Schuldgefühle und Dominanz in Der Vorleser

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Michaels Schuldgefühle

Michael empfindet die gesamte Geschichte über Schuldgefühle gegenüber Hanna. Sie fühlt sich gekränkt durch einen unwichtigen Streit und Michael nimmt alle Schuld auf sich: „Ich hatte gedankenlos, rücksichtslos, lieblos gehandelt. Ich verstand, dass sie gekränkt war. (…) Ich verstand, dass ich sie nicht kränken konnte, dass sie sich mein Verhalten aber einfach nicht bieten lassen durfte.“ (Seite 49, Zeile 10-14). Ebenso ist Michael der Meinung, er habe Hanna verraten (vergl. Seite 74, Zeilen 1-2). Als Hanna eines Tages ohne Verabschiedung weg ist, nachdem er sie im Schwimmbad ignorierte, fragte er sich: „Warum war ich, als sie da stand, nicht sofort aufgesprungen und zu ihr gelaufen! In der einen kleinen Situation bündelte sich für mich die Halbherzigkeit der letzten Monate, aus der heraus ich sie verleugnet, verraten hatte, zur Strafe dafür war sie nun gegangen.“ (Seite 80, Zeilen 23-27).

Die Schuldgefühle darüber weichen nach der Zeit (vergl. Seite 83, Zeilen 12-13). Als Hanna dann aufgrund ihrer Mitarbeit bei der SS verurteilt wird, hat Michael sogar Schuldgefühle:

„ (…) weil ich eine Verbrecherin geliebt hatte.“ (Seite 129, Zeilen 15-16).

Selbst als Hanna am Ende wegen Selbstmord tot ist, fragt sich Michael: „ (…) ob ich sie verleugnet und verraten habe, ob ich ihr etwas schuldig geblieben bin, ob ich und wie ich mich von ihr hätte lossagen, loslösen müssen. Manchmal habe ich mich gefragt, ob ich für ihren Tod verantwortlich bin.“ (Seite 205, Zeilen 1-7). So ziehen sich seine Schuldgefühle über das ganze Buch und es sind immer die gleichen: Verrat, Verleugnung oder am Ende Hannas Tod. Erst 10 Jahre nach Hannas Tod, nachdem Michael die Geschichte aufschrieb, ist er frei von den Schuldgefühlen, die ihn einen großen Teil seines Lebens plagten.

Hannas Charakter

Im ersten Kapitel kommt Hanna Michael zu Hilfe, als sich dieser übergeben muss. Dies tut sie „fast grob“ (Seite 6). Sie erscheint unangekündigt und ungerufen, trotzdem ist Michael froh über ihre Hilfe. Im dritten Kapitel besucht Michael Hanna, um sich zu bedanken. Sie sind in Hannas Küche und Hanna bügelt während sie sich mit Michael unterhält. Sie wird nicht eingeführt. Das vierte Kapitel baut direkt auf das dritte Kapitel auf. Hanna und Michael sind immer noch in Hannas Wohnung. Hanna zieht sich um, wobei sie von Michael beobachtet wird.

Äußere Erscheinung Hanna

Hanna hat aschblondes, schulterlanges Haar. Manchmal steckt sie es mit einer Spange im Nacken hoch. Sie hat blasse Haut, ihr Gesicht ist großflächig, herb und weiblich. Ihre Stirn und ihre Wangenknochen sind hoch, ihre Augen blassblau. Sie hat volle, gleichmäßig geschwungene Lippen und ein kräftiges Kinn (Vergleiche Seite 14).

„Sie hatte einen sehr kräftigen und sehr weiblichen Körper, üppiger als die Mädchen, die mir gefielen und denen ich nachschaute.“ (Seite 17)

Sie hat einen breiten Rücken, harte Schenkel und einen festen Po.

„Glatt und weich fühlte sich ihre Haut an und ihr Körper darunter kraftvoll und verlässlich.“ (Seite 68)

Aufgrund ihres Berufes als Straßenbahnschaffnerin trägt sie meist eine Uniform.

„Sie hatte eine Uniform an, Jacke und Rock, und ich erkannte, dass sie Straßenbahnschaffnerin war.“ (Seite 24)

Plötzliche Brutalität

Im ersten Teil des Buches „Der Vorleser“, geschrieben von Bernhard Schlink, übt Hanna des Öfteren plötzliche Brutalität an Michael aus. Sei es, dass sie ihn nur anschreit, ausschimpft oder ihn sogar körperlich verletzt. Das Anschreien verletzt ihn seelisch, so zum Beispiel, als sie ihn aus dem Bett schmeißt (S.36 und S.38, Z.1 und 2).

