Das Recht auf Vertretung im Erbrecht: Grundlagen & Auswirkungen

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Das Recht auf Vertretung im Erbrecht

Grundlagen der gesetzlichen Erbfolge und das Vertretungsrecht

In der gesetzlichen Erbfolge gilt der Grundsatz, dass die engsten Verwandten die weiter entfernten ausschließen. Eine wichtige Ausnahme von dieser Regel bildet jedoch das sogenannte Recht auf Vertretung. Dieses tritt in Kraft, wenn eine Person, die eigentlich Erbe geworden wäre, bereits vor dem Erblasser verstorben ist. Ohne ein Testament, das eine andere Regelung vorsieht, würde der Nachlass, der dieser Person zugestanden hätte, nun ihren Nachkommen zustehen. Das Recht auf Vertretung ermöglicht es den Nachkommen, in die Position des vorverstorbenen Erben einzutreten und dessen Erbteil zu erhalten.

Definition und kritische Betrachtung des Vertretungsrechts

Das Gesetz definiert das Recht auf Vertretung so, dass die Nachkommen einer vorverstorbenen Person alle Rechte erben, als ob diese Person noch leben oder erben könnte. Dies bedeutet, dass beispielsweise die Kinder eines vor dem Erblasser verstorbenen Sohnes dessen Platz in der Erbfolge einnehmen und den Erbteil erhalten, der ihrem Vater zugestanden hätte.

Artikel 924 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) besagt: "Das sogenannte Recht der Vertretung haben die Abkömmlinge einer Person, die alle Rechte erben, als wenn diese Person gelebt oder erben könnte."

Diese Formulierung wird jedoch oft kritisiert, da sie zu Missverständnissen führen kann:

  • Fehler 1: "Verwandte" statt "Abkömmlinge"
    Der Artikel spricht von "Verwandten", doch das Recht auf Vertretung steht nicht allen Verwandten zu, sondern ausschließlich den Abkömmlingen (Kindern, Enkeln etc.) der vorverstorbenen Person.
  • Fehler 2: Direkte Beziehung zum Erblasser
    Es ist nicht der "Verwandte", der vorverstorben ist, der direkt erbt. Vielmehr geht das Erbrecht direkt und unmittelbar vom Erblasser auf die vertretenden Nachkommen über.
  • Fehler 3: Keine echte Vertretung
    Es handelt sich nicht um eine tatsächliche Vertretung im rechtlichen Sinne (also kein Handeln im Namen eines anderen). Die Nachkommen erben vielmehr für sich selbst und in eigenem Namen. Sie treten lediglich in die Position des vorverstorbenen Erben ein, weil dieser die Erbschaft nicht antreten konnte.

Rechtsnatur: Drei Theorien zum Vertretungsrecht

Die Rechtsnatur dieser Einrichtung wird durch verschiedene Theorien erklärt:

  • 1. Fiktionstheorie: Das Gesetz fingiert, dass der vorverstorbene Erbe noch lebt und erben könnte, um seinen Nachkommen den Erwerb zu ermöglichen.
  • 2. Substitution ex lege (Gesetzliche Ersetzung): Das Gesetz ersetzt den vorverstorbenen Erben durch seine Nachkommen, die an dessen Stelle treten.
  • 3. Umwandlungstheorie: Die ursprüngliche Berufung des vorverstorbenen Erben wandelt sich in eine Berufung seiner Nachkommen um, die dann tatsächlich erben.

Zweck und Anwendungsbereich des Vertretungsrechts

Der Hauptzweck des Vertretungsrechts ist es, zu verhindern, dass der Erbteil einer Person, die vor dem Erblasser verstorben ist, "ins Leere läuft" oder an andere Erben fällt, die nicht die direkten Nachkommen des vorverstorbenen Erben sind. Es stellt sicher, dass der Erbteil innerhalb der Linie des vorverstorbenen Erben verbleibt.

Das Recht auf Vertretung findet immer in gerader absteigender Linie Anwendung (z.B. Kinder vertreten ihre Eltern, Enkel ihre Großeltern). Es findet jedoch niemals in gerader aufsteigender Linie Anwendung (z.B. Eltern vertreten nicht ihre Kinder).

In der Seitenlinie (Kollaterallinie) findet das Vertretungsrecht nur Anwendung für die Kinder der Geschwister des Erblassers (also Neffen und Nichten).

In der direkten absteigenden Linie ist das Recht auf Vertretung, wie bereits erwähnt, stets gegeben. Bei den Neffen und Nichten des Erblassers (Kinder seiner Geschwister) gilt dies jedoch nur unter der Voraussetzung, dass sie nicht bereits aus eigenem Recht erben würden. Wenn beispielsweise ein Neffe der einzige lebende Abkömmling einer bestimmten Linie wäre, würde er aus eigenem Recht erben und nicht durch Vertretung.

Auswirkungen des Vertretungsrechts auf die Erbfolge

Das Vertretungsrecht hat folgende wesentliche Auswirkungen:

  • 1. Direkter Erwerb vom Erblasser: Die vertretenden Nachkommen erben direkt vom Erblasser, nicht von der vorverstorbenen Person. Sie treten lediglich in die Position des vorverstorbenen Erben ein. Daher müssen sie selbst die Voraussetzungen für die Erbfähigkeit (z.B. keine Erbunwürdigkeit) in Bezug auf den Erblasser erfüllen.
  • 2. Erwerb "pro stirpes" (nach Stämmen): Diejenigen, die durch das Recht der Vertretung erben, erwerben den Erbteil, der der vorverstorbenen Person zugestanden hätte, gemeinschaftlich und nach Stämmen. Das bedeutet, der Erbteil wird nicht pro Kopf unter ihnen aufgeteilt, sondern der gesamte Anteil, der dem Stamm des vorverstorbenen Erben zugestanden hätte, wird unter seinen Nachkommen aufgeteilt.

Wenn es sich also um eine Erbschaft handelt, bei der das Vertretungsrecht zum Tragen kommt, wird der Erbteil zunächst dem Stamm des vorverstorbenen Erben zugewiesen. Innerhalb dieses Stammes erfolgt dann die Aufteilung unter den vertretenden Nachkommen.

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