Theorien des phonologischen Erwerbs im Kindesalter

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Struktur-Theorie (Jakobson, 1956)

Diese Theorie unterscheidet zwei Phasen:

  • Vorsprachliche Periode (Lallphase): Gekennzeichnet durch enorme Unterschiede in den Lautproduktionen ohne klare Struktur oder Entwicklungsmuster. Es besteht eine Diskontinuität zur nächsten Phase.
  • Sprachliche Periode: Hier findet eine Reduzierung der Lautvielfalt statt. Das Kind lernt Laute neu, ohne direkten Bezug zu früheren Produktionen. Angeborene universelle Muster folgen strukturellen Regeln:
    • Beginn mit maximalem Kontrast und artikulatorischer Einfachheit.
    • Maximale Öffnung: /a/
    • Maximaler Verschluss (labial): /p/, /m/
    • Aus diesen Gegensätzen entwickeln sich komplexere Artikulationen: /p/ -> /t/ (labial -> alveolar), /m/ -> /n/ (labial -> alveolar).

Wahrnehmungserleichterung (Olmsted, 1971)

Diese Theorie betont als wichtige Faktoren die kategoriale Wahrnehmungsleichtigkeit und die Häufigkeit in der Umgebungssprache. Kinder lernen zuerst:

  • Phoneme, die weniger leicht zu verwechseln und gut unterscheidbar sind.
  • Phoneme, die in der Erwachsenensprache am häufigsten vorkommen.

Prosodische Theorie (Waterson, 1981)

Nach dieser Theorie nehmen Kinder phonetische Segmente zunächst nicht im Detail wahr. Sie entwickeln über lange Zeit perzeptive und produktive Fähigkeiten bezüglich der Satzmelodie (Prosodie). Progressiv beginnen Kinder, unterscheidbare Einheiten wie Betonung, Silbengrenzen und schließlich Phoneme und deren Merkmale wahrzunehmen.

Natürliche Phonologie (Stampe, 1979)

Phonologische Prozesse werden als mentale Operationen verstanden, die auf natürlichen, universellen und angeborenen Potenzialen basieren. Sie schränken die im kindlichen Lautsystem vorhandenen Oppositionen ein (Prinzip der Natürlichkeit). Beispiel: Die Kombination /Frikativ-Verschlusslaut/ (wie in katalanisch 'casat' und 'caçar') wird von katalanischsprachigen Kindern produziert, nicht aber von spanischsprachigen, für die diese Kombination nicht phonologisch kontrastiv ist.

Kognitive Theorie (Ferguson, 1983; Menn & Stoel-Gammon, 1996)

Diese Theorie betont individuelle Unterschiede und die graduelle Annäherung an das Lautsystem der Erwachsenen. Kinder konstruieren aktiv das System der phonologischen Kontraste. Sie formulieren Hypothesen, testen diese und korrigieren sie basierend auf dem Erfolg ihrer Äußerungen. Diese Formulierungen und Korrekturen basieren nicht immer direkt auf dem Input der Erwachsenen. Zu Beginn ist die grundlegende Bezugseinheit das Wort.

Aktuelle Theorien (Bootstrapping)

Wichtige aktuelle Beiträge betonen die Auswirkungen der Prosodie auf den Erwerb von Wortschatz und Grammatik (Prosodic Bootstrapping). Im zweiten Lebensjahr ermöglicht das erworbene phono-prosodische Wissen dem Kind, erste grammatische und lexikalische Kenntnisse zu erwerben. Beispiel: Das Wissen um die charakteristischen Rhythmen der Zielsprache(n) hilft dem Kind, grammatische Einheiten aus dem Input-Signal zu extrahieren und in die eigene Produktion zu übernehmen.

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