Deutlich wird dies auch, als er sie überraschen will, indem er morgens in die Bahn steigt, in der Hanna arbeitet. Sie wirft ihm am Nachmittag vor, er hätte so getan, als ob er sie nicht kenne. Er ist in der Hoffnung, sie komme rüber, in den zweiten Wagon gestiegen (S.45-49). Körperliche Gewalt übt sie das erste Mal während der Fahrradtour in den Osterferien aus. Michael hatte sich entschieden, sie morgens mit Frühstück am Bett zu überraschen. Er hat ihr einen Zettel hingelegt, auf dem stand, dass er gleich zurück sei. Als er wiederkommt, ist Hanna total entrüstet und hat angeblich den Zettel nicht gefunden, er sei verschwunden (S.54). Sie schlägt ihm mit ihrem Gürtel seine Lippen blutig.

Hannas Vergangenheit

Hanna wird im zweiten Teil des Buches „Der Vorleser“ von Bernhard Schlink angeklagt, da sie am Ende des Zweiten Weltkrieges für die SS gearbeitet hat. Sie wurde im Frühjahr 1944 in Auschwitz und bis Winter 1944/45 in einem kleinen Lager bei Krakau eingesetzt (S.92). Bei Kriegsende war sie in Kassel gewesen. Sie hatte den Job einer Aufseherin gehabt. Während ihrer Zeit als Aufseherin hatte sie immer wieder Lieblinge, die ihr aus Büchern vorlasen. Sie begründete dies damit, dass diese zu schwach zum Arbeiten gewesen wären und sie ihnen ihre letzte Zeit „schön gestalten“ wollte (S. 112).

In einem Buch, geschrieben von einer Frau, die überlebt hatte, wird sie als junge, schöne und tüchtige, aber grausam und unbeherrschte Aufseherin beschrieben, die oft „Stute“ genannt wurde (S.115). Als eines Tages die Kirche abbrennt, in welcher viele Frauen und Kinder waren, schließt niemand die Tür auf, mit der späteren Begründung von Hanna, dass es ein zu großes Chaos gegeben hätte, welches sie nicht wieder unter Kontrolle gekriegt hätten. Ihr war der Auftrag, diese Menschen zu bewachen, wichtiger, als Leben zu retten (S. 122). Nachdem die Kirche abgebrannt war, wurde ein Bericht über die Arbeit der Aufseherinnen geschrieben, der während der Gerichtsverhandlung eine große Rolle spielt.

Hannas Dominanz gegenüber Michael

Im ersten Teil des Buches „Der Vorleser“, geschrieben von Bernhard Schlink, wird des Öfteren die Dominanz von Hanna, einer 36-jährigen Frau, gegenüber Michael, einem 15-jährigen Jungen, deutlich. Es fängt damit an, wenn sie miteinander schlafen. Sie ergreift dann Besitz von ihm und er lässt es sich gefallen (S. 33). Die Dominanz von Hanna über Michael wird immer dann besonders deutlich, wenn sie sich streiten.

Er erniedrigt sich jedes Mal und gibt Sachen zu, die er gar nicht getan hat, um Hanna nicht zu verlieren (S.50). Mit der Zeit gefällt ihm dies nicht mehr und er empfindet Groll, aber er erniedrigt sich trotzdem, weiterhin aus Angst, sie zu verlieren (S. 71). Michael lässt sie die Dominanz gegenüber ihm vergrößern, nur damit sie bei ihm bleibt. Es scheint aber auch, als sehne sich Hanna nach der Wärme seiner Entschuldigungen und Erniedrigungen (S.50).

Analphabetismus

Hanna ist Analphabetin. Das heißt, dass sie gar nicht oder nur sehr schlecht lesen und schreiben kann. Dies bemerkt Michael erst in der Gerichtsverhandlungsphase, „Hanna konnte nicht lesen und schreiben.“ (S.126, Z.29). Dafür gibt es zahlreiche Hinweise, die ihm aber erst in diesem Moment klar werden. Der erste Hinweis ist auf Seite 43, Zeile 7-10 „Lies es mir vor!“ „Lies selbst, ich bring’s dir mit.“ „Du hast so eine schöne Stimme, Jungchen, ich mag dir lieber zuhören als selbst lesen.“ Hanna verrät Michael nicht, warum er ihr vorlesen soll. Dieses Verhalten, den Analphabetismus bestmöglich zu verleugnen und zu verstecken, ist für Analphabeten typisch.

