonzepte (Fortsetzung von "2.2. Die Stärke des Rechts...")

Bourdieu entwickelt eine Soziologie, die die Gesellschaft als ein Gefüge von Beziehungen versteht.

Zentrale Konzepte:

  1. Feld (Sozialer Raum): Ein Beziehungsgefüge, in dem soziales Kapital ungleich verteilt ist. Diese Beziehungen sind objektiv und unabhängig vom Bewusstsein. Praktiken reproduzieren das Kapital. Es ist ein Kraftfeld, in dem um Veränderungen gekämpft wird.
  2. Kapital: Ressourcen (wirtschaftlich, sozial, kulturell, symbolisch) und deren Verteilung. Kapital wird vererbt und inkorporiert (der Körper zeigt Verhaltensunterschiede). Der Habitus ist untrennbar mit dem sozialen Kapital verbunden.
  3. Habitus: Dauerhafte und übertragbare Dispositionen, die die Praxis einer Klasse oder sozialen Gruppe prägen. Er ist die Internalisierung objektiver Strukturen und führt zur Differenzierung im sozialen Raum.
  4. Sozialer Raum: Die Position des Habitus wird durch das Kapital erzwungen.
  5. Symbolische Macht: Die Macht, Bedeutungen auf legitime Weise durchzusetzen (was als richtig, falsch, schön, hässlich gilt).

Methode: Dyaden (Gegensatzpaare). Strukturelle Klassifikation von Akteuren im sozialen Raum. Relativierung, da die Welt komplex ist.

Beispiel: Die Art, sich die Nase zu putzen (Papier- oder Stofftaschentuch), ist ein Ausdruck der Klasse und der internalisierten Verhaltensweisen.

Gesellschaft und Macht

Die Gesellschaft ist geprägt von Beziehungen zwischen Gruppen, die sich auf verschiedene Ressourcen beziehen. Sie ist ein Gefüge von Beziehungen und Strukturen, die unabhängig von Individuen existieren. Es gibt eine notwendige Kraft, um Gruppen in ihren Positionen zu halten.

Bourdieu: "Geschmack" ist Ausdruck einer sozialen Gruppe und Ergebnis von sozialer Macht und Bildung.

Habitus und Recht

Der Habitus beeinflusst die Entscheidungsfindung im juristischen Bereich. Er wird erworben und vererbt. Dies steht im Widerspruch zu positivistischen Ideen, die von Abstraktionen und Gleichheit ausgehen.

Entpolitisierung der Justiz:

  • Theorie: Entscheidungen sind objektiv.
  • Praxis: Es gibt Einfluss durch Differenzierung.

Jurastudenten haben oft Schwierigkeiten, Ungleichheiten und Unterschiede zu erkennen, da das Recht als Grundlage der Gleichheit gelehrt wird.

Interpretation und Hermeneutik

Interpretation: Entscheidungsfindung in Konfliktfällen. Verschiedene Felder (Familie, Schule, Jurastudium) beeinflussen die Entscheidungen von Richtern.

Wie wird das Juristische durch das Extra-Legale gesehen?

  • Luhmann: Rechtliche Bestimmung, kausale Unabhängigkeit.
  • Falbo: Extra-legale Gewalt, willkürliche Gewalt, die nicht normativ kontrolliert wird.

Die Arbeit des Juristen

Die juristische Arbeit ist in zwei Bereiche unterteilt:

  1. Theorien und Lehren
  2. Praktische Prüfung

Die juristische Arbeit besteht hauptsächlich in der Jurisdiktion, d.h. dem Recht zu sagen. Es gibt einen Wettbewerb darum, wer das letzte Wort hat. Die Interpretation wird als eine Tätigkeit der Justiz definiert.

Diese Interpretation wird von kompetenten Personen auf der Grundlage eines Korpus von Texten durchgeführt. Luhmann: Das Recht spiegelt eine legitime Vision der Welt wider.

Elemente der juristischen Kultur (Habitus):

  1. (Relative) Autonomie der Akteure: Freiheit von äußerem Zwang.
  2. Logik des a priori: Abstraktes Ziel.
  3. Universalisierung des Subjekts: Das Recht ist für alle gleich.
  4. Neutralisierung der Regeln: Regeln gelten als neutral.

Der Bereich der Theorien zeigt die universelle Art des Wissens und erklärt die Entscheidungen der Richter. Die Lehre ist durch Einheitlichkeit und Konsens gekennzeichnet.

Gerechtigkeit und Gewalt

Wie entzieht sich die Gerechtigkeit dem Status von Gewalt? Das Recht funktioniert oft mit Recht, d.h. es berücksichtigt die Subjektivität der Einstufung. Die Gerechtigkeit verbirgt die Unterschiede, die durch die Stärke entstehen (Ex-post-Rationalisierung).

Alles, was von der Justiz als Ausdruck von Gerechtigkeit gesehen wird, ist ein extra-legales, ethisches und philosophisches Element. Die Universalität und Objektivität sind Werkzeuge, um subjektive Entscheidungen zu verschleiern.

Beispiel: Höchst- und Mindeststrafe zeigen, dass die Definition durch Vorurteile beeinflusst wird (unbewusster Einfluss der symbolischen Macht).

Die Legitimität der Justiz

Die Justiz ist für die Beilegung von Konflikten zuständig, da sie die legitime Ausdrucksform der staatlichen Gewalt ist (Monopol der Gewalt).

Die Effizienz der symbolischen Interpretation des Rechts liegt darin, dass sie auch außerhalb des juristischen Bereichs ausgeübt werden kann. Aber wie wird die Interpretation reguliert? Sie wird durch die Lehre reguliert, die interpretative und hermeneutische Methoden anbietet, die aber nicht zwingend sind.

Sprache und Macht

Die Auslegung und die Rechtsprechung sind in einem Kontext von Monopol und Konkurrenz zu sehen. Die Regeln, die die Auslegung regeln, sind jedoch nicht klar definiert. Die Regulierung erfolgt durch Texte und durch die Betonung der Macht durch die Rhetorik der juristischen Sprache.

Die Sprache garantiert die Grundlage für Entscheidungen. Die gemeinsame Sprache spiegelt die Kompetenz wider.

Es gibt einen Kampf zwischen den "Heiligen" (den Wissenden) und den "Profanen" (den Unwissenden). Der juristische Bereich ist eine Aristokratie des Wissens. Die Konflikte werden teilweise vergessen, und die Argumente werden zu Diskussionen unter Experten.

Logik der Politik und Logik der Wissenschaft

Die Wirksamkeit gerichtlicher Entscheidungen beruht auf der Logik der Politik (Kampf ohne Schiedsrichter) und der Logik der Wissenschaft (Gegensatz zwischen wahr und falsch). Es gibt jedoch keine universelle Theorie, und die Praxis weicht oft von der Theorie ab.

Hinweis: Die Funktion der Justiz ist eine öffentliche Dienstleistung.

Gerichtliche Entscheidungen als Akte symbolischer Macht

Gerichtliche Entscheidungen sind Akte der symbolischen Macht, Akte der Benennung und Charakterisierung. Es gibt subjektive Faktoren, die die Entscheidungen bestimmen.

Beispiel: Die Subjektivität zeigt sich in der Höchst- und Mindeststrafe, die im Rahmen des Gesetzes liegen, aber von extra-legalen Faktoren beeinflusst werden.

Extra-rechtliche Aspekte:

  • Für Kelsen: Ausgeschlossen.
  • Für Luhmann: Durch das Recht bestimmt.
  • Für Bourdieu: Versteckt.

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