Thomas von Aquin: Erkenntnis, Gottesbeweise und Glaube
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Thomas von Aquin: Erkenntnis und Intellekt
Thomas von Aquin unterscheidet, basierend auf Aristoteles, zwei Arten des Wissens:
1. Sensorisches Wissen (Gesunder Menschenverstand)
Das sensorische Wissen, oft als „gesunder Menschenverstand“ bezeichnet, bildet ein Bild des Objekts, das uns mit all seinen individuellen Besonderheiten präsentiert wird. Es basiert auf dem Vorwissen, das wir durch unsere Sinne und Erfahrungen sammeln.
2. Intellektuelles Verständnis
Das intellektuelle Verständnis geht über das durch den gesunden Menschenverstand gebildete Bild hinaus. Es erfasst die wesentlichen Merkmale einer Sache. Dieser Prozess wird durch zwei Tätigkeiten des Intellekts vollzogen:
a) Die Funktion des aktiven Intellekts
Der aktive Intellekt abstrahiert die wesentlichen Merkmale einer Sache, indem er sie von ihren individuellen Elementen „entkleidet“. Das bedeutet, die besonders sensible Darstellung wird zu einer universellen Erkenntnis.
b) Die Funktion des passiven Intellekts
Der passive Intellekt nimmt die abstrahierte Essenz wahr. Hier liegt die Fähigkeit zur allgemeinen Erkenntnis, die das universelle Wesen der Dinge erfasst.
Essenz, Existenz und das Prinzip der Individuation
Das intellektuelle Verständnis zielt darauf ab, das Wesen der Dinge zu erkennen. Durch konzentrierte Arbeit erwirbt es dann universelle Erkenntnisse über die Besonderheiten. Dies führt zum Problem des Prinzips der Individuation: Wenn wir alle dasselbe Wesen haben, was macht uns dann einzigartig und besonders?
Laut Thomas von Aquin haben alle Wesen ein gemeinsames Wesen (Form) und ein bestimmtes Subjekt (Materie), das uns unterscheidet. Materie ist das Prinzip der Individuation, das die Form in einem bestimmten Individuum konkretisiert.
Des Weiteren unterscheidet Thomas zwischen notwendigen und kontingenten Wesen. Gott ist ein notwendiges Wesen (er existiert notwendigerweise), während andere Wesen kontingent sind (sie existieren, könnten aber auch nicht existieren).
Diese Unterscheidung führte Aquin dazu, zwischen dem Wesen (Was ist es?) und der Existenz (Gibt es das?) der Dinge zu differenzieren. Ihm zufolge haben alle geschaffenen Wesen ein Wesen und eine Existenz, aber nur in einem notwendigen Wesen (Gott) sind beide identisch. Der Unterschied zwischen Wesen und Existenz entspricht den aristotelischen Begriffen von Potenz und Akt: Das Wesen ist die Potenz, und die Existenz ist der Akt. Die Existenz einer Sache hängt vom Grad der Vollkommenheit ab, den ihr Wesen besitzt. Nur das Wesen Gottes ist vollkommen, daher existiert Gott notwendigerweise.
Die Fünf Wege zum Gottesbeweis
Die Existenz Gottes ist eine Wahrheit, die bewiesen werden muss. Zu diesem Zweck entwickelte Thomas von Aquin seine berühmten Fünf Wege:
- Der Weg aus der Bewegung: Alles, was sich bewegt, wird von etwas anderem bewegt. Da eine unendliche Kette von Bewegern unmöglich ist, muss es einen ersten, unbewegten Beweger geben: Gott.
- Der Weg aus der Wirkursache: Alles hat eine Wirkursache, aus der es entstanden ist. Da eine unendliche Kette von Ursachen unmöglich ist, muss es eine erste, unverursachte Ursache geben: Gott.
- Der Weg aus der Kontingenz: Es gibt Wesen in der Welt, die existieren können oder nicht (kontingent sind). Da nicht alles kontingent sein kann (sonst gäbe es nichts), muss es ein notwendiges Wesen geben, das seine Existenz aus sich selbst hat und anderen Existenz verleiht: Gott.
