Zuständigkeitsverteilung in der Europäischen Union

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Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung

Im Allgemeinen ist es wichtig zu verstehen, dass die Europäische Union in diesem Bereich nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (oder „conferred powers“) handelt. Dies ist ein allgemeiner Grundsatz, wonach die Union nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten und Ziele handeln darf, die ihr durch die Verträge selbst zugewiesen wurden. Es muss eine direkte und konkrete Zuweisung von Zuständigkeiten in den Verträgen geben, die die Mitgliedstaaten verpflichten, diese an die Union abzutreten.

Die Übertragung nationaler Zuständigkeiten an die Union ist nicht als vollständige Eigentumsübertragung zu verstehen, sondern als eine funktionale Aufteilung oder Zuweisung von Befugnissen. Diese Befugnisse definieren nicht nur die Übertragung an sich, sondern auch den sachlichen Anwendungsbereich der Befugnisse und Handlungsmöglichkeiten, also die spezifischen Kompetenzen der Union.

Der Leitgedanke ist, dass die Befugnis der Union, Maßnahmen zu ergreifen, eine angemessene Rechtsgrundlage erfordert. Diese muss sich zwingend aus den Gründungsverträgen oder dem abgeleiteten Recht ergeben.

Die Union handelt ausschließlich im Rahmen des ihr übertragenen Zuständigkeitsbereichs. Die Aufteilung der Zuständigkeiten ist unwiderruflich: Sobald ein Staat eine Zuständigkeit an die Union übertragen hat, kann diese nicht widerrufen werden (die Unterzeichnung des Vertrags beinhaltet die Übertragung der Zuständigkeit).

Arten von Zuständigkeiten

Besondere Befugnisse

Die spezifischen Befugnisse der Union müssen im Vertragswerk selbst gesucht werden, da dort die verschiedenen Maßnahmen geregelt sind.

Dies kann ein Problem der Rechtssicherheit aufwerfen, insbesondere wenn Mitgliedstaaten (einige mehr als andere) manchmal in Bereichen gesetzgeberisch tätig werden, die an die Zuständigkeiten der Union grenzen. Andere Staaten hingegen haben möglicherweise keine Zweifel daran, dass dies eine Zuständigkeit der Union ist.

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entscheidet in der Regel auf Antrag der Kommission über Beschwerden, wenn es zu einem Zuständigkeitskonflikt zwischen der Union und einem Mitgliedstaat kommt.

Implizite Befugnisse

Implizite Befugnisse leiten sich aus Artikel 352 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ab (ehemals Artikel 308 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft).

Erscheint ein Tätigwerden der Union erforderlich, um den Binnenmarkt oder eines der Ziele der Union zu erreichen, und hat der Vertrag die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen, so kann der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments die geeigneten Maßnahmen ergreifen.

Diese Regelung ermöglicht es, die erforderlichen Befugnisse zu erweitern, um die Ziele der Union zu erreichen. Hierfür sind drei Bedingungen erforderlich:

  • Die Maßnahme muss zur Erreichung eines Ziels der Union erforderlich sein. Dies bietet einen breiten Anwendungsbereich. Seit den 1970er Jahren hat diese Bestimmung die Vertiefung des europäischen Integrationsprozesses ermöglicht und war entscheidend für die Entwicklung wichtiger Zuständigkeiten der Union (z.B. in den Bereichen Umwelt oder Entwicklung).
  • Die Maßnahme muss als notwendig erachtet werden, um das Ziel der Union zu erreichen.
  • Der Vertrag darf die hierfür erforderlichen Befugnisse nicht explizit vorgesehen haben.

Dabei müssen stets die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts, einschließlich des Subsidiaritätsprinzips, beachtet werden.

Beziehungen zwischen nationalen und EU-Zuständigkeiten

Nationale Zuständigkeiten

Nationale Zuständigkeiten bleiben bestehen, solange keine spezifische Zuweisung an die Union erfolgt ist (alles, was nicht im Vertrag als Unionskompetenz aufgeführt ist, fällt in die Befugnisse der Mitgliedstaaten).

Dabei muss der sogenannte Grundsatz der Effektivität der Verträge berücksichtigt werden. Dieser besagt, dass ein Staat sich nicht auf seine ausschließliche Zuständigkeit in einem Bereich berufen kann, wenn dies direkt oder indirekt eine Abweichung vom Unionsrecht bedeuten würde, d.h., wenn die Zuständigkeit in den Bereich der Union fällt.

In jedem Fall besteht die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit zwischen den Staaten und der Union. Dies bedeutet, dass jede Handlung eines Mitgliedstaates, auch wenn sie in dessen ausschließliche Zuständigkeit fällt, das Interesse der Union nicht beeinträchtigen darf.