Michael kann aus dieser Situation heraus natürlich noch nicht auf Hannas Analphabetismus schließen. In den Frühlingsferien unternehmen Michael und Hanna eine Fahrradtour. Hanna überlässt die Planung Michael „Ich bin jetzt zu aufgeregt. Du machst das schon, Jungchen“ (S.52, Z.25-26), um nicht Gefahr zu laufen, irgendetwas schreiben zu müssen. Auf dieser Fahrt kommt es zwischen den beiden zu einem Streit, der aus Michaels Sicht völlig absurd sein muss. Er steht früh auf und schreibt Hanna einen Zettel, dass er Frühstück holen geht.
Als er wiederkommt, ist Hanna stocksauer und schlägt ihn.

„Ich sehe keinen Zettel. (…) Ich will dir gerne glauben, aber ich sehe keinen Zettel.“ (S.56, Z. 1-3)

Wenn man Hannas Problem kennt, dann versteht man sie in dieser Situation besser. Auf dem Zettel hätte auch stehen können, dass Michael sie verlässt. Klar wird Michael der Analphabetismus in Hannas Prozess, als sie zugibt, den Bericht geschrieben zu haben, es aber gar nicht getan hat. Erst bestreitet sie es, aber als sie um eine Schriftprobe gebeten wird, sagt sie die Unwahrheit, damit niemand bemerkt, dass sie weder lesen noch schreiben kann. (vgl. S.123-124). Auf einen Schlag wird Michael Einiges klarer, zum Beispiel der Streit auf der Fahrradtour, oder warum sie bei Siemens und in der Straßenbahn nicht befördert werden wollte, oder warum sie sich von den KZ-Häftlingen hat vorlesen lassen. Aber es kommen neue, große Fragen auf.

„Wenn Hannas Motiv die Angst vor Bloßstellung war – wieso dann statt der harmlosen Bloßstellung als Analphabetin die furchtbare als Verbrecherin?“ (S. 128, Z. 2-4)

Hier zeigt sich wieder, dass Hanna alles auf sich nimmt, damit niemand von ihrem Geheimnis erfährt. Erst in der Haft lernt Hanna mithilfe von Michaels Kassetten und den dazugehörigen Büchern lesen und schreiben. Dass ihr dies nicht leicht fällt, sieht man, als sie Michael einen Zettel schreibt, auf dem sie sich für eine Geschichte bedankt. „Auf den ersten Blick hätte man meinen können, es sei eine Kinderschrift. (…) Man sah den Widerstand, den Hanna überwinden musste, um die Linien zu Buchstaben und die Buchstaben zu Wörtern zu fügen. (…) Hannas Hand wollte nirgendwo hin und musste vorangezwungen werden.“(S.177, Z. 12-20).

Hannas Literatur über Konzentrationslager

In der Haft lernt Hanna lesen. Als Michael sich nach ihrem Tod ihre Zelle ansieht, findet er neben seinen Kassetten auch Bücher und Berichte von und über KZ-Häftlinge und KZ-Wärterinnen. (vgl. S.193-194). Mit den Kassetten hat sie gelernt, um diese Bücher lesen zu können.

„Nachdem Frau Schmitz lesen gelernt hat, hat sie gleich angefangen, über KZs zu lesen”(S. 194, Z.9-10)

Dass Hanna das Lesen später sehr wichtig war, steht auf Seite 193, Zeile 10-12, „hier habe Hanna einmal einen Sitzstreik gemacht, bis die Streichung der Bibliotheksmittel korrigiert wurde”. Auch die Gefängniswärterin ist dieser Meinung: „Sie hat die Bücher (…) mit Bedacht bestellt. Ich habe ihr schon vor Jahren eine allgemeine KZ-Bibliographie besorgen müssen, und dann hat sie mich vor ein oder zwei Jahren gebeten, ihr Bücher über Frauen in KZs zu nennen, Gefangene und Wärterinnen” (S. 194, Z. 1-6). Man kann also sagen, dass Hanna ihre Vergangenheit und ihre Taten nicht gleichgültig sind, da sie sich sehr damit befasst. Dies sieht man auch auf Seite 196, Zeile 12-13 „Über viele Jahre hat sie hier gelebt wie in einem Kloster.”

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