- Der Weg aus den Seinsgraden: In den Dingen gibt es unterschiedliche Grade der Vollkommenheit (z.B. gut, besser, am besten). Daher muss es ein Höchstmaß an Vollkommenheit geben, das die Ursache für alle geringeren Grade ist: Gott.
- Der Weg aus der Zielgerichtetheit: Natürliche Dinge, die selbst keine Intelligenz besitzen, handeln zielgerichtet. Daher muss es ein intelligentes Wesen geben, das alle natürlichen Dinge auf ihr Ziel hinlenkt: Gott.
Glaube und Vernunft bei Thomas von Aquin
Thomas von Aquin unterscheidet zwischen der Theologie des Glaubens und der Philosophie der Vernunft. Es gibt Wahrheiten, die nur durch den Glauben erreicht werden können, und solche, die nur durch die Vernunft erkannt werden können. Es gibt jedoch auch Wahrheiten, die sowohl durch den Glauben als auch durch die Vernunft zugänglich sind.
Laut Thomas gehören zu diesen gemeinsamen Wahrheiten die Unsterblichkeit der Seele und die Existenz Gottes. Diese Wahrheiten werden als Preambula Fidei (Präambeln des Glaubens) bezeichnet.
Thomas’ Theorie basiert auf aristotelischen Prinzipien. Für Aristoteles ist das menschliche Verständnis an die Sinne gebunden; die Realität ist wahrnehmbar. Thomas hingegen argumentiert, dass der Intellekt das Wesen der Dinge erfassen kann, auch wenn der menschliche Geist an die sinnliche Erfahrung gebunden ist. Hierin liegt ein Problem der aristotelischen Theorie: Die Philosophie, die sich auf sinnliche Realitäten beschränkt, kann nur ein unvollkommenes und analoges Wissen über Gott erlangen, das an die sinnliche Erfahrung gebunden ist. Das heißt, das natürliche Wissen über Gott, die Menschheit und das Universum durch die Vernunft ist begrenzt.
Diese Grenzen werden durch den christlichen Glauben überwunden, der über die Vernunft hinausgeht. Gott offenbart diese Botschaft den Menschen, um die menschliche Vernunft zu ergänzen und zu verbessern. Daher müssen Glaube und Vernunft nicht im Widerspruch zueinander stehen.
Gemeinsame Inhalte: Glaube und Vernunft
Die Existenz gemeinsamer Inhalte von Glaube und Vernunft wirft zwei zentrale Fragen auf:
- Warum gibt es gemeinsame Inhalte? Thomas von Aquin nennt mehrere Gründe:
- Es ist wünschenswert, dass einige Wahrheiten durch den Glauben zugänglich sind, der durch Autorität auferlegt wird. Ohne den Glauben könnten viele Menschen diese Wahrheiten nicht erkennen.
- Die menschliche Vernunft kann sich irren. Der Glaube bietet hier eine sichere Grundlage.
- Was bedeutet dies für die Quellen des Wissens? Dies zeigt, dass Glaube und Vernunft zwei unterschiedliche Quellen des Wissens sind. Dies ist entscheidend für die Unterscheidung zwischen Philosophie und Theologie. Die Theologie greift auf den Glauben zurück, während die Philosophie die Vernunft nutzt.
Die Rolle der Vernunft in der Theologie
Die Vernunft unterstützt den Glauben. Die Theologie nutzt die Vernunft auf verschiedene Weisen:
- Als wissenschaftliches Verfahren zur Strukturierung und Argumentation.
- Als dialektisches Werkzeug zur Verteidigung des Glaubens und zur Widerlegung von Einwänden, die den Glaubensartikeln widersprechen.
- Zur Aufklärung und Vertiefung der Glaubensartikel durch wissenschaftliche Daten und philosophische Erkenntnisse.
So trägt die Vernunft maßgeblich zum Aufbau der Theologie als Wissenschaft bei.