Tirant lo Blanc: Analyse eines bahnbrechenden Ritterromans
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Der Roman Tirant lo Blanc zeichnet sich durch seine Darstellung von Heldentaten, wahren Helden, epischen und legendären Elementen sowie die Verwendung realer Orte aus.
Analyse der Werkstruktur
Der Roman ist um eine zentrale Achse der Handlung strukturiert und enthält zahlreiche erweiterte Episoden.
Kapitelübersicht und Handlungsstränge
- Kapitel 1-97 (England): Tirant, ein junger Gentleman, ist in juristische Auseinandersetzungen verwickelt.
- Kapitel 98-114 (Sizilien/Rhodos): Die Handlung verlagert sich in maritime Szenarien und Gerichtsszenen mit dem Admiral.
- Kapitel 115-297 (Byzantinisches Reich): Tirant wird ein kühner und siegreicher Anführer. Er verliebt sich in Prinzessin Carmesina. In diesem Teil treten auch die verführerischen Charaktere Plaerdemavida und die Witwe Reposada auf, deren Verführungsversuche jedoch scheitern.
- Kapitel 298-407 (Tunis): Tirant besiegt afrikanische Anführer und erreicht die Konversion von Sarazenen zum Christentum.
- Kapitel 408-487: Rückkehr ins Byzantinische Reich und Befreiung von türkischer Herrschaft. Tirant und Carmesina heiraten offiziell. Das Buch wird Martí de Gualba zugeschrieben.
Themen und Werte des Romans
- Allgemein: Der Roman vereint verschiedene Gattungen und behandelt zentrale Themen wie Krieg und Liebe durch innovative narrative Methoden.
- Ritterlich: Konzentriert sich auf die Biografie des Ritters und beschreibt einzelne Schlachten sowie militärische Strategien.
- Historisch: Verwendet identifizierbare Gebiete und historische Bezüge.
- Sozial: Bietet eine Darstellung sozialer Schichten, Sitten und Gebräuche der Epoche, die zwischen Glanz und Pracht sowie Elend und Korruption im Valencia des Mittelalters und der frühen Renaissance schwankt.
- Erotisch: Liebe und Sexualität spielen eine wichtige Rolle; erotische Episoden werden mit großer Freiheit dargestellt.
- Psychologisch: Analyse von Charakterprototypen, die nicht direkt den vorgegebenen Rollen der Epoche entsprechen.
Hauptcharaktere und ihre Psychologie
Die Darstellung der Charaktere im Roman ist innovativ und tiefgründig:
- Tirant: Eine psychologisch komplexe, witzige, charmante und kluge Figur. Er wird mehrfach verwundet und zeigt sich in der Liebe schüchtern, verletzlich und düster. Das Misogynie-Prinzip (negative Frauenbilder) wird durch die Darstellung der Liebe, die er erlebt, durchbrochen. Sein heldenhafter Tod ereignet sich auf unerwartete Weise.
- Diafebus von Konstantinopel: Tirants Cousin und Begleiter, der oft in erotische Intrigen verwickelt ist und Dialoge mit Plaerdemavida führt.
- Die Kaiserin: Begeht Ehebruch.
- Hipòlit: Liebhaber der Kaiserin; erinnert sie an ihren verstorbenen Sohn.
- Die Witwe Reposada: Carmesinas Mutter; eine moralisch strenge Frau. Sie verliebt sich in Tirant, wird gestört und droht mit Selbstmord, wenn sie nicht von ihm getrennt wird.
- Plaerdemavida: Ein schamloses und kluges Mädchen, eine geschickte Kupplerin, die das andere Geschlecht zu Handlungen anstiftet.
- Prinzessin Carmesina: Eine psychologisch komplexe Figur, deren einzige Motivation es ist, ihre Jungfräulichkeit zu bewahren. Sie ist eine 14-jährige Jungfrau.
Literarische Quellen und Einflüsse
Die Prosa des Romans zeichnet sich durch bewundernswerte Vielfalt und Reichtum aus. Verschiedene Texte und Materialien dienten als Quellen:
- Chroniken: Insbesondere Fragmente von Muntaner und der Chronist Sacosta (Biograph einiger Charaktere). Die Erzähltechnik ähnelt einer Chronik, die Sachverhalte erklärt und deren Ursachen verknüpft.
- Ritterromane: Konkrete historische Berichte und Anspielungen auf Tragödien wie die von Lancelot (William Varois).
- Ramon Llull: Sein Werk 'Buch des Ordens der Ritterschaft'.
- William Torrella: Fabeln und Lehrtexte.
- Die zwölf christlichen Episoden: Belagerungs- und moralischer Natur.
- Bernat Metge: 'Lo Somni' (Der Traum).
- Sarventes: Gedichte, möglicherweise aus Kapitel 195.
- Ausiàs March: Einflüsse aus seinen Werken, möglicherweise Kapitel 198.
- Joan Roís de Corella.
- Ovid.
- Dante.
- Boccaccio.
- Petrarca: Zum Beispiel Sonett 193.
- Eigene Erfahrungen: Ritterliche Erlebnisse und Reisen des Autors.
Sprachstil und Merkmale
- Historischer Kontext: Ende des 13. Jahrhunderts entwickelte sich ein Bewusstsein für die romanischen Sprachen, ihre Namen und Eigenheiten. Im 15. Jahrhundert wurde das Phänomen der natürlichen Sprache, d.h. ihre Wertigkeit, anerkannt.
- Valencianische Prosa: Im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts dominierte in Valencia die literarische Prosa. Dieser Stil war rhetorisch und latinisiert, vertreten u.a. durch Joan Roís de Corella. Er war elegant und pedantisch, geprägt vom Wunsch, das Lateinische nachzuahmen.
- Stilistische Charakteristika:
- Vorangestellte Namen (z.B. 'der Ritter Tirant').
- Getrennte Paare (z.B. Adjektiv und Nomen).
- Hyperbaton (Umstellung der Satzglieder) am Satzende.
- Periphrasen.
- Wortwurzeln (?).
- Latinismen.
- Superlative auf '-issimo'.
- Partizipien anstelle von Phrasen.
- Gerundien.
- Lange Sätze.
Abgrenzung zu anderen Ritterroman-Typen
- Der höfische Roman (13. Jahrhundert): Eine Erzählung in der Volkssprache, die sich durch fantastische Helden, Krieger und Liebesgeschichten auszeichnet. Er spielt an fiktiven Orten zu unbestimmten Zeiten und richtet sich an ein aristokratisches Publikum, oft in schriftlicher Form.
- Ritterbücher: (z.B. Amadis de Gaula) zeichnen sich durch unplausible Elemente und ferne Länder aus.
- Der Ritterroman (wie Tirant lo Blanc): Hier steht der Ritter im Mittelpunkt, mit psychologisch profilierten Charakteren. Die Handlung spielt an bekannten Orten in einer näheren Zeit. Er ist in Prosa verfasst, verzichtet auf wunderbare Elemente und zeichnet sich durch logische Handlungen, Realismus und Humor aus.
Historischer Hintergrund: Valencia im 15. Jahrhundert
Im 15. Jahrhundert entwickelte sich Valencia zum zentralen Knotenpunkt der Krone von Aragonien. Die Epidemien des 14. Jahrhunderts hatten Valencia kaum betroffen. Dank seines Finanzkapitals und seiner wirtschaftlichen Vitalität ersetzte Valencia Barcelona als wichtigstes Zentrum für alle katalanischsprachigen Gebiete.