In Bereichen, in denen die Union die Möglichkeit von Maßnahmen vorsieht, die jedoch kein umfassendes Regelwerk darstellen, ergänzen die Mitgliedstaaten die Unionsgesetzgebung. Diese werden von einigen Autoren als ergänzende Zuständigkeiten bezeichnet.

Konkurrierende Zuständigkeiten

Beispiele für konkurrierende Zuständigkeiten sind Umwelt, Verkehr oder Landwirtschaft.

Grundsätzlich können die Mitgliedstaaten in diesen Bereichen tätig werden, solange die Unionsorgane ihre konkurrierende Zuständigkeit nicht wirksam ausgeübt haben. Sobald die Union tätig wird, schließt dies die nationalen Gesetzgebungsbefugnisse in diesem spezifischen Bereich aus.

Die Begründung hierfür ist die Vermeidung rechtlicher Lücken.

Die interne Tätigkeit eines Staates in Abwesenheit von Unionsmaßnahmen unterliegt jedoch einigen Einschränkungen:

  • Die Achtung der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts (der Verträge).
  • Diese innerstaatlichen Maßnahmen dürfen die künftige Ausübung der Befugnisse durch die Union nicht beeinträchtigen.
  • Die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit der Staaten.

Ausschließliche Zuständigkeiten der Union

In diesen Angelegenheiten (z.B. gemeinsame Handelspolitik, Zollunion, Fischereipolitik, Währungspolitik für die Eurozone) ist nur die Union befugt, Rechtsakte zu erlassen und verbindliche Maßnahmen zu treffen.

In Fällen, in denen die Union ihre Befugnisse nicht ausgeschöpft hat, ist es den Staaten nicht erlaubt, selbst tätig zu werden, es sei denn, die Union ermächtigt sie dazu oder genehmigt ihre Maßnahmen nachträglich. Dies unterliegt einer besonderen Kontrolle durch die Unionsorgane.

Man könnte sagen, dass die Zuständigkeit der Union nur vorübergehend von einem Staat im globalen Interesse verwaltet wird, wenn die Union dies explizit zulässt.

Im Rahmen der ausschließlichen Zuständigkeiten der Union liegt die Umsetzung dieser Befugnisse in der Regel bei den Mitgliedstaaten.

Schließlich kann die Ausübung einer Unionszuständigkeit durch einen Mitgliedstaat niemals als Bestätigung verstanden werden, dass diese Zuständigkeit dauerhaft und unwiderruflich an den Staat zurückübertragen wurde.

Grundsätze der Ausübung von EU-Befugnissen

Die Staaten haben vereinbart, ihre Kompetenzen zu übertragen, aber es war auch notwendig, ein System für die Ausübung dieser Befugnisse zu regeln. Diese Grundsätze wurden insbesondere mit dem Vertrag von Maastricht (1992) eingeführt und später weiterentwickelt.

Grundsatz der Subsidiarität

In Gebieten, die nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallen, ergreift die Union Maßnahmen nach dem Prinzip der Subsidiarität. Dies bedeutet, dass die Union nur tätig wird, wenn und soweit die Ziele der vorgeschlagenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können, sondern wegen des Umfangs oder der Wirkungen der Maßnahmen auf Unionsebene besser erreicht werden können.

Dies impliziert, dass die Union nur dann tätig wird, wenn ein Ziel auf Unionsebene effizienter erreicht werden kann.

Wie in der Präambel des Vertrags über die Europäische Union betont: Entscheidungen sollen so bürgernah wie möglich getroffen werden.

Der Subsidiaritätsgrundsatz ist kein Prinzip der Kompetenzverteilung, sondern ein Kriterium für die Ausübung von Zuständigkeiten, und zwar ausschließlich im Bereich der konkurrierenden Zuständigkeiten, niemals bei ausschließlichen Zuständigkeiten.

Er geht davon aus, dass Maßnahmen der Mitgliedstaaten allein möglicherweise nicht ausreichen und dass die Wirksamkeit der Ziele der Maßnahme auf Unionsebene besser erreicht werden kann.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die Zuständigkeit, die Einhaltung dieses Grundsatzes zu überprüfen.

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Die Maßnahmen der Union dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderlich ist.

Auch dies ist kein Prinzip der Kompetenzverteilung, sondern ein Kriterium für die Ausübung von Zuständigkeiten. Im Gegensatz zum Subsidiaritätsprinzip erstreckt sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur auf die konkurrierenden Zuständigkeiten, sondern auf alle Zuständigkeiten der Union, einschließlich der ausschließlichen.

Dies bedeutet, dass die Union bei der Ausübung ihrer Befugnisse stets die Mittel oder Handlungsweisen wählen muss, die bei gleichem Effizienzgrad die geringsten Auswirkungen auf die Freiheit der Einzelnen (Wirtschaftsteilnehmer, Länder usw.) haben. Die erforderlichen Maßnahmen müssen ihrem Zweck dienen, ohne übermäßige Regulierung zu verursachen